6908174-1980_51_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Stunde des Meisters Eckhart

19451960198020002020

Meister Eckhart: Mönch vor 700 Jahren, Mystiker, als Ketzer verurteilt - und noch lange nicht tot. Zwei neue Bücher beweisen: Er spricht auch Zeitgenossen an, die nach einer neuen Sinngebung des eigenen Lebens vollzugs suchen.

19451960198020002020

Meister Eckhart: Mönch vor 700 Jahren, Mystiker, als Ketzer verurteilt - und noch lange nicht tot. Zwei neue Bücher beweisen: Er spricht auch Zeitgenossen an, die nach einer neuen Sinngebung des eigenen Lebens vollzugs suchen.

Werbung
Werbung
Werbung

Eckhart von Hochheim, genannt Meister Eckhart, lebte ungefähr von 1260 bis 1328. Er war Dominikanermönch, Prediger und Theologe, vor allem aber ein elementare Erfahrungen zur Sprache bringender Mystiker. Die Lebensstationen dieses Zeitgenossen gotischer Architektur und scholastischer Philosophie sind Erfurt, Paris, Straßburg, Köln und Avignon.

Als Provinzial der deutschen Provinz des Dominikanerordens, Generalvikar für Böhmen und Professor an der Universität Paris hat er einen großen Teil Mittel- und Westeuropas zu Fuß durchwandert. Gegen Ende seines Lebens mußte sich Eckhart gegen den Vorwurf verteidigen, er habe in seinen Schriften und insbesondere in seinen zahlreichen, vor allem vor Frauen gehaltenen Predigten ketzerische Lehren vorgetragen.

Papst Johannes XXII. verurteilte in einer Bulle insgesamt 28 Sätze aus den Schriften des Meisters; 17 davon bezeichnete er als in sich häretisch und irrig, von den übrigen wird gesagt, daß sie, obzwar verwegen und übelklingend, mit großer Mühe auch eine katholische Auslegung zuließen. Die päpstliche Verurteilung erreichte Eckhart nicht mehr, er war damals bereits gestorben, ob in Köln oder Avignon, ist ungewiß. Ebensowenig kennen wir den Ort seines Grabes.

Gewißheit besteht hingegen über die beispiellose Wirkungsgeschichte dieses Mannes, der nicht nur, wie zu seiner Zeit üblich, lateinisch geschrieben hat, sondern auch deutsch. Der Vorwurf der

Ketzerei hat seinen Einfluß kaum aufhalten können; vielleicht wurde auch, wie der bedeutende Eckhart-Forscher Heribert Fischer meint, das päpstliche Verurteilungsschreiben niemals veröffentlicht.

Des thüringischen Meisters Gedanken leben weiter in den Mystikern Tauler und Seuse, in Nikolaus von,Kues, Jakob Böhme und Angelus Silesius. Eckhart ist der Stammvater der deutschen Philosophie, insonderheit der großen metaphysischen Systeme des Idealismus. Ohne Eckhart kein Fichte, Schelling und Hegel.

„Eckhart wird mit Recht der Meister genannt; er übertrifft alle Mystiker", bemerkte Franz von Baader, der bedeutendste Vermittler christlicher Esoterik im neunzehnten Jahrhundert. Die Romantiker, allen voran Friedrich Schlegel, feierten ihn als einen der größten Denker nicht nur des Mittelalters, sondern der gesamten abendländi-; sehen Geistesgeschichte.

Und als Franz Pfeiffer 1857 Meister Eckharts Schriften neu herausgab, erblickte Schopenhauer in ihnen einen „rechten Beleg" zu seiner eigenen Philosophie der Weltüberwindung: „Buddha, Eckhart und ich lehren im Wesentlichen dasselbe."

Seither ist der als Ketzer verurteilte Predigermönch von den verschiedensten Bewegungen und Schulen in Anspruch genommen worden. Es gab und' gibt einen katholischen wie einen protestantischen, einen existentialistischen wie einen marxistischen, eine tiefenpsychologischen wie einen anthroposo-phischen Eckhart. Ernst Bloch und Erich Fromm haben sich auf ihn berufen, und Martin Heidegger bemerkt in seiner kleinen Schrift „Gelassenheit", daß von dem Meister „viel Gutes zu lernen ist."

Als Kuriosum sei erwähnt, daß auch die Nationalsozialisten ihn für sich zu beschlagnahmen trachteten; ihr Chef-Ideologe Alfred Rosenberg deutete Eckharts Mystik als Durchbruch arisch-germanischer Religiosität aus den Fesseln christlich-jüdischer Dog-matik. Neuerdings werden die Schriften des Meisters auch im Fernen Osten eifrig studiert, japanische Zen-Buddhi-sten erkennen sich in dem eigenwilligen christlichen Mystiker wieder.

Der Freiburger Religionsphilosoph Bernhard Welte, dessen überaus klargeschriebenes Buch hier anzuzeigen ist, spricht im Hinblick auf diese erstaunliche Konvergenz etwas vorsichtiger von „analogen Bewegungen des Geistes", von einem „Einander-Zuwinken über den Abstand der Kulturen hinweg", das „einen tiefen Grund" habe.

Welte geht es freilich primär nicht um Biographie und Wirkungsgeschichte, sondern um die Aktualität Meister Eckharts. Sein Buch wendet sich daher ausdrücklich nicht allein an

Philosophen und Theoigen vom Fach, sondern darüberhinaus an jene breite Schicht von spirituell Suchenden, die weniger an spekulativer Metaphysik denn an einer neuen, zugleich aber aus uralten inspirierten Sinngebung des eigenen Lebensvollzugs interessiert sind.

Welte gelingt der Nachweis, daß Eckhart in dieser Hinsicht überaus viel zu sagen hat. Er begnügt sich nicht damit zu erläutern, was der vor mehr als sechshundertfünzig Jahren verstorbene Mystiker geschrieben hat. Er deutet seine Schriften vielmehr im Lichte unserer Erfahrungen und bemüht sich jene Elemente freizulegen, von deren Einbringung in das Denken der Gegenwart er sich heilsame Folgen erwartet.

Bernhard Welte weist am Beispiel des mittelalterlichen Meisters nach, wie wenig Mystik im anspruchsvoll strengen Sinne des Wortes mit Passivität, Schwärmerei oder Gleichgültigkeit gegenüber der Wirklichkeit zu tun hat.

Er erweist sich, wenn man ihn nur recht zu lesen versteht, als der Verkünder einer wahrhaft „alternativen" Daseinshaltung, eines das ganze Leben verwandelnden religiösen Ethos. Seine grundlegenden Kategorien sind „Abgeschiedenheit" und „Gelassenheit". Nie wurde Gelassenheit radikaler, tiefer, aber auch paradoxer gedacht. Diese Paradoxie ist jedoch in der Sache selbst begründet. ,

Die Eckhartsche Gelassenheit ist mehr als eine bloß psychologische Kategorie, auch nicht zu verwechseln mit Resignation, Indifferenz oder Dickfelligkeit. Sie ist eine bestimmte Praxis, eine Weise des Daseins, die sich bis zu der provokativen Forderung aufschwingt, nicht nur die Dinge der Welt und ihre vielfältigen Trostmöglichkeiten, sondern am Ende auch Gott - zu lassen: „Das Höchste und das Äußerste, was der Mensch lassen kann, das ist, daß er Gott um Gottes willen lasse."

Der solcherart gelassene Mensch ist beides: frei von den Dingen und frei zu den Dingen. Gelassenheit vermag Kräfte zu entbinden, die der leidenden Welt bekömmlicher wären als utopisch aufgeladener Aktivismus, der nur in die Katastrophe führen kann. Wie unkonventionell, kühn, ja alle herkömmlichen Ideologien brüskierend Meister Eckhart denkt, verrät seine merkwürdige Predigt über die Geschichte von den beiden Schwestern Maria und Martha.

Entgegen der gesamten Tradition (und wohl auch dem vom Evangelium gemeinten Sinn) gesteht der deutsche Priester, Mönch und Mystiker nicht der zu Jesu Füßen verzückt ruhenden Maria den „besten Teil" zu, sondern der tätigen, um das leibliche Wohl ihres Gastes besorgten Martha.

Die mitten im Alltag stehende und mit den äußeren Dingen umgehende Hausfrau kann Gott ebenso nahe, ja sogar näher sein als die in ekstatischem Wohlgefühl sich unmittelbar der Botschaft des Herrn widmende Kontemplative: Der in der Welt Tätige ist der bessere Mystiker, sofern nur „der Wipfel seiner Seele" in der tiefen Stille der Gottheit verbleibt.

Meister Eckharts Mystik hat nichts mit Subjektivismus oder Weltflucht zu tun. Indem sie den Gegensatz von tätigem und beschaulichem Leben,

von Aktion und Meditation überwindet, ist sie zutiefst wirklichkeitsfromm. Zu diesem Ergebnis kommt auch Gerhard Wehr, der sich bereits durch zahlreiche Bücher über verschiedene Mystiker ausgewisen hat, in seinem kleinen Bändchen über Eckhart, das neben einer biographischen Orientierung vor allem mit gut ausgewählten Zitaten versehene Charakteristiken der Hauptwerke des Mystikers bietet.

Der wahrhaft Kontemplative ist nicht der die Welt als minderwertig verachtende, sondern der sie als Signatur Gottes erfahrende und in ihr wirkende Mensch. Weit ist der Abstand zwischen Meister Eckhart und gewissen Meditationstechnikern, Sektierern und Pseudo-Esoterikern, die neuerdings die westliche Welt heimsuchen. Es stünde manches besser in und um uns, wenn wir auf den Mann hörten, von dem das Wort überliefert ist: „Ein Lebemeister ist mehr als tausend Lesemeister."

MEISTER ECKHART. Von Bernhard Welte. Verlag Herder, 272 S., öS 252.50

MEISTER ECKHART. Von Gerhard Wehr. Aurum Verlag, 104 S.. öS 114.-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung