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Die Statuen aus dem Massengrab

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Erhöhte moralische und materielle Unterstützung verhalten der ungarischen Archäologie in der letzten Zeit zu unverhofften Erfolgen. Die Funde aus prähistorischer, gotischer und romanischer Zeit werden derzeit in den Werkstätten des Budapester Historischen Museums sorgfältig restauriert. Die interessantesten, künstlerisch bedeutsamsten Stücke wurden in den Ruinen der königlichen Schlösser von Visegräd und Buda gefunden. Wie so oft, führten dabei der Zufall und der Zweite Weltkrieg Regie, dessen unschöne Reste systematisch beseitigt werden mußten.

Die wichtigste Entdeckung wurde zweifellos im nördlichen Vorhof der Burg von Buda gemacht, wo ein gotisches Statuendepot zutage gefördert wurde. Noch niemals war dergleichen in Ungarn gefunden worden. Experten haben einwandfrei festgestellt, daß die Statuen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammen, aus ungarischem Kalkstein gemeißelt sind und während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in ihr „Massengrab“ gelegt wurden. Sie sind ungarische Hof- kumst der Anjou-Periode, jener Zeit, als aus Neapel stammende Könige in Ungarn regierten. Man spricht von einem „neuen, bisher unbekannten Kapitel der ungarischen Kunstgeschichte“, da die spätere 170jähri- ge Türkenherrschaft fast alles vernichtete, was frühere Perioden als künstlerisches Vermächtnis hinterlassen hatten.

Die Statuen sind verhältnismäßig gut erhalten. König Sigismund (1387 bis 1437) erweiterte den einstigen Anjou-Palast von Buda im Norden um 250 Meter und ließ neue Schutzwälle bauen. Hier wurden Spiele und Turniere zur Belustigung des Hofes veranstaltet Was aus dem 13. Jahrhundert stammte, wurde dabei demoliert — nach Schätzungen etwa im Jahre 1420 und in den folgenden Jahren. Die ausgegrahenen Statuen und Fragmente sind ungarische Gotik, von der sich, wie man glaubte, kaum etwas erhalten hatte. Sie bestätigen die frühere Annahme, daß die Kunst Ungarns damals unter französischem Einfluß gestanden habe. Die neuen Funde zeigen nämlich eine deutliche Verwandtschaft zu Werken der burgundischen Hofkunst.

Die Ausgrabungen auf der Burg von Buda dauern noch an; bisher hat man mehr als 20 Statuen gefunden, aber die Experten rechnen noch mit mindestens 6 weiteren. Wären die Hofstallungen aus der Barockzeit in den vierziger Jahren nicht mit angelsächsichen Bombenteppichen belegt worden, hätte man die vergrabenen Kunstwerke vielleicht niemals mehr gefunden. Der Krieg hatte hier allerdings schon oft gewütet; die einstige gotische Hofburg wurde im Jahre 1686 zu Trümmern geschossen und gegen 1700 abgetragen. Als dann, etwas später, die Hofstallungen gebaut wurden, erhöhte man den Grund um 4 bis 5 Meter, wozu die Steine der Baureste verwendet wurden. Im Jahre 1972 hat man nun diese spätere Schicht wieder abgetragen, wobei man einen Teil der ältesten Mauer der Burg in einer Länge von 100 Metern entdeckte. Diese Mauerreste lieferten ihrerseits wertvolle Fragmente, die von einer Siedlung des 12. Jahrhunderts stammten.

Nomen est omen! Den ersten, gut erhaltenen Statuenarm fand ein Is-tvän Szerencses („glücklich“). Der Geologe Dr. György Bärdossy wartete alsbald seinerseits mit einer Überraschung auf, als er mitteilte,

daß die gotischen Kunstwerke aus ungarischem Kalkstein gemeißelt, -also nicht vom Ausland importiert worden seien. Wahrscheinlich entstanden sie am Hofe König Ludwigs des Großen, der 1355 mit seinem Hof von Visegräd nach Buda übersiedel- te.

Professor Emö Szakäl ist derzeit mit dem Zusammenfügen der Bruchstücke beschäftigt, bei deren

Entdeckung es sich zweifellos um den größten „blinden Glücksfall“ der ungarischen Kunstgeschichte -gehandelt hat.

Die ungarische archäologische Forschung war nach 1945 jahrzehntelang durch politische Anomalien gelähmt. Große Werte gingen verloren oder blieben für immer verschollen. Darunter hat kaum jemand so sehr gelitten wie der Archäologe

Läszlö Zolnay, ein namhafter Kenner der Geschichte Budas. Zolnay vertrat schon immer die Meinung, in den Ruinen der Burg von Buda müßten noch große Schätze unter der Erde liegen. Das Räkosi-Regime versetzte den Wissenschaftler strafweise zu Beginn der fünfziger Jahre in die hinterste Provinz, wo er natürlich keine weitere Forschungsarbeit leisten konnte. Erst 1961 durfte

Zolnay nach Budapest zurückkehren und sein Können im Historischen Museum unter Beweis stellen. Sein Lebenswerk fand jetzt die Krönung.

In den vorangegangenen Jahren konnten ungarische Wissenschaftler erfolgreiche archäologische Forschungen auch in Visegräd, Tac, Szabolcs und Feldebrö durchführen. Kürzlich fand man ein gotisches Prinzengrab bei Keszthely an der westlichen Seite des Plattensees und bei Visegräd holte man einen aus dem Mittelalter stammenden goldenen Schild aus der Donau.

Auch manche Stadtplaner hatten Glück. Der Stadtrat von Pecs ordnete die stilgetreue Wiederherstellung des Stadtzentrums an, wozu der Direktor des Nationalmuseums, Ferenc Fülöp, als Ratgeber henangezo- gen wurde. Der guten Tat folgte der

Lohn auf dem Fuße: Grüfte aus dem Mittelalter und aus der Türkenizedt kamen ans Tageslicht und wurden gerettet.

Die plumpe -stalinistische Ablehnung jeglicher Archäologie gehört heute glücklicherweise der Vergangenheit an. Die osteuropäischen Länder arbeiten längst schon auf diesem Gebiet zusammen, wodurch die archäologische Forschung nicht alltägliche Erfolge verbuchen konnte. Jugoslawische und ungarische Archäologen erforschen gemeinsam das einstige Pannonien mit Sirmium und dem Territorium zwischen den Flüssen Save und Drau. Die Awarenzeit wiederum wird von ungari schen und tschechoslowakischen Archäologen gemeinsam erforscht Es gibt sogar eine sowjetischungarische Kooperation der Archäologen, da prähistorische magyarische Funde nur in der heutigen UdSSR gemacht werden können. Ein finnisch-ugrischer Kongreß in Ungarn wird die bisherigen Ergebnisse sichten.

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