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Die Stadt der Ziegen

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Österreichs Archäologen sorgen im In- und Ausland immer wieder für aufsehenerregende Entdeckungen. Heuer gruben sie in Aigeira auf dem Peloponnes den ältesten griechischen Tempel aus (10. Jahrhundert vor Christus).

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Österreichs Archäologen sorgen im In- und Ausland immer wieder für aufsehenerregende Entdeckungen. Heuer gruben sie in Aigeira auf dem Peloponnes den ältesten griechischen Tempel aus (10. Jahrhundert vor Christus).

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Aigeira, eine antike Stadt im Norden der Peloponnes, war wegen seiner Ruinen seit jeher bekannt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges entdeckte dort der österreichische Univ.-Prof. Otto Walter das Rund eines hellenistisch-römischen Theaters mit einem Fassungsraum von etwa 8.000 Personen. 1916 gelang Walter ein epochaler Fund: der eines marmornen Kolossalkopfes einer Zeusstatue, der sich jetzt im Archäologischen Nationalmuseum in Athen befindet.

Seit 1972 gräbt das österreichische Archäologische Institut unter der Leitung von Univ.-Prof. Wilhelm Alzinger alljährlich im Herbst in Aigeira. Heuer fand ein Team des Instituts auf der Akro-

polis, der höchsten Erhebung eines 416 Meter hohen, steil zum Meer abfallenden Hügels, den ältesten griechischen Tempel. Er stammt aus dem 10. Jahrhundert vor Christus.

Damit sorgte Aigeira wieder einmal für Schlagzeilen. Denn schon so manches, das der Boden dieser Stadt preisgeben mußte, bringt Licht in die „dunkle Zeit Griechenlands“ zwischen dem 12. Jahrhundert und dem 10. vorchristlichen Jahrhundert, das heißt: in jene Phase, von der Historiker und Kunsthistoriker relativ wenig wissen.

Im 13. Jahrhundert vor Christus war durch den Einfall fremder Völker die mykenische Kultur Griechenlands gewaltsam zerstört worden. Vor allem die Bevölkerung der Küsten war ständig Angriffen ausgesetzt. Die Überlebenden flüchteten in schwer zugängliche Gebiete, die erst allmählich archäologisch erfaßt werden.

Die Grabungendes österreichischen Archäologischen Instituts ergaben jedenfalls, daß versprengte Mykener auf dem 416 Meter hohen Hügel am Nordrand der Peloponnes eine neue Heimat gefunden haben.

Der Siedlung, die sie dort auf der Rückfallkuppe des Hügels gründeten, gabęn sie laut Homer den Namen Hyperesia. Im 7. Jahrhundert änderten sie ihn. Der griechische Reiseschriftsteller Pausanias, der die Stadt mehrmals besucht und geschildert hat, liefert den Archäologen mit seinen Berichten nicht nur wichtige Hinweise über das Aussehen der Stadt, sondern auch, wie aus Hy-

peresia Aigeira wurde. Während eines Krieges zwischen Hyperesia und dem nahen Sikyon retteten Ziegen den Bewohnern Hyperesi- as das Leben. Und Ziegen heißen auf Altgriechisch „aiges“.

Aus der Zeit, da der Ort noch Hyperesia hieß, stammen die ausgegrabenen Gebäude auf der Akropolis. Es waren Wohnhäuser, die sich der Burgherr im 12. Jahrhundert vor Christus errichten ließ. Später wurden sie verlassen und verfielen. Im 10. und 9. Jahrhundert vor Christus schuf

man über den Ruinen sakrale Gebäude. Darunter einen megaron- artigen Tempel mit quadratischem Hauptraum, dessen Seitenlange 5,5 Meter betrug. Er war der Iphigenia-Artemis geweiht. Es ist der älteste bislang wieder zutage gekommene griechische Tempelbau. Alle früheren griechischen Heiligtümer waren nur einfache Kult statten.

Im 7. Jahrhundert vor Christus baute man über seinen Grundmauern einen Langhaustempel. Die Bevölkerung wanderte in die

tieferen Regionen des Berges ab. In 370 Meter Höhe schuf sie im 3. Janrhundert vor Christus ein Theater mit hufeisenförmiger Orchestra für den Chor. Die Schauspieler traten auf dem Dach des Proskenions auf.

In der römischen Kaiserzeit wurde das Theater umgebaut. Aus dieser Bauphase stammt ein 1979 aufgedeckter, quer durch die Bühne laufender Kanal mit einem Becken. Sie dürften laut Alzinger parfümiertes Wasser enthalten

haben, mit dem man die Zuschauer in den Pausen besprühte.

Beiderseits des Theaters fanden die Archäologen in den letzten Jahren kleine Tempel aus hellenistischer Zeit. Einer davon könnte der von Pausanias erwähnte Tempel des Zeus gewesen sein, in dem Walter 1916 den Kopf einer vier Meter hohen Zeusstatue gefunden hatte.

1982 wird Alzinger die wissenschaftlichen Untersuchungen auf der Akropolis und am Theater fortsetzen.

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