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„Die Stimme eines Konservativen

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Es ist an sich nicht die Gewohnheit der „Furche“, des 60. Geburtstags einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens oder eines Mitarbeiters zu gedenken. Wenn die „Furche“ im Falle des ehemaligen Bundesministers für Unterricht Dr. Heinrich Drimmel, der am 16. Jänner seinen 60. Geburtstag begeht, eine Ausnahme macht, so hat dies seine berechtigten Gründe: denn in schwerster Zeit hat Dr. Drimmel der „Furche“ unschätzbare Dienste erwiesen.

Zu Beginn des Jahres 1968 wurde aus wirtschaftlichen Gründen eine Reform der „Furche“ eingeleitet, um die Existenz des Blattes auch für die Zukunft zu sichern. Solche Reformen bei Zeitungen (es zeigte sich dies wieder im Fall „Publik“) sind noch immer auf das Unverständnis der Öffentlichkeit gestoßen. Alles mögliche wurde in diese Reform der „Furche“ hineingeheimnist, was nicht den Tatsachen entsprach. Gleichzeitig aber sollte dieser Reformversuch hinfällig gemacht werden. Es setzte ein sehr wohl organisierter und gnadenloser Boykott fast aller bisherigen Mitarbeiter ein. Es waren nur noch sehr wenige, die damals der „Furche“ treu blieben: meine Freunde Herle und Fiechtner, ferner Anton Burghardt, Helga Busek, Felix Gamilschegg, Rupert Schumacher, Karlheinz Roschitz und Ladislaus Rosdy. (Kurz vor seinem so tragischen Tod sagte Rosdy zu mir: „Die furche' ist meine wahre Heimat, hier bin ich zu Hause.“) Ein paar weltberühmte Namen sprangen ein, wie mein alter Freund I. R. von Salis, Salvador de Madariaga und A. Toynbee. Bald gesellte sich auch zu dieser kleinen Gruppe Hans Magenschab, auf den mich mein Freund Walter Kaliwoda aufmerksam gemacht hatte. Von verschiedenster Seite kamen versteckte Winke, die Reform abzubrechen. Aber der Verein Herold war diesmal bereit, auf Biegen oder Brechen den Gang durch die Wüste zu wagen. Die Tage und Wochen dieses Marsches durch die Wüste werde ich nie' vergessen und immer werde ich jenen dankbar sein, die in dieser gnadenlosen Atmosphäre diesen scheinbar hoffnungslosen Gang mitmachten. Dazu gehört insbesondere auch Dr. Heinrich Drimmel. Schon bald stellte er seine Feder der „Furche“ zur Verfügung. (Übrigens ebenso wie sein ehemaliger Ministerkollege Dr. Fritz Bock, der beste Kenner aller Fragen, die sich mit der EFTA und EWG beschäftigen.) Die Artikel Dr. Drimmels ließen die Öffentlichkeit bald aufhorchen. Hier sprach eine Stimme, die kongenial der Welt von Dr. Friedrich Funder war. Die Stimme eines Konservativen, der in klarer Abwehrstellung sowohl zur Reaktion wie auch zur jakobinischen

Knapp vor Erreichung des 60. Lebensjahres ging Doktor Drimmel, ehemals Bundesminister für Unterricht, ehemals Vize-bügermeister der Stadt Wien, in Pension. Er bat ausdrücklich sowohl im Ministerium wie in der Gemeinde Wien, ihm keinen wie immer gearteten feierlichen Abschied zu bereiten, eine an sich seltene Haltung in diesem noch immer an barocke Formen gewöhnten Österreich.

Als der Begründer der tschechoslowakischen Republik Thomas Garrigue Masaryk 1910 seinen 60. Geburtstag feierte, sagte er, daß das Wichtigste erst für ihn zu tun sei. Ähnliches gilt wohl auch für Dr. Drimmel. Er ist zweifellos der bedeutendste Kopf des heutigen konservativen Lagers in Österreich. Aber seine Ansichten stoßen natürlich manchmal auf Widerspruch, im Staat, in der eigenen Partei, in der Kirche, der er mit allen Fasern angehört. Dr. Drimmel ist kein Frondeur, aber er ist vielleicht einer der wenigen, die so etwas wie „Seiner Majestät aller-getreueste Opposition“ spielen können, eine Opposition, an der die Öffentlichkeit nicht ohne weiteres vorbeizugehen vermag. In der Situation, in der sich Österreich heute befindet, und die manchmal politisch und geistig trostlos und versumpft zu sein scheint, ist es notwendig, daß es einen Rufer in der Wüste gibt. Wie kein anderer ist Dr. Drimmel dazu berufen, diese Rolle zu spielen. „Die wichtigste Zeit meines Lebens steht erst vor mir“, kann Dr. Drimmel mit Masaryk sagen.

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