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Die Stunde der Physiker

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Von den Grenzen des Universums bis zu den kleinsten Teilchen, aus denen die Welt besteht, wurde jüngst bei der 32. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau gesprochen. 21 Laureaten referierten vor 30 Kollegen, zahlreichen Hochschulmitgliedern und 500 Studenten aus mehreren Ländern. Unter den Ehrengästen befand sich Kardinal Franz König, unter den Laureaten der gebürtige Wiener Professor Friedrich von Hayek (Nobelpreis 1974 für Wirtschaftswissenschaften).

Die österreichischen Universitäten waren durch Professoren, Assistenten und Studenten vertreten. Professor Erika Cremer, Emerita der Universität Innsbruck, Gast bei der ersten Tagung 1951, war zum 25. Male dabei Auch heuer nahm sie die knapp ein Dutzend zählende Innsbrucker Studentengruppe — sie ist die traditionell stärkste aus Osterreich — unter ihre Fittiche.

Das diesjährige Treffen galt den Physikern. Laureaten tauschten beim Frühstück Meinungen aus. Wissenschaftler orientierten sich bei den Vorträgen über Neues aus ihrem Fach benachbarten Gebieten. Studenten hatten zusätzlich zwei Nachmittage — wie immer unter Ausschluß der Öffentlichkeit —, um mit den Nobelpreisträgern zu debattieren. (Die Su-perelite der Forschung, so hörte man, war diesmal mit dem Niveau der Jungen sehr zufrieden.)

Es waren Naturwissenschaftler unter sich. Zwei eingestreute Vorträge von Laureaten der Wirtschaftswissenschaften (immerhin ging es um Energiemodelle und um Stagflation) riefen leises Gähnen hervor — solches soll eine Wissenschaft sein??

Die Stimmen der Physikpreisträger jedoch waren gewichtig. Und, unbeschadet des rasenden Zuwachses an neuem Wissen, jene der Erfahrensten wogen am schwersten. Die großen Alten fanden das auf merksamste Publikum und den meisten Applaus. Sie waren es, die neben den fachlich eng begrenzten Referaten über die Suche nach dem sechsten Quark, der Bestimmung der Masse des Neutrinos oder über statistische Rechenhilfen für Atommodelle, abwogen und zusammenfaßten.

• HannesAlven(74Jahre,Stock-holm, Nobelpreis 1970) rüttelte gleich bei der Eröffnung an der heute gängigen Urknalltheorie. Die Ergebnisse der Plasmaphysik (sie entstand aus der Suche nach einer Energiegewinnung aus der Kernverschmelzung, wie sie im Plasma der Sonne stattfindet) bestätigen keineswegs, daß der Geburtsaugenblick des Universums eine gewaltige Explosion vor 10 bis 20 Milliarden Jahren war. Auch sei zu bezweifeln, daß ein hierarchisch gegliedertes Universum geschlossen ist.

Gesetzmäßigkeiten, die sich in den Fusions-Labors gezeigt haben, sind von den Raumsonden dramatisch bestätigt worden. So etwa die Tatsache, daß der Raum (auch das Plasma) durch Stromschichten — wie die Sonden sie zwischen Sonne und Erde gemessen haben—in einer Art Zellstruktur geformt wird. Alven betonte, daß ein Paradigmenwechsel, der empirische Daten aus der Plasmaphysik und der Raumforschung in die Kosmologie einbringt, überfällig sei. • Eugene P. Wigner (80 Jahre, k.k. Österreicher in Princeton, USA, Nobelpreis 1963) erinnerte daran, daß das Kausalitätsprinzip, wie es die Quantenmechanik handhabt, nicht immer der Realität entspricht Wenn ein Freund”, so Wigner, „einen Lichtstrahl rechts und links gesehen hat”, aber die Rechnung nur einen Strahl von einer Seite zuläßt, „so muß man die Quantenmechanik variieren.”

Er selber bastelt an einer Änderung, die er für undurchführbar hält, will aber seine Suche als notwendige Anregung für die jungen Physiker verstanden wissen.

• Paul Dirac (80 Jahre, Brite in Tallahassee, USA, Nobelpreis 1933) sprach über die Anforderungen an eine fundamentale physikalische Theorie. Er nannte alle Versuche, Heisenbergs „Weltformel” an spätere Experi-mentalergebnisse anzupassen, „einen Satz von Arbeitsregeln”, der mit Heisenberg kaum noch etwas zu tun habe. Er verlangt einen Rückgriff auf die ursprüngliche Formel und meint, daß der Austausch der aus der klassischen Mechanik kommenden Variablen durch dynamische (etwa den Spin des Elektrons) zu einer fundamentalen Theorie führen könnte.

• Alfred Kastler (80 Jahre, El-sässer in Paris, Nobelpreis 1966) war es, der wieder an die Folgen mancher Forscherarbeit gemahnte. So könne der von seinem Laureatenkollegen Arthur L. Schaw-low (61 Jahre, Stanford, USA, Nobelpreis 1981) in Lindau beschriebene Fortschritt in der Laser Spektroskopie zu einer einfachen Trennungsmethode des Bombenplutoniums aus Atommüll führen. Schon heute kann man mit maßgeschneiderten Lichtstrahlen die Verteilung der Ladungen im Atom sichtbar machen und in besonderen Fällen Isotope unterscheiden.

Während der Eröffnungsansprachen und auch später kam die Frage nach der Qualität der heutigen deutschen Wissenschaft zur Sprache. Der US-Laureat Arno Penzias (49 Jahre, Nobelpreis 1978) wußte von einem Manko: „In Europa wird nur eine Hälfte der Gehirne genutzt”, er sehe keine Frauen in den Labors. Wenn sie mitforschten, stiege auch die Kreativität.

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