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Die Sowjets sind schwächer geworden"

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Robert S. McNamara (Bild), ehemaliger US-Verteidigungsminister (1961 bis 1968) und Weltbankpräsident (1968-81), gab der „Washington Post" ein Interview, das - gerade weil es in manchem überrascht - nicht unterschlagen werden sollte.

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Robert S. McNamara (Bild), ehemaliger US-Verteidigungsminister (1961 bis 1968) und Weltbankpräsident (1968-81), gab der „Washington Post" ein Interview, das - gerade weil es in manchem überrascht - nicht unterschlagen werden sollte.

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Wir hören, wie die Sowjets stärker geworden sind und auf der ganzen Welt an Boden gewonnen haben.

McNAMARA: Ich persönlich glaube, sie sind schwächer geworden. Es mag naiv klingen, dies zu sagen angesichts einer eindeutigen Zunahme der Zahl ihrer Nuklearwaffen und einer Zunahme ihrer konventionellen Streitmacht — die freilich, nebenbei gesagt, keineswegs so groß war, wie oft behauptet wird, aber immerhin einer Zunahme.

Trotzdem glaube ich, daß sie schwächer geworden sind: wirtschaftlich und politisch, weil einige sehr schwerwiegende Fehler passiert sind. Meiner Meinung nach sind sie heute in einer schwächeren Position als vor 14 oder 15 Jahren.

Sie sagten, die Zunahme der sowjetischen konventionellen Streitkräfte sei nicht so groß, wie oft behauptet wird.

McNAMARA: Die konventionelle Streitkraft der Sowjets ist nicht so groß, wie viele behaupten, und die Schwäche der konventionellen NATO-Streitkräfte ist nicht so groß, wie oft gesagt wird.

Die sowjetische Ubermacht bei Panzern wird oft dazu benutzt, die Stärke der Sowjets und die Schwäche des Westens zu illustrieren. Ich glaube, daß die Warschauer-Pakt-Länder dreimal so viele Panzer wie die NATO-Länder haben.

Aber unsere Antwort auf die sowjetischen Panzer sollte nicht notwendigerweise eine l:l-Aus-dehnung unserer Panzermacht sein, sondern eher eine Ausweitung der Panzerabwehrwaffen, und genau das ist es, was die NATO getan hat...

Bei der Erstschlagsfrage, gab es da eine Meinungsänderung? Sie wurden immer mit dem Abschreckungs-Begriff der „Mutu-ally Assured Destruction" (MAD = „gegenseitig gesicherte Zerstörung") in Verbindung gebracht. Einige Leute behaupten aber, daß sich während Ihrer Amtszeit eine Änderung im Zielszenario vollzog, und daß es eigentlich angefangen hat mit dem Begriff des begrenzten Atomkriegs.

McNAMARA: Nein, nein. Wir gingen von Dulles' Strategie einer massiven Vergeltung über zu dem, was wir „flexible Reaktion" („flexible response") nannten. Das war, glaube ich, ein großer Fortschritt, weil dadurch das Risiko eines Atomkriegs wesentlich eingeschränkt wurde. Und die Ebene, auf der Nuklearwaffen bei „flexibler Erwiderung" eingesetzt werden sollten, wurde so hoch gesetzt, daß dies tatsächlich der gegenseitig gesicherten Zerstörung gleichkam.

Die Sache mit der sowjetischen Sorge wegen unseres Erstschlags ist sehr wichtig. (McNamara hebt ein Dokument in die Höhe). Dies ist ein kürzlich freigegebenes „hochvertrauliches" Memorandum von mir für Präsident Kennedy, datiert vom 21. November 1962 (ein Monat nach der Kuba-Raketen-Krise). In dem Memorandum heißt es: „Es ist mir klar geworden, daß die Vorschläge der Luftwaffe darauf abzielen, eine Erstschlagskapazität aufzubauen ... Die Sowjets kannten dieses Dokument nicht; zumindest hoffe ich, daß sie es nicht kannten. Aber sie mögen davon gehört haben, daß wir versuchten, eine Erstschlagskapazität aufzubauen, und auf jeden Fall sahen sie den Umfang unserer Rüstung.

Die Frage der Erstschlagskapazität ist absolut fundamental. Und ich habe keinerlei Zweifel daran, daß die Sowjets dachten, wir versuchten, eine Erstschlagskapazität aufzubauen. Das war nicht der Fall. Wir hatten nicht die Möglichkeit, wir konnten nicht, wir dachten überhaupt nicht daran, daß wir es könnten. Aber sie dachten sicherlich, daß wir es wollten...

Wenn Sie damals die Erstschlagskapazität nicht erreichen konnten, wie kann man dann behaupten, daß es die Sowjets jetzt könnten?

McNAMARA: Sie haben heute genausowenig die Erstschlagskapazität wie wir damals. Niemand hat mir bis jetzt nachgewiesen, daß die Sowjets die Möglichkeit haben, unsere „Minuteman" (landgestützte Interkontinentalraketen) zu zerstören. Aber selbst wenn sie unsere „Minuteman" zerstören könnten, würde dies noch keine Erstschlagskapazität bedeuten — nicht solange sie unsere Polaris-Unterseeboote und unsere Bomber gegen sich haben. Diese beiden anderen Standbeine der Triade bleiben immer noch bestehen.

Das Argument ist, daß sie bei uns soviel zerstören würden, daß sie (ungefährdet) zurückkommen könnten.

McNAMARA: Das Argument ist unbegründet. Es ist absurd. Wollten sie versuchen, die 1000 „Minuteman" zu zerstören, müßten die Sowjets planen, zwei Atomsprengköpfe zu je einer Megatonne über jedem Standort explodieren zu lassen. Das sind 2000 Megatonnen, grob gerechnet 160.000 mal soviel wie die Hiroshima-Bombe. Was glauben Sie, in welchem Zustand sich unser Land befinden würde, wenn 2000 Megatonnen-Bomben explodieren würden?

Die Idee, daß wir in dieser Situation dasäßen und sagten: „Hm, wir wollen unsere Bomben nicht auf sie loslassen, sie könnten zurückkommen und uns Schaden zufügen", ist unvorstellbar! Und die Idee, die Sowjets könnten heute in Moskau sitzen und denken: „Wir haben die Amerikaner in der Gewalt, weil wir 2000 Megatonnen auf ihrem Land explodieren lassen können und weil wir wissen, daß sie in so einer Situation zu Tode erschrocken sein und sich vor Vergeltung fürchten werden — deshalb können wir sie politisch unter Druck setzen" ist so unglaubwürdig, daß man nicht ernstlich darüber zu reden braucht...

Auszugsweise zitiert nach einer Ubersetzung der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

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