6878306-1978_51_06.jpg
Digital In Arbeit

Die subtilen Methoden der Unterdrückung

Werbung
Werbung
Werbung

Ein österreichischer Student in der sowjetischen Hauptstadt, Sohn stei-rischer Bäckersleute, hatte vor nicht allzu langer Zeit eine blendende, geschäftlich verwertbare Idee. Von Zeit zu Zeit schickte er Proben der besonders schmackhaften Brotsorten, wie sie etwa in dem großen Geschäft „Chleb“ (Brot) am Moskauer Kali-nin-Prospekt in großer Vielfalt angeboten werden, in die Heimat, damit die Anverwandten das Gebäck nachbereiten und als Besonderheit aus dem Osten verkaufen.

Zum „Nachbauen“ wurde eine chemische Analyse vorgenommen, die allerdings ein völlig unerwartetes Ergebnis gebracht hat: der Anteil von Brom im Teig war besonders groß. Bisher war nicht bekannt, daß dieser chemische Grundstoff zu den Ingredienzien von Backwerk und Mehlspeisen gehört. Wohl aber weiß man, daß Brom nicht nur Soldaten von den Nöten des Alleinseins befreit, sondern auch jede Art von aufkeimender Aggression dämpft.

In solchen Praktiken ist zweifellos die Hand des Machtapparates zu erkennen. Sie gehören zu den subtileren Methoden der Sicherheitsorgane, deren Existenz der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nach sowjetischem Verständnis dient. Die Aufgabe dieses riesigen Apparates hat sich seit Stalin zwar nicht prinzipiell, jedoch in der Stärke ihrer Auswirkung geändert. Der blutige Terror zur Zeit der „Revolution von oben“ in den zwanziger- und dreißiger Jahren ist verschwunden, die Anstrengungen der Organe richten sich nicht mehr gegen das gesamte Volk, sondern zur Abschreckung der anderen nur mehr gegen einzelne.

„Der Allgegenwart der Sicherheitsorgane kann niemand, der auch nur kurze Zeit in der Sowjetunion gelebt hat, entgehen.“

Das System der Zwangsherrschaft droht nicht mehr mit physischer Vernichtung, gleichwohl ist das dichte Netz von Arbeitslagern über das ganze Land hinweg nicht verschwunden. Weiterhin existiert die Allgegenwart der Sicherheitsorgane, • sie kann niemandem, der auch nur kurze Zeit in der Sowjetunion gelebt hat, entgehen.

Regimekritikern, die mit mutigen Worten an die Öffentlichkeit treten, droht nicht mehr die Vernichtung; doch viele von ihnen wandern in psychiatrische Kliniken, in denen sicherlich wirksamere Medikamente der Beruhigung Anwendung finden als Brom.

Das Symbol dieser besonderen Macht im Staate steht am Dser-schinski-Platz, Ende des Marx-Prospektes nordwestlich vom Roten Platz, die Lubjanka, der Hauptsitz des Komitees für Staatssicherheit, bekannter unter seinen Initialen KGB. Das eher altmodische, mit Giebeln versehene Gebäude zählt zu den am sorgfältigsten bewachten Häusern Moskaus.

Die Zeit der internationalen Entspannung hat die Arbeit dieses machtvollen Apparates eher verschärft als überflüssig gemacht. Politbüromitglied Juri Andropow, Chef des KGB, konnte sagen: Die Mitarbeiter der Organe wissen, daß die friedliche Koexistenz eine Form des Klassenkampfes ist, daß dieser Kampf auf allen Fronten der Wirtschaft, der Politik und der Ideologie unerbittlich und hartnäckig weitergeführt wird. In diesem Kampf sind die Sicherheitsorgane verpflichtet, ihre spezifischen Aufgaben eindeutig und fehlerfrei durchzuführen.“

Was das Oberhaupt des sowjetischen Sicherheitsapparates hier an-

gedeutet hat, das zeigt sich im nationalen Rahmen wie in der Weltpolitik. Eine Kette von geplatzten KGB-Un-ternehmen beweist, daß jedes Mitglied der sowjetischen Diplomatie, sowjetischer Handelsvertretungen und sonstiger Organisationen mehr oder weniger eng mit den „Organen“ seines Heimatlandes zusammenarbeitet.

In der Zeit der Entspannung gilt die Arbeit des KGB der Abwehr von äußeren Einflüssen in sozialen Belangen, in der Kultur und vor allem auf weltanschaulichem Gebiet. Lauter denn je wird heute die Gefahr der ideologischen Aufweichung an die Wand gemalt. Dissidenten wiederum

„Nach, alter russischer Tradition wird in jedem Fremden ein Störenfried, ein Eindringling, ein potentieller Spion gesehen.“

sehen sich um die Ausbreitung der politischen Entspannung auf größere individuelle Freiheitsräume in der Sowjetunion betrogen.

Der Historiker Andrej Amalrik hat mir gegenüber vor seiner Emigration im Jahre 1976 seiner Enttäuschung Ausdruck gegeben, daß die internationale Annäherung wenig Erleichterung in der Garantie der Menschenrechte für sowjetische Bürger gebracht hätte; denn je weiter die Öffnung nach außen fortschreite, um so fester schließe sich im Innern die Faust des allgewaltigen Terrorapparates. Gleichwohl zeigt sich auch heute, daß der Funke der Opposition weiterglimmt.

In besonderem Maße stehen die Ausländer in Moskau im Zielfernrohr der „Tschekisten“ oder „Gebisten“, wie die Beamten aus Andropows Organisation im Volksmund genannt werden. Nach alter russischer Tradition wird doch in jedem Fremden ein Störefried, ein Eindringling, ein potentieller Spion gesehen.

