6993218-1986_51_17.jpg
Digital In Arbeit

Die Stunde im Stall

Werbung
Werbung
Werbung

Wie die Kärntner Slowenen Weihnachten feiern? Von Tal zu Tal, von Ort zu Ort gibt es Bräuche, die sich voneinander etwas unterscheiden. Ich möchte erzählen, wie ich Weihnachten in meiner Jugend, in meinem Heimatort Köstenberg/Kostanje erlebt habe. Das war vor mehr als vierzig Jahren, damals war meine slowenische Muttersprache die Sprache aller Dorf- oder Pfarrbewohner. Heute ist das leider anders ...

Weihnachten ist ein Familienfest, das war auch für uns — eine zahlreiche Bauernfamilie — etwas Besonderes. Am Heiligen Abend -eigentlich schon am frühen Nachmittag — versorgten wir das Vieh und verrichteten alle übrigen Stallarbeiten. Bei Einbruch der Dämmerung nahm mein Vater Glut aus dem Feuer, die Mutter gab Speik und Weihrauch darauf. Mit diesem qualmenden Duft ging mein Vater voraus, und ich, als Familienjüngster, durfte das Weihwasser tragen und mit einem Tannenzweig die Räume des Wirtschaftsgebäudes, das Vieh und die Räume des Hauses mit gesegnetem Wasser besprengen. Dann gingen wir noch um das Haus und um die Scheune, dann gingen wir zu jenen Äckern, in denen die Wintersaat lag, warfen einige Tannenzweige auf sie, dann eilten wir nach Hause. Dabei sprach der Vater ein Gebet, sonst war er still.

Bevor wir das Haus betraten, sah er nochmals nach, ob die Stalltür gut verriegelt war, denn an diesem Abend durfte niemand mehr den Stall betreten.

Inzwischen kochte die Mutter Lindenblütentee, dazu gab es Kletzenbrot. Die izba — die Stube —, in der der Kachelofen schon mollige Wärme von sich gab, war vorerst nur den älteren Geschwistern vorbehalten. Sie bauten an der Ecke des großen Tisches die Krippe auf. Als sie fertig waren, versammelten wir uns alle in der Stube. Zuerst bewunderten wir die Krippe, dann saßen wir beim warmen Kachelofen, und die Mutter las uns beim Schein der Petroleumlampe Geschichten über die Weihnachtszeit vor, oder solche von armen und frommen Leuten. Sie erzählte auch, was sie von den Älteren gehört hatte. Man sprach auch davon, daß am Heiligen Abend — um Mitternacht — das Vieh im Stall zu sprechen beginnt, daß aber jeder verflucht sei, der es wagt, dabei zuzuhören.

So vergingen die Stunden, bis wir uns auf den Weg zur Mette machten. Wir freuten uns auf das Fest in der Kirche, der Chor sang Lieder von der Geburt Christi, vom freudigen Ereignis in Betle-hem. Wir bewunderten die Krippe in der Kirche, gaben Spenden, auch Obst und Brot, die der Pfarrer an Arme verteilte. Auf dem Heimweg besuchten wir noch den Friedhof, zündeten Kerzen auf den Gräbern von Verwandten an und schlössen sie so im Geiste ins Familienfest ein.

Bei uns war es üblich, daß der Vater zu Hause blieb und das Abendessen kochte. Es gab immer Sauerkraut mit Selchwürsten. Das war für uns alle ein großer Schmaus, denn erstmals kamen im Winter Würste auf den Tisch. Natürlich wurde vor dem Essen gebetet.

Weihnachtsgeschenke, wie wir sie heute kennen, gab es keine. Aber wir waren überglücklich, als jeder von uns einen Teller voll hausgemachter Kekse, Würfelzucker und Dörrobst bekam. Bevor die Gaben verteilt wurden, haben wir ein Vaterunser gebetet, darauf noch das allabendliche

Gebet ,JSveti angel varuh moj...“ (Heiliger Schutzengel mein...), das dem Neugeborenen in der Krippe galt.

Zu den Weihnachtsfeiertagen hatten wir auch immer einen Gast. Unsere Gäste waren Bettler oder arme Leute aus der näheren Umgebung. Die Armen sollten mit uns feiern: das, so sagte man, brachte Glück und Segen für das kommende Jahr.

Die Gäste erzählten Geschichten. Ich kann mich erinnern, daß die arme Liza, die in jungen Jahren Magd war, einmal von den sprechenden Tieren im Stall erzählte. In der geheimnisvollen Stunde am Heiligen Abend sollten sie weissagen, was das nächste Jahr bringen würde. Einmal wollte ein reicher Viehhändler wissen, um wieviel sich sein Reichtum vermehren würde. Er schlich in den Stall, lehnte sich an einen Balken und tat, als sei er ein Stück Rundholz, das da steht - und die Tiere sprachen wirklich. Da sagte einer der großen Ochsen: „Diesen Holzblock, der da lehnt, werden wir im Frühjahr zur Säge führen, und aus den Brettern wird ein Sarg gemacht für jenen Menschen, der am besten hineinpaßt.“ Der Viehhändler erzählte niemanden, was er gehört hatte. Er wurde fromm und anständig, trotzdem starb er zu jener Zeit, die ihm die Rinder vorausgesagt hatten.

So erlebte ich die Weihnachten in meiner Jugend. Dann kam die schlimme Zeit, der Krieg, die Vertreibung aus der Heimat, Elend und Tod. Wir kamen nach Hause — aber nicht alle. Auch die große Familie im Dorf war nicht mehr vollzählig, nicht mehr alle Kinder sprachen slowenisch. Es war alles anders; es war fremd.

Heute feiern wir Weihnachten weiterhin nach unserer Art, ich habe selbst eine Famüie, und wir versuchen, das Fest so zu gestalten — als Fest der Familie —, aber das Hoffen auf kostspielige Geschenke hat auch mich etwas verdorben. Nur das Glück, Weihnachten in meiner Muttersprache feiern zu können, ist mir von meinen Erinnerungen geblieben. Dieses Glück sollte man hegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung