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Die stolzen Attentäter

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Das nächste Pulverfaß in Jugoslawien wird sichtbar: Mazedonien. Alle Parteien des dortigen Republiksparlamentes bekräftigten in einer Erklärung, dem Beispiel Slowenien folgen und sich von der jugoslawischen Staatsidee verabschieden zu wollen.

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Das nächste Pulverfaß in Jugoslawien wird sichtbar: Mazedonien. Alle Parteien des dortigen Republiksparlamentes bekräftigten in einer Erklärung, dem Beispiel Slowenien folgen und sich von der jugoslawischen Staatsidee verabschieden zu wollen.

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An Militanz und Entschlossenheit hat es ihnen in derGeschichte nie gefehlt. Und als letzte Woche die „Sozialistische Volksarmee" gegen die Unabhängigkeitserklärung der Slowenen mit militärischen Angriffen blutig vorging, da boten die Mazedonier sofort ihre „brüderliche Hilfe" an. In einer Erklärung des mazedonischen Parlamentes in Skopje hieß es: „Der Belgrader Aggressor muß mit allen Mitteln zur Niederlage gezwungen werden." Und um zu unterstreichen, daß man es ernst meine, verkündete der mazedonische Rundfunk regelmäßig einen Aufruf, Freiwillige sollten sich melden, um auf der Seite der Slowenen in den Kampf zu ziehen. Gezeichnet war der Aufruf von der IMRO, der „Innermakedonischen Revolutionären Organisation", der größten Partei des mazedonischen Parlamentes. Eine Gruppierung, die bis vor einem Jahr nur „illegal operieren" konnte. Und vor politischen Anschlägen nicht zurückschreckte.

Mit nationalem Pathos erklären die „stolzen Attentäter" heute, ein freier mazedonischer Staat sei ihr Ziel und ihr größter Feind sei Belgrad, seien die „serbischen Hegemonisten". Sie besinnen sich dabei auf ihren „ruhmreichen" Befreiungskampf.

1893 ins Leben gerufen, wurde sie unseren Großeltern zum Begriff, als die IMRO durch Bombenattentate auf zahlreiche türkische Statthalter der Balkanhalbinsel ihrer nationalen Unterdrückung Ausdruck verlieh. Das folgenschwerste Attentat war jedoch 1912 der Mord an dem serbischen Thronfolger in Marseille.

Und als sei die Zeit stehengeblieben, warnen nun die militanten Mazedonier nach den kriegerischen Ereignissen in Slowenien das offizielle Belgrad, sollte ihnen wie den Slowenen das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten werden, würden sie mit „militanten Mitteln" ihre „nationale Befreiung einleiten".

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Denn war bisher nur aus militanten IMRO-Kreisen ein solcher Ton zu vernehmen und verhielten sich andere demokratische Parteien des Skopjer Parlamentes gegenüber der IMRO reserviert, scheint plötzlich ein Umschwung im Parlament eingesetzt zu haben. Nach einer Erklärung vom Wochenende befürworten alle Parteien des Republiksparlamentes Ma-

zedoniens dem Beispiel der Slowenen zu folgen und „sich von der jugoslawischen Staatsidee zu verabschieden".

Als erster Schritt forderte man alle mazedonischen Rekruten in der Bundesarmee auf, in die mazedonische Heimat zu desertieren. Außerdem wolle man, wie Slowenien, keine Bundessteuern mehr abliefern und auch andere Bundesgesetze, „die im Widerspruch zu den Interessen Mazedoniens stehen", nicht weiter befolgen. Anfang der Woche, so alle Parteien im mazedonischen Parlament, solle mit der Ausarbeitung einer eigenen Staatsverfassung begonnen werden, um damit die „staatliche Souveränität jederzeit ausrufen zu können". Im Falle Mazedoniens ein folgenschwerer Entschluß.

So behauptet selbst die bulgarische Regierung in Sofia, ein Volk der Mazedonier existiere gar nicht, das sei eine „fixe Idee" des modernen jugoslawischen Staatsgründers Tito ge-

wesen, die Mazedonier seien nichts anderes als ein „Ostbulgarischer Stamm". Manche serbische Nationalisten wiederum vertreten die Idee, alle Mazedonier seien, ähnlich wie die Montenegriner, „Südserben". Und die Betroffenen? Die glauben zu wissen, 300.000 ihrer Landsleute werden in Bulgarien zwangsassimiliert, 250.000 in Nordgriechenland all ihrer Minderheitenrechte beraubt. Wo liegt nun die Wahrheit?

Tatsache ist, daß in dem geografi-schen Landstrich Mazedonien seit al-tersher Albaner, Griechen und verschiedene Slawenstämme (mit sich ähnelnden Sprachen) bunt zusammengewürfelt zusammenlebten. Mit der modernen griechischen Staatsidee mußten sich alle nationalen Minderheiten, die Türken, die Slawen und Albaner zu Griechen und dem orthodoxen Glauben zugehörig erklären. Bis heute. Das moderne Nachkriegsbulgarien ließ nur unter dem Kommunisten- und Kominternführer Dimi-troff eine mazedonische Minderheit gelten, ebenso Tito in bezug auf die Bulgaren, die innerhalb der heutigen Staatsgrenzen Jugoslawiens leben. Auf allen Seiten versuchte man einen Nationalstaat zu errichten. So nun auch die jugoslawischen Mazedonier, die nicht gelten lassen, daß sich in der Gegend von Skopje jemand als Bulgare oder Grieche definiert. Ein vorprogrammiertes Pulverfaß, das nun nach den Ereignissen in Slowenien leicht zur Explosion kommen könnte. Denn als in Belgrad und Sofia nur die Kommunisten das Sagen hatten, da hielt man die Mazedonier mit dem Einvernehmen Athens in ihrem Nationalgefühl zurück.

Doch dieser Status quo scheint sich nun nicht mehr aufrecht zu erhalten. Schon meldete sich in der bulgarischen Hauptstadt eine „bulgarische" IMRO zu Wort, zwar nur eine kleine Nationalistengruppe, die von der Sofiaer Regierung letzte Woche forderte, die „slowenischen Freiheitskämpfer" müßten auch mit „massiver bulgarischer Hilfe" unterstützt werden. Eine offene Aufforderung, ein Nachbarstaat solle parteilich in den Vielvölkerstreit in Jugoslawien eingreifen. Noch ist dies nicht geschehen, hat auch Albanien nur seine Armee in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und eilte „seinen bedrohten albanischen Brüdern" in Mazedonien und dem von Serbien gleichgeschalteten Kosovo-Gebiet nicht zu Hilfe. Doch die bange Frage bleibt: Wie lange noch?

Denn schon sind in Mazedonien Stimmen zu vernehmen, die lieber heute als morgen die etwa 200.000 Albaner Mazedoniens nach Albanien „aussiedeln" wollen. Solche Debatten werden bereits im Skopjer Parlament geführt. Auch an eine „Aussiedlung" der serbischen Minderheit wird gedacht. In die Tat umgesetzt wurde bereits, daß an der zukünftigen serbisch-mazedonischen „Staatsgrenze" Schilder der „Republik Serbien" abmontiert wurden und eigene „Staats"-Schilder angebracht wurden. Daneben auf großen Transparenten: „Serben, achtet darauf, hier endet Jugoslawien. Hier ist kein Platz für Groß-Serbien."

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