Die Sache mit den Mikrophonen in den Wänden zur Überwachung der Gespräche von Ausländern ist eigentlich schon ein zu abgedroschenes Thema, um noch einmal erwähnt zu werden. Allein diese Lauscher an der Wand sind da. Botschaften, die mit Spezialgeräten Jagd auf diese Gastgeschenke der Sowjets machen, hatten bisher immer Erfolg sowohl in den Repräsentationsgebäuden wie in Privatwohnungen der ausländischen Vertreter.

Vor mehr als einem Jahr haben die Amerikaner unmittelbar neben ihrer Botschaft ein perfekt ausgestattetes Labor gefunden, das sogar die Entschlüsselung der Geräusche beim Tippen von Schreibmaschinen erlaubte. Kein Wunder, daß man sich in Moskauer Ausländerkreisen das Bonmot erzählt, die ausländischen Botschaften seien zu neunzig Prozent aus Beton und zu zehn Prozent aus Mikrophonen erbaut.

Zweifellos werden auch die Telephone abgehört, wie schon der Summton am Beginn der Gespräche beweist. Ein Beweis für die ungebetenen Mithörer ergab sich für mich aus dem Angriff in der „Iswestrja“, als mir - als Begründung für die Ausweisung - verbotene Machenschaften vorgeworfen wurden. Kollegen hätten mir, so hieß es darin, geraten, von meiner „Spionagetätigkeit“ abzulassen.

Tatsächlich hat mich ein deutscher Korrespondent wiederholt telefonisch gebeten, mich nicht mit Russen zu treffen, denn diese wären ohnedies nur Spitzel oder wollten aus dem Umgang mit Ausländern Vorteile für sich herausschlagen. Auch heute bin ich allerdings der Uberzeugung, daß sich der persönlich Umgang mit Sowjetbürgern mehr als gelohnt hat

und beileibe nicht alle, die zu meinem Bekanntenkreis gezählt wurden, haben dies mit einem Hintergedanken oder im Dienste des Apparates getan.

Die Aufdeckung von ungebetenen Mithörern scheint in das Konzept der Sicherheitsorgane zu passen. Der Zweck ist die Verunsicherung der Ausländer, der Rückzug in ihre eigene Gesellschaft ohne Kontakte mit den Einheimischen und dadurch Verhinderung jedes Versuchs, die sowjetische Gesellschaft so kennen zu lernen, wie sie wirklich ist.

Im übrigen sind natürlich alle die Hilfskräfte, die dem Ausländer von den Sowjets zur Verfügung gestellt werden, in den Plan lückenloser Überwachung eingespannt.

Um staatspolitische Größe hat sich die Macht im Osten wohl noch nie gekümmert, und die Blamage, bei der Einrichtung von Abhörgeräten erwischt, bei Spoinagetätigkeit überrascht zu werden, scheint wenig zu zählen. Nicht minder zeugt es von echtem Selbstbewußtsein, wenn die Behörden oder ihre Hilfsorgane die Abfälle von Ausländern, auch dafür gibt es Beweise, wie Mäuse oder Ratten nach verdächtigem Material untersuchen.

Alle diese Methoden finden selbstverständlich auch bei verdächtigen Inländern Anwendung. Der normale Bürger hat nichts mehr von den Organen zu befürchten, sofern er sich wenigstens nach außen an die Parteilinie hält. Wer aber einmal im Schußfeld der Ordnungshüter steht, muß

„Der normale Bürger hat nichts von den Organen zu befürchten, sofern er sich wenigstens nach außen an die Parteilinie hält.“

mit Hausdurchsuchung, ständiger Beobachtung, Recherchen am Arbeitsplatz und mit allerlei behördlichen Schikanen auf Anordnung von oben rechnen.

Heute funktioniert das System der Sicherheitsorgane in aller Stille, ohne viel Aufsehen. Die Menschen sind vorsichtig, nicht nur im Umgang mit Ausländern, sondern auch mit Landsleuten. Raffinierte Mittel sind heutzutage ebenso wirksam wie Drohung mit Haft und Verfolgung: bessere Posten und Aufstiegschancen, Reisen, kleine und größere Privilegien. Auffallend in der sowjetischen Gesellschaft die zahlreichen Verdächtigungen, der oder jener könnte in den Diensten des KGB stehen oder wenigstens ein stukatsch“ (Spitzel) sein.

Diese Verunsicherung der eigenen Bürger tut ihre Wirkung. Sie setzt selbsttätig einen Mechanismus in Bewegung, der zu Denunziationen führt, ohne daß die Sicherheitsorgane selbst dazu Anstoß gäben oder Befehl erteilten. Die Verdächtigungsmanie der nächsten Umgebung hat sich übrigens auch in Emigrantenkreisen erhalten, die selbst in der freien Welt überall Verrat und Spitzelei vermuten.

Auch die Methoden bei Untersuchungen und Verhören haben sich gewandelt. Wissenschaftler wie Turt-schin oder Sinowjew zeigten sich nach Verhören beeindruckt von der verständigen Art ihres KGB-Beam-ten, von seiner Bildung, die man von einem Polizisten nie erwarten würde. Andere wiederum berichten von der Arbeitsteilung der Untersuchungsorgane, die sich ständig ablösten.

Das sind die modernen Methoden der Mannen Andropows, die früher rücksichtslose Inquisitoren im Dienste der Revolution, später sture und zynische Bürokraten gewesen sind; heute aber findet man unter ihnen nicht selten Männer mit Universitätsdiplomen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung