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Die Sozialpolitik des Lumpazivagabundus

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Das Florieren von Lotto, Toto, Casinos und Spielautomaten jeder Art hat dem Staat und der Glücksspielmonopol-Verwaltung eine der wenigen gewinnträchtigen Wirtschaftssparten eröffnet. Zwar muß der Chef der Casino AG stets gegen angebliche Widerstände ankämpfen, will er gerade den Tätigkeitsbereich seines Unternehmens ausdehnen, doch letzten Endes siegt doch die Vernunft in der Bürokratie: Warum sollte man kein Spielchen wagen?

Die Ursache für die Ausweitung der Glücksspiele in der Republik ist wohl die gleiche wie im vor-josephinischen Staat: Die Minderung der Entwicklungs-Chancen einer Gesellschaft und die akute Geldnot des Staates verleiten dazu, wenn schon Fleiß, Leistung und Redlichkeit ihren sozialen Stellenwert verloren, sollte doch dem einzelnen Bürger die Chance geboten werden, sein individuelles Glück zu versuchen.

Das Glücksspiel ist das eigentlich Demokratische im Land, an ihm kann sich jeder beteiligen und hoffen, nächste Woche werde ihn Fortuna küssen. Tausende Arbeitslose können ein paar Schillinge opfern und auf dem Umweg des Glücks schlagartig ihre Existenz neu begründen, vorausgesetzt, das Füllhorn des Lottogewinns ergießt sich wie ein Platzregen über ihr Haupt.

Dahinter steckt die bedrückende Einsicht, daß dieser Staat zwar nur mehr „Belastungs-Pakete“ zu schnüren versteht — eine unumgängliche Notwendigkeit —, jedoch individuelle Tugenden nicht mehr zu motivieren oder zu belohnen vermag.

Ein bis dahin fleißiger VEW-Arbeiter oder Steyr-Arbeiter muß zur Kenntnis nehmen, seine Arbeit sei nichts als eine Spielerei gewesen, die jeder ökonomischen Rationalität widersprach, weshalb er auch an die Luft gesetzt und gleichzeitig in den Boulevard-Zeitungen und im TV überredet wird, die erfolgreichere Tätigkeit läge wohl im Ankreuzen von Zahlen, Kolonnen und Tipspalten.

Was seine Arbeit nicht vermochte, vermag das Glücksspiel: Uber Nacht ist man die Sorgen los, wenn man nur spielt.

Nun ist es bekannt, daß die Me-taphorik des Glücksspiels nahezu deckungsgleich mit den Bildern des Todes einer Kultur und Gesellschaft ist. Ahnungslos fielen die verantwortlichen Funktionäre des Landes auf diese dramatische Parallele herein und denken sich nichts dabei. Im Gegenteil: Sie denken, allen ist gedient! Der Staat hat sein Geld, die Landsleute sind abgelenkt und erwarten sich vom Griff eines blinden Waisenkindes mehr als vom Staat und dessen Wirtschaftspolitik.

Im Grunde benötigen wir keinen Sozialminister mehr, denn würden noch mehr Menschen spielen, würden auch mehr ihr Glück finden. Wie im Absolutismus, der den kleinen Leuten die Luft abgeschnürt hatte, entdek-ken die Staatsfunktionäre die ungehobenen und reichhaltigen Schätze der Bevölkerung: Die paar Schillinge von Rentnern, Arbeitslosen und Spekulanten ergeben wöchentlich Millionen und können ganz gegen die bisherigen staatlichen Verteilungsregeln ausgeschüttet werden. Und wenn es das Glück mit dem Staat gut meint, häufen sich über Wochen Geldsummen an, deren Höhe immer mehr Menschen zu immer höherem Einsatz verführen.

Kulturell betrachtet stellt sich die Republik ihr erbärmlichstes Armutszeugnis aus. Sie korrumpiert ja nicht nur ihre Bürger, die den Sinn der Arbeit mit der Möglichkeit des Lottogewinns relativieren, sie verführt die Bürger nicht nur zur Spielleidenschaft wie ein Übeltäter sich gegen Minderjährige vergeht, sondern beweist, die landesweite Resignation auch nur mit Glück bekämpfen zu können. Der Tüchtige hat kein Glück mehr, sondern nur der tüchtige Glücksspieler.

Die Millionenspiele sind gewiß nötig, um noch das Notwendigste im Staat zu finanzieren. Diese Einsicht bewog die Politiker zur permissiven Haltung gegenüber dem Glücksspiel. Das scheint rational zu sein. Es ist aber die Rationalität überaus törichter De-fraudanten, die hoffen, immer höhere Einsätze würden doch einmal den Höchstgewinn einbringen und alle bisherigen Unterschlagungen abdecken.

Da man ja Politiker immer nur aus der Froschperspektive zu erblicken vermag, wirken sie auch wie Spielernaturen in Dostojewski-Romanen: verkommen, leidenschaftlich-ordinär, brutal und zugleich sentimental. Sie haben wahrscheinlich so verborgene Eigenschaften und Vorteile, daß die Bevölkerung nicht mehr zu ermessen vermag, welche Selektion und Fähigkeit einem hohen Amt gerade diesen und keinen anderen Amtsträger bescherte.

Es war eben Glück dabei, Zufall und eine wirkungsvolle Komplizenschaft. Dagegen erscheint die Bevölkerung glücklos zu sein, weshalb diese deprimierende Gewißheit vom Glücksspiel zu korrigieren ist.

In dieser Konstellation kann nur mehr ein hedonistisches Gesellschaftsbild über die Bedrohungen hinweghelfen, das stets einem Totalitarismus vorauseilte. Selbstverständlich werden unter diesen Bedingungen politischethische Überlegungen lächerlich, ja sollte es wer wagen, moralische Kriterien einzuklagen, wird es nicht an Medien fehlen, diese zu verunglimpfen.

Arbeitslosigkeit und Glücksspiel, Resignation und die Aussicht, dem Leben ein Schnippchen zu schlagen, sind die herrschenden Alternativen.

Das mag nun alles übertrieben erscheinen, wie auch anscheinend die Sorge wegen des Antisemitismus in den dreißiger Jahren übertrieben war. Es sind die Politiker, die sich mehr und mehr wie Rennstall-Besitzer aufführen und jenem Pferd die Unterstützung versprechen, das den Wettlauf gewinnt. Darüber können die Parteien nicht hinwegtäuschen, sollten sie auch die tollsten Vorstellungen besitzen, denn sie denken nicht ernsthaft daran, im Staatsinteresse zu handeln.

Gemäß der Glücksspiele kommen uns die höchsten Staatsfunktionäre wie gescheiterte Konjunktur- und Glücksritter entgegen, die dem keineswegs überraschten Volk die Mitteilung machen, soeben ein Vermögen in einer Nacht verspielt zu haben. Das Bundeskanzleramt ist schon seit Jahren zum Kasino geworden, dessen Personal nichts an Eleganz vermissen läßt, aber sich doch zu sorgen beginnt, wer es sich noch leisten kann, den Spieltisch aufzusuchen.

Es wird einmal der Gewinn aus • dem Lotto und Toto, aus Wettspiel und Glücksrad nicht mehr ausreichen, dieses noble Kasino zu betreiben, also wird man wohl oder übel auf die kasino-übliche Kleiderordnung verzichten müssen, auf die Uberprüfung der Spielberechtigung und aus Werbegründen es verabsäumen müssen, Falschspieler hinauszuwerfen.

Es wird eine absurde Geschichte folgen. Zum Ende wird der Portier des Bundeskasinos den Besuchern raten: „Kaufen Sie Schweizer Franken, D-Mark, Dollars, Hollandgulden. Ware ist zu kompliziert.“

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