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Die Stunde der Fledermäuse

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Die ersten Reaktionen auf den demnächst im Verlag Styria erscheinenden Roman „Der Kasuar” von Matthias Mander (Pseudonym eines 46jährigen Industriemanagers) deuten auf ein literarisches Großereignis hin. Der hier abgedruckte Teil des Buches kann zwangsläufig nicht dem gesamten Werk gerecht werden, das in einer Vielfalt verschiedener Stile ein komplexes Bild unserer Welt, insbesondere der Industriewelt, zeichnet.

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Die ersten Reaktionen auf den demnächst im Verlag Styria erscheinenden Roman „Der Kasuar” von Matthias Mander (Pseudonym eines 46jährigen Industriemanagers) deuten auf ein literarisches Großereignis hin. Der hier abgedruckte Teil des Buches kann zwangsläufig nicht dem gesamten Werk gerecht werden, das in einer Vielfalt verschiedener Stile ein komplexes Bild unserer Welt, insbesondere der Industriewelt, zeichnet.

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Nach dem Abendbrot erhob ich mich immer hastig, dankte, küßte meine ahnungslose Tante, wünschte „gute Nacht”, lief in meine Kammer, zerwühlte das Bett und kletterte über die Fensterbank in die Dämmerung hinaus. Hinter die Scheune geduckt, blickte ich zur Stube zurück, prüfte den Karrenweg, soweit er überblickbar war. Ich spürte die Hitze des Tags aus den Hölzern drängen. Ich übersprang den Zaun und rannte lautlos hinter den Büschen, durch schwärzlich kreisende Mückenschwärme, die mein Gesicht benagten, zwischen Brenriesseln und Stechkräutem über den Bach bis zum Wäldchen, hinter dem die Lebringer Schloßweide lag. Schräg stieg sie in die Finsternis auf, reckte die vereinzelt krüppelig wuchernden Apfelbäume gegen den helleren Sommerhimmel. Im Morast, der über meine Knie troff, zappelten pickende Fliegen.

Ich kroch durch die Planken in die Weide. Aneinandergedrängt kauerten die Rinder im taufeuchten, kurzgebissenen Gras. Ich tastete im Dunkeln unter den Apfelbäumen, sammelte die häßlichen, kleinen Früchte, die dort nässelnd und faulend auf der Erde lagen, runzlig, löchrig, von weißen Würmern beschlüpft, fleckig, narbig, zäh. In meine Hosentaschen gequetscht, drängten sie Most durch den Stoff über meine Schenkel.

Noch mitten im Sammeln dieser Klumpen, riß mich das erste deutliche Flattern hoch: bebend vor Erregung starrte ich fiebrig in die halbhohen, strähnigen Schatten der Luft, die von tausend kantigen Wendungen, Schleifen, Kehren und Schnitten gebrochen waren.

Schon zu jeder Tagstunde war meine Erwartung gespannt, alles Planen zielte auf den Erfolg meines geheimen, nächtlichen Jagens, immer wieder umkreiste ich diese Schloßweide im dampfenden Vormittag, im schweigsam schwelenden Mittag und noch vor dem Nachtmahl in der roten Sonne, wenn die Kühe eben ein letztesmal ihre Mägen stopften. Nun aber waren die zehrenden Minuten da, die Nähe des so rasend begehrten Schaurigen kochte über meiner Stirn, das Allerfremdeste, noch nie Gesehene oder gar Befühlte, immer nur auf Armlänge über meinem Kopf Dahintaumelnde senkte sich wieder aus der Nacht über meine Neugier.Zu zweit oder zu viert stürzten die Fledermäuse durch ihre Räume und schnitten ihre Konturen geradezu schmerzhaft in mein Schauen. Der Hunger nach dem Besitz eines solchen Tieres brannte in mir, wenn meine Blicke - hastig ins Graue stechend - den geheimnisvollen Flugleib sekundenlang fassen konnten: das pelzige Gefieder mit Krallenhänden, die ein Gespärre von Speichen und Strahlen über flatternde Häute spannten und im aufrechten Flug den angewinkelten Kopf mit offenem Maul durch die Kühle trieben, plump und häßlich, dennoch entrückt und unfaßbar, als erregendes Rätsel.

Der Rausch, mit dem der Anblick dieser Handflügler mich erfüllte, wurde aber zu schäumender Besessenheit gesteigert durch meine Entdeckung, daß ich auf das Geschehen ihrer beklemmend jenseitigen Welt einen Einfluß hatte: wenn es mir nämlich gelang, in die Flugbahn eines dieser Flattertiere einen Apfel zu werfen - und zwar so nahe, daß es davon abgelenkt wurde -, dann stieß es dem fallenden Fremdkörper mit einem schrillen Schrei so lange nach, bis er fast wieder auf den Boden schlug, wo ich ihn aufgelesen hatte. Die Beziehung, die auf diese Weise zwischen mir und dieser Überwelt entstand, entzückte mich, war sie doch mit der Hoffnung verbunden, eine solche Fledermaus zum Absturz zu verleiten, wenn sie einmal in der Verfolgung meines Geschosses das Auftreffen im Erdboden übersehen sollte.

