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Die Stadt der Träume

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Braucht Niederösterreich eine eigene Hauptstadt? Seit dem Frühjahr wird darüber diskutiert (FURCHE 13/1984). Eine neue Umfrage signalisiert eine breite Zustimmung.

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Braucht Niederösterreich eine eigene Hauptstadt? Seit dem Frühjahr wird darüber diskutiert (FURCHE 13/1984). Eine neue Umfrage signalisiert eine breite Zustimmung.

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Neun Städte bewerben sich in Niederösterreich um die Würde, Landeshauptstadt zu werden. Den „Wettstreit" sollen die Landesbürger entscheiden, wenn — voraussichtlich im Herbst 1985 — eine von der Landesregierung in Auftrag gegebene Kosten-Nutzen-Analyse vorliegt.

Die heuer im Frühjahr begonnene Hauptstadt-Diskussion hat in Niederösterreich Tradition. Seit am 31.12.1921 Wien per Gesetz

zum eigenen Bundesland erklärt worden war, tauchte der Wunsch nach einer eigenen Metropole für Österreichs größtes Bundesland immer wieder auf. In einer unseligen Zeit wurde er kurzfristig erfüllt: im „Dritten Reich" war Krems Hauptstadt von „Niederdonau" ...

Konkrete Schritte einer Ubersiedlung blau-gelber Zentralstellen aus Wien wurden in den sechziger Jahren gesetzt. Die beiden Energie-Versorgungsgesellschaften NEWAG und NIOGAS erhielten damals ihren Sitz in der neugegründeten „Südstadt" zwischen Mödling und Maria Enzersdorf.

Anfang der siebziger Jahre wurde unter Landeshauptmann Andreas Maurer (VP) besonders intensiv über eine blau-gelbe Landeshauptstadt diskutiert. Uber heftigen Widerstand der Landes-SPÖ wurde das Projekt damals auf zehn Jahre zurückgestellt. Prominenter Gegner auf VP-Seite war seinerzeit auch Landesfinanzreferent und heutiger Landeshauptmann Siegfried Ludwig.

Ausgerechnet Ludwig hat heuer am 15. Feber die Diskussion wieder aufgenommen. Seine Argumente: Niederösterreich verliert durch das Fehlen eines eigenen Zentrums Milliarden an Finanzausgleichsmitteln an Wien, geistige, kulturelle und wirtschaftliche Potenzen wandern in die Bundeshauptstadt ab. Niederösterreich habe keine eigene Postdirektion, kein eigenes Landesgericht, kein Landestheater, keine eigene Universität.

Alles Argumente, die nicht vom Tisch gewischt werden können. Aber Ludwig beging einen großen Fehler: vor Eröffnung der Diskussion nahm er mit der SPÖ, der zweitstärksten Kraft im Land, nicht Kontakt auf.

Nun muß aber bei Verlegung des Sitzes der Landesregierung die Landesverfassung geändert werden — und dazu bedarf's einer Zweidrittel-Mehrheit im Landtag, somit der Zustimmung der Sozialisten. SP-Landesobmann Leopold Grünzweig: „Das Land hat vordringlichere Probleme. Aber wir wollen uns nicht in den Schmollwinkel stellen und das Projekt sehr genau prüfen."

Und Grünzweig kündigt eine eigene Kosten-Nutzen Analyse, die die von der Landesregierung an das „österreichische Raumplanungsinstitut" vergebene ergänzen soll.

Der „politische Höhenflug Ludwigs" — so der „rote" Arbeiterkammerpräsident Josef Hesoun — hat inzwischen Eigendynamik bekommen. Es gibt keine politische Gruppierung, die nicht schon Stellung bezogen hat.

VP-Chef Ludwig konnte seine Mannen „vergattern". Die FPÖ im Land unter der Enns ist gegen ein „Brasilia", aber für Auszug von Landesregierung und Verwaltung aus Wien. Die Nö Handelskammer sieht wirtschaftliche Vorteile. Und wie erwähnt — über Umfrage einer „Projektgruppe Landeshauptstadt" der Landesamtsdirektion haben sich neun Städte beworben und Gründe zur Verfügung gestellt.

Es sind: Baden, Herzogenburg, Laxenburg, Mödling, Krems, St. Pölten, die Südstadt, Tulln, Wiener Neustadt und Klosterneuburg.

St. Pölten, Herzogenburg und Wiener Neustadt werden von „roten" Bürgermeistern regiert. Ihre Bewerbung brachte die SP-Spitze in Verlegenheit. Aber dann zeigte man Verständnis. Grünzweig: „Es blieb ihnen ja gar nichts anderes übrig."

Widerstände zeichnen sich auch in Kreisen der Landesbeamten ab. Zwar wohnen von den rund 3.500 in Wiener Zentralstellen tätigen Beamten zwei Drittel in Niederösterreich. Aber das Drittel setzt sich überwiegend aus leitenden Beamten zusammen.

Bisher ist das Projekt blau-gelbe Metropole immer wieder am Detail gescheitert: grundsätzliches Ja. doch dann Konkurrenzkampf um den konkreten Sitz der Hauptstadt.

Zumindest in den Kreisen der Bürgermeister findet das Landeshauptstadtprojekt überwiegende Zustimmung. Das ergab eine Umfrage der größten blau-gelben Wochenzeitung, der „Nö Nachrichten". Danach treten 58 Prozent der Gemeindeoberhäupter für eine eigene Metropole ein. 21 Prozent sind grundsätzlich dafür, halten das Problem aber nicht für vorrangig und 21 Prozent votierten für Wien als blau-gelbes Zentrum.

Die meisten Befürworter finden sich mit 77 Prozent im Waldviertel und mit 68 Prozent im Viertel ober dem Wienerwald. Hier sind sicher die meisten VP-Bügermeister. Im „rot" dominierten Industrieviertel sind nur 34 Prozent für die Landeshauptstadt. Im Weinviertel 48 Prozent.

Von den Bürgermeistern wird deutlich St. Pölten der Vorrang gegeben. Ganz eindeutig von den Mostviertlern, etwas weniger deutlich von den Waldviertlern (dort sind viele auch für Krems). Die Weinviertier nannten Krems und St. Pölten, die Industrieviert-ler „wünschen" sich Wiener Neustadt oder Baden - doch geben auch sie die meisten „realen Chancen" der Traisenstadt St. Pölten.

Nun noch einmal zu den Parteipräferenzen. Nur 6 Prozent der VP-Bürgermeister sind grundsätzlich gegen eine eigene Landeshauptstadt. Acht Prozent meinen, ihr Fehlen sei ein Nachteil für das Land. Dieser Meinung sind auch 30 Prozent der „roten" Gemeindeväter. Aber nur sechs Prozent sind grundsätzlich dafür, während 73 Prozent grundsätzlich dagegen votierten.

Zeichnet sich hier bereits das Ergebnis der Volksbefragung ab, die Landeshauptmann Ludwig nach Vorliegen der Kosten-Nutzen-Rechnung einleiten will? Es muß wohl noch einiges an Meinungsbildung betrieben werden. Vor allem: Gelingt es Ludwig doch noch, die SPÖ zu gewinnen?

Er ist zuversichtlich. Im Herbst 1985 wird ein SP-Landesparteitag die Nachfolge Grünzweigs beraten. Sollte ein neuer Mann kommen — warum sollte er seine Meinung zu diesem Thema nicht ändern? Und — so Ludwig: „Wenn die Mehrheit der Niederösterreicher für eine Landeshauptstadt eintritt, dann bleibt der SPÖ ohnehin nichts anderes übrig, als zuzustimmen."

Die Landes-„Roten" müßten dabei nicht einmal ihr Gesicht verlieren, meint der „schwarze" Landesvater. Denn: „Jeder wird ja auch noch gescheiter werden dürfen!"

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