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Die STAPO - das bin ich!

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Es ist so weit: ich halte es nicht mehr aus. Ich muß mein demo- kratisches Gewissen erleichtern und ein volles Geständnis ablegen. Jawohl, geneigter Leser, Sie wer- den es nicht glauben, aber es ist so: ich bin der Mann, der daran schuld ist, daß es soviele STAPO-Akten gibt, die geradezu seuchengleich unser Land überschwemmen.

Ich bekenne mich schuldig. Noch nie zuvor gab es so viele Spitzelak- ten in diesem Land, als seit jenem Tag, da bekannt wurde, wer da nicht aller bespitzelt wurde. Seit jenem Tag, an dem das Ministerium be- kanntgab, jeder Bürger habe das Recht zu wissen, ob über ihn ein Akt existiere oder nicht, seit jenem Tag gibt es mehr Spitzelakten denn jemals zuvor.

Dabei begann alles ganz un- scheinbar. Ein guter Freund von mir, ein gelegentlicher Demon- strant, ein pathologischer Staats- feind also, hatte in tiefer Gewiß- heit, ein besonders gefährlicher Unruhestifter zu sein, im Innenmi- nisterium angerufen um herauszu- finden, was denn so in seinem STAPO-Akt stehe. Doch einige Wochen später traf ich ihn in einer tiefen Depression an, unfähig, auch nur eine Minute auf die Straße und zu einer Demonstration zu gehen. Ich erkannte ihn nicht wieder, wie man so schön sagt. Demonstratio- nen seien völlig sinnlos, klärte er mich auf.

Was hatte diese besorgniserre- gende Veränderung bewirkt?

Nach längerem Zögern und nicht ohne Erröten gestand er mir den Grund des Wankens all seiner inne- ren Fundamente: es gab keinen Akt über ihn. Nicht die geringste Zeile, keinen Observationsbericht, nichts.

„Es ist erschütternd", sagte er, „haben die denn von nichts eine Ahnung? Seit Jahren versäume ich keine Demo, beschimpfe vor dem Opernball befrackte Menschen, und habe sogar einmal einen Polizisten gegen das Schienbein getreten, und was geschieht? Nichts! Die merken es nicht einmal, wenn man gegen sie ist. Wie stehe ich denn jetzt da vor all den stolzen Inhabern einer staatspolizeilichenErmittlung?Als Nichts und Niemand, der nicht einmal der Stapo eine Zeile wert ist. Es ist schmählich! Ich habe die letzten zwanzig Jahre umsonst protestiert."

Doch da kam mir die rettende Idee. „Wie wär's, wenn wir einfach einen Akt fälschen?!" Er fiel mir um den Hals, und wir machten uns ans Werk. Und während wir so vor uns hin fälschten, wurde mir klar, daß es in diesem Land unzählige wichtige Menschen geben mußte, die von der STAPO einfach überse- hen worden waren. Menschen, für die es unabsehbare Folgen haben konnte, von der STAPO als völlig unwichtig eingestuft worden zu sein. Hier tat sich eine Marktlücke ungeahnten Ausmaßes auf.

Also inserierte ich in einer ange- sehenen österreichischen Tageszei- tung: „Wurden auch Sie von der STAPO übersehen? In zwei Tagen zum Staatsfeind. Ab tausend Schil- ling können Sie ihren ganz persönliehen STAPO-Akt anfordern. Auch komplizierte Lebensläufe sind möglich. Sonderwünsche kein Pro- blem. Mehr Erfolg bei Frauen, bes- sere Karrierechancen und ein sta- biles Ego dank des Wunsch-STA- PO-Aktes. Unter... an den Verlag."

Und das Geschäft florierte. Selbst Minister fragten an. (Sie verstehen, daß ich keine Namen nennen kann, denn Diskretion ist in diesem Gewerbe fast alles!) Und sogar Besitzer eines STAPO-Aktes wen- den sich neuerdings vertrauensvoll an mich, wenn ihnen der Inhalt ihres Aktes allzu dürftig und harmlos erscheint.

Inzwischen habe ich mein Hand- werk ziemlich perfektioniert. Ein guter, alter Freund, der bei einer aktenproduzierenden Behörde be- schäftigt ist, versorgt mich mit al- ten, abgewetzten Aktenordnern. Der Schein geht schließlich über alles. Bei einem kleinen Altwaren- tandler in Favoriten habe ich zufäl- ligerweise mehrere Dutzend Kar- tons mit fünfzig Jahre altem, aus- gebleichtem Kanzleipapier aufge- trieben.

Da ich natürlich gewisse Proble- me damit hatte, das richtige Amts- deutsch zu schreiben, habe ich in- zwischen einige pensionierte Poli- zisten angeheuert, die mir mit den richtigen Formulierungen und dem korrekt falschen Deutsch aushel- fen. In nächster Zeit werde ich mir noch einen Computer anschaffen, der es möglich machen wird, die Berichte automatisch zu erstellen. Dafür habe ich einen eigenen Fra- gebogen entwickelt, wo jeder sein persönliches Wunschprofil erstel- len kann. Vom Staatsfeind bis zum Waffenhändler kann ich jede ge- wünschte Beobachtung liefern. Einige Skrupel habe ich noch bei jenen Subjekten, die einen STAPO- Akt als Alibi für die Ehefrau brau- chen, um ihre nächtlichen Abwe- senheiten mit geheimdienstlicher Tätigkeit für ein fremdes Land zu rechtfertigen. In solchen Fällen hat mein Gewissen ein besonders ho- hes Beruhigungsbedürfnis.

In letzter Zeit habe ich einen neuen, zusätzlichen Kunden be- kommen, der ein besonders gutes Geschäft verspricht. Es ist - man lese und staune - die STAPO selbst. Denn bei der Durchsicht der Akten ist man draufgekommen, daß man zwar jede Menge harmloser Staats- bürger bespitzelt hat, aber den großen Gaunern nachzuspüren hat man glatt vergessen. Also sitze ich jetzt im Amt und versuche, Spitzel- akten über die großen Spione, die schwergewichtigen Waffenhändler und die gefährlichsten Anarchisten anzulegen, damit die Herrschaften dort wenigstens irgendetwas vor- zuweisen haben, sollte demnächst ein Untersuchungsausschuß sich mit ihnen beschäftigen.

Und so bin ich im Zuge meiner Arbeiten daraufgekommen, daß auch über mich selbst kein Spitzel- akt existiert - oder genauer: exi- stierte. Denn den habe ich nun selbst nachgeliefert, wo ich doch nun an der Quelle sitze. Ich habe nichts verschwiegen: weder meine früh- kindliche, konspirative Verirrung bei den Roten Falken, noch meine jugendliche Tätigkeit im Dienste einer ausländischen Macht, der Heiligen Drei Könige.

Nicht einmal daß ich, wie hun- derttausend andere Kryptokommu- nisten auch, mehrmals das Volks- stimme-Fest besucht habe, ver- heimlichte ich. Nur über meine momentane Beschäftigung mit Spitzelakten habe ich lieber ge- schwiegen. Die STAPO muß schließlich nicht alles wissen!

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