Schon peitschten die ersten Äpfel über meine Arme in die Finsternis hinaus. Die gräulichen Flirrknäuel holperten schwerfällig um sie und kurvten weiter durch ihre Zone. Dumpf schlugen die Früchte ins Gras zurück. Immer dichter und niedriger schwirrten die Schwärme der Fledermäuse über die Weide. Und immer rasender brandeten meine Betroffenheit und mein Begehren durch die Sinne: Schlag auf Schlag trieben meine Hände triefende Stücke in die Höhe, mitten in die Flugstraße der klatschenden Häute. Ich rannte unter ihnen über die Wiese und horchte auf die spitzen, winselnden Schreie, die ich ihnen entlockte.

Immer wieder bohrten sich meine Geschosse langsam ins Nächtliche und standen einen Augenblick lang schwarz im Gegenlicht, lockten Tiere an, die in jäher Wendung auf das Dunkle zustießen und es abkippend erdwärts verfolgten. Jubel kochte in mir hoch, wenn ich den Apfel schmatzend einschlagen hörte, aber die Verfolgerin nicht aufsteigen sah. Ich stürzte an die Stelle und hoffte, ein Flatterndes erhaschen zu können - aber die vermeintlich zu mir Erniedrigte war verschwunden.

Laufen, Bücken, Äpfelsammeln, Suchen und Orten der Schwärme, Schießen, Prüfen der Erfolge und neuerliches Zielen urtd Laufen hetzten mich stundenlang kreuz und quer über die nächtliche Weide. Unruhig stampften die Kühe auf blankgetretenem Erdreich, schüttelten die nassen Schädel und äugten mißtrauisch auf meine Unruhe.

Immer noch schaukelten die Höllengestalten über meiner heißen Stirn und stürzten sich kreisend auf meine Flugköder. Der Sieg erschien mir stets so nahe, daß ich aus keuchendem Eifer nicht herauskam. Schon schnappte meine Gier in Trugbilder über. Fast jedesmal, wenn ich einen niederbrechenden Apfel ins Geäst eines Baums und anschließend ins Gras krachen hörte, ohne die Fle dermaus fliehen zu sehen, warf ich mich rudernd über die Stelle und kratztę mit zitternden Fingern das Erdreich ab; als aber endlich wieder Blut in meine Schläfen drang und die Schwäche sich auffüllte, erkannte ich den nachtfeuchten Ast oder das Rindenstück, dem mein Wahn die ebenso begehrten wie verabscheuten Eigenschaften verliehen hatte.

Und ganz nah über mir, Schleife um Schleife, schrien die Unerreichbaren. Sterne flimmerten über ihnen und umrandeten ihre Schatten mit silbrigen Höfen. Das knöchrige Vieleck ihrer Flughäute strich über das Gebräu aus letzten warmen und ersten kalten Luftschwaden, aus Mücken, Fliegen und Nachtfaltern.

Ich lag noch auf dem Boden und hatte den gelandeten Apfel in der Hand, in dessen Nähe ich das Geheimnis hatte greifen wollen. Die großen, schlafenden Kuhleiber staken in Nebelschwaden. Aber immer noch flogen die pelzigen Sendboten des ebenso Geheimen wie Vertrauten, ja in tiefster Seele erschütternd Verwandten, Verbindlichen neckisch unbeholfen in Leibeslänge um mich. Ihr Quietschen mußte aus Gesichtem kommen, deren Anblick wohl einer Botschaft aus dem Jenseitigen gleichkam. Jetzt, da ich körperlich geschlagen war und erschöpft in meiner Mulde lag, war mein Verlangen eher noch inniger und dringender.

Oft konnte ich die großen Ohren steil ins Dämmern ragen sehen. Und spitzig schlangen sich ihre Zurufe durch die vibrierende Luft. Meine Äpfel schwirrten jetzt seltener, aber gezielter gegen ihre Leiber, stießen auch - wenn ich gut warf - derb und krachend gegen sie, so daß ich meinte, sie erlegt zu haben, wenn sie mit der Frucht zusammen flatternd abstürzten: aber immer war es nur ein kurzer Ringkampf, der sich knapp über der Erde löste und die Fledermaus ins Höhere entließ. Dann suchte ich den ApfeL

Im fahlen Licht erschienen mir Büsche und Zäune riesengroß und der Klimmzug zur Kammer überforderte mich fast. Im Bett erst betastete ich atemlos die heimgetragenen Äpfel nach Kerben, von denen ich meinte, sie stammten aus den Krallen und Zähnen der Fledermäuse, die mit ihnen in der Luft gekämpft hatten. .

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