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Die Stimmen der Dichter gegen die Unfreiheit

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Man ist leicht versucht, die jugoslawische Kultur vom Ausland her uniform zu sehen und dabei zu vergessen, daß in ihr fünf verschiedene Völker mit drei Sprachen vereinigt sind. Die Serben, Kroaten, Montenegriner (alle drei Nationen haben eigene geschichtliche Erfahrungen und unterscheiden sich voneinander,zusammen mit der Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina, nach ihrem religiösen Bekenntnis, sprechen und schreiben aber in serbokroatischer Sprache), die Slowenen und die Makedonier versuchen auf verschiedene Art Widerstand gegen die Zentralregierung zu leisten. Es ist typisch, daß die Zentralregierung in Belgrad dogmatisch und autoritativ ist. Eine echte Liberalisierung und Demokratisierung kann im Grunde (ähnlich wie in der Sowjetunion) nur durch radikale Dezentralisierung erfolgen, was aber unter Umständen den Zerfall des jugoslawischen Staates bedeuten könnte. In diesem Dilemma, unter wirtschaftlichem und außenpolitischem („kommunistischer Internationalismus“ ist gleich Sowjetunion) Druck verschärfte sich die Lage in den letzten Jahren noch mehr.

Der Fall Mihajlov ist nur ein Beispiel für die Unterdrückung, der ein non konformistischer jugoslawischer Schriftsteller ausgesetzt ist. Mihajlo Mihajlov, der im Gefängnis von Sremska Mitrovica noch immer, gemeinsam mit sechs anderen politischen Gefangenen, sporadisch mit Hungerstreik gegen die Zustände in der Haftanstalt protestiert, plädiert schon seit Anfang der sechziger Jahre für einen vielschichtigen Pluralismus in der Jugoslawischen sozialistischen Selbstverwaltung“. In diesem Sinne ist Mihajlov kein ,Agent des Imperialismus", sondern ein humanistischer Kritiker der neuen jugoslawischen Gesellschaft, die er auch durch freie, unkonventionelle religiöse Gedanken erneuern will. Die serbische demokratische Exilzeitschrift „Nasa rec“, die in London erscheint, veröffentlichte in Heft 277 (August 1976) und in Heft 278 (September-Oktober 1976) einen längeren Bericht von Rajko Katunac, dem ehemaligen Mithäftling Mihajlovs in Sremska Mitrovica. Katunac berichtet über seine Begegnungen mit Mihajlov, über Schikanen und die schweren Bedingungen der Haft. Katunac weist auf die Anlehnung Mihajlovs an die sowjetische Dissidentenbewegung, an Sinjawski, Danijel, Solschenyzin hin. In aufgezeichneten Gesprächen beteu ert Mihajlov immer wieder die Legalität seines Tuns, sein schöpferisches Wirken im Rahmen der Gesetze des jugoslawischen Staates, ohne jede politische Verbindung mit dem Ausland und mit jugoslawischen Kreisen im Exil.

Auch der ehemalige engste Mitarbeiter Marschall Titos, der Schriftsteller Milovan Djilas, setzt sich in seinen neuen Arbeiten und Interviews für eine soziale Erneuerung der jugoslawischen Gesellschaft ein, für eine Erneuerung ohne Exklusivität der kommunistischen Partei. In diesem Sinne verurteilte er am 10. Februar 1977 in den Londoner „Times“ und am 11. Februar 1977 im Pariser „Figaro“ die Situation, in der sich die jugoslawischen politischen Gefangenen derzeit befinden.

In diesem Zusammenhang bedeutungsvoll ist die Erklärung von 46 Initiatoren, gerichtet an das Verfassungsgericht in Belgrad, eine Erklärung, aus der hervorgeht, daß der Artikel 43 nicht in Einklang mit dem Artikel 183 der jugoslawischen Verfassung steht, die den „Staatsbürgern die Freiheit, den Ort des Wohnens und der Arbeit selbst auszusuchen und zu bestimmen“ zusichert. Diese Erklärung, unter anderem unterschrieben von den Belgrader Universitätsprofessoren Dr. Mihailo Markovic, Dr. Ljubomir Tadic, Dr. Zagorka Pesic-Golubovic, Dr. Sve- tozar Stojanovic, Dr. Miladim Zivotic und vom Präsidenten der Serbischen Philosophischen Gesellschaft, Dr. Alek- sandar Krön, richtet sich gegen die immer öfter praktizierte Abnahme der Reisepässe und verschiedene andere

Schikanen, denen die kritischen Schriftsteller und Wissenschaftler in Jugoslawien ausgesetzt sind. Die neue Solidaritätserklärung der jugoslawischen Intellektuellen mit den verfolgten tschechoslowakischen Dissidenten, die mindestens 92 jugoslawische Kulturschaffende, unter ihnen der Belgrader Universitätsprofessor Dr. Nikola Milosevic, der Philosoph Dusan Boskovic und der Lyriker Petar Cvetkovic, unterschrieben haben, zeigt die neue Lage, in der es der Partei schwerfällt, den Freiheitsdrang der Künstler in Grenzen zu halten.

In Slowenien wurde der Fall Kocbek zum Anfang einer Entwicklung, in deren Verlauf der linkskatholische Dichter Edvard Kocbek, Bundesminister für Kultur in der ersten Belgrader Nachkriegsregierung Titos, zusammen mit anderen slowenischen kritischen Intellektuellen an Prestige bei der Bevölkerung nur gewonnen hat. Kocbek hatte 1975 in der in Triest erscheinenden slowenischen Zeitschrift „Zaliv“ über die Hinrichtung von mehreren tausend antikommunistischen katholischen Slowenen durch die kommunistischen Partisanen im Sommer 1945 berichtet. In einem Rundbrief der deutschen, österreichischen und schweizerischen Sektion von Amnesty International (Jänner 1977) wird über die problematische Inhaftierung von Franc Miklavcic berichtet. Dieser angesehene slowenische Richter und Kulturpublizist, einstmals nichtkommunistisches Mitglied der jugoslawischen Befreiungsfront und Sohn des letzten öster reichisch-ungarischen Konsuls in Auckland auf Neuseeland, schrieb in einer Ausgabe der Triestiner Zeitschrift „Zaliv“, daß der Bericht des Schriftstellers Edvard Kocbek über die Ereignisse nach dem Ende des Krieges der Wahrheit entspreche. Die Behörden warfen Miklavcic nach dem Erscheinen dieses Essays vor, staatsfeindliche Propaganda verbreitet zu haben.

Es ist bezeichnend, daß sich in Kosovo, dem autonomen Gebiet der albanischen Minderheit, die Lage im Sinne eines Neostalinismus wesentlich verschärft hat. Besonders die jüngere Intelligenz fordert immer deutlicher einen Anschluß an Albanien.

Vor einiger Zeit floh zudem der makedonische Dichter Venko Markovski nach Bulgarien. Seitdem wird er in keiner Geschichte der makedonischen Literatur mehr erwähnt, man muß über ihn in Sofia Auskunft einholen, um ihn dort dann als bulgarischen Dichter wiederzuentdecken.

Die Repressionen, denen die jugoslawischen Schriftsteller der verschiedenen Nationalitäten, wie Djilas, Mihajlov, Gotovac, Kocbek, der in Jugoslawien geborene albanische Dichter türkischer Staatsangehörigkeit Nyazi Sulcoglu, den man in Pec verhaftet hat, und andere ausgesetzt sind, zeugen von einer ungünstigen Entwicklung, in der die liberalen Schriftsteller der kommunistischen Partei immer mehr als Zielscheibe dienen. Die Zeit, in der sich die jugoslawische Kultur freizügig entwickeln konnte, ist vorbei.

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