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Die süße Misere

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Im Mai dieses Jahres machten führende Männer der Zuckerindustrie den Handelsminister auf die internationale Verknappung und Verteuerung des Zuckers und deren mögliche negative Konsequenzen auch für Österreich aufmerksam. Sie forderten sofortige Maßnahmen, um ein Ab wandern des Zuckers ins Ausland zu verhindern und die Versorgung der österreichischen Bevölkerung zu garantieren.

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Im Mai dieses Jahres machten führende Männer der Zuckerindustrie den Handelsminister auf die internationale Verknappung und Verteuerung des Zuckers und deren mögliche negative Konsequenzen auch für Österreich aufmerksam. Sie forderten sofortige Maßnahmen, um ein Ab wandern des Zuckers ins Ausland zu verhindern und die Versorgung der österreichischen Bevölkerung zu garantieren.

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In der Zwischenkriegszeit ist es passiert: Der Zuckerexport ist zwar verboten, nicht aber der Export von Zuckerwaren. Prompt entstanden „Umgehungsprodukte“, die — nach der gegenwärtigen, trotz Warnung der Zuckerindustrie nicht geänderten Gesetzessituation — legal ins Ausland verbracht werden können. Die Prozedur ist denkbar einfach: Man löst Zucker in Wasser auf und schon heißt das Ganze Sirup. Diesen füllt man in Tankwagen und fährt damit über die Grenze. Oder man vermischt den Zucker mit Reis und schon ist die Zuckerware fertig. Im Ausland wird dann der Zucker herausdestilliert und den dortigen Konsumenten verkauft. Etwas umständlich ist das sicherlich, aber wenn der Zucker in der Schweiz das Dreieinhalbfache kostet, zahlt sich diese Mühe schon aus.

Das zweite Leck im österreichischen Zuckerfaß ist der kleine Grenzverkehr. Zwar geht es hier immer nur um ein oder zwei Kilo pro Person, aber bei den vielen Tausend Menschen, die tagtäglich Österreichs Grenzen passieren, kommt dabei eine enorme Menge heraus — auch wenn nur ein Bruchteil der Ausreisenden Zucker mitnimmt.

Um welche Quantitäten es sich dabei handelt, sei am Beispiel einer niederösterreichischen Zuckerfabrik illustriert. Diese lieferte im November 1973 ganze 49 Waggon Zucker nach Vorarlberg. Im gleichen Monat 1974 mußten Bestellungen im Ausmaß von 233 Waggons geliefert werden. Nun ist kaum anzunehmen, daß die Vorarlberger binnen einem Jahr fast fünfmal soviel Zucker essen. Auch wenn man Hamsterkäufe in Rechnung stellt, können die Vorarlberger nicht so viel gekauft haben — zumindest nicht für den Eigenverbrauch.

Aber Vorarlberg grenzt eben an die Schweiz und dort kostet den Konsumenten ein Kilogramm Zuk- ker umgerechnet S 29.30 gegenüber gegenwärtig S 8.30 in Österreich. Die Differenz gegenüber den übrigen Nachbarn mit offener Grenze ist zwar nicht so groß, aber immerhin spürbar. In Deutschland kostet Zuk- ker S 10.08 pro Kilogramm und in Italien S 10.50. Im Lauf des kommenden Jahres soll der Preis auf S 11.17 in Deutschland und S 12.20 in Italien angehoben werden. Auch Jugoslawien hat in letzter Zeit den Zuckerpreis erhöht, der dort jetzt gleichfalls über S 10.— liegt.

Wie nicht anders zu erwarten, ist unter solchen Umständen der Zuckerverkauf sprunghaft angestiegen, speziell aus Grenzgebieten. Die Zuckerfabriken mußten allein in den letzten drei Monaten um nicht weniger als 93.000 Tonnen mehr als ein Jahr vorher an ihre Kunden ausliefern. Eine recht beträchtliche Summe, wenn man bedenkt, daß der österreichische Gesamtverbrauch an Zucker im letzten Normal jahr 290.000 Tonnen ausmachte.

Erst nach langem Hin und Her kam endlich eine Verordnung zustande, die die Zuckermenge, welche pro Person über die Grenze genommen werden darf, limitiert. Aber jetzt war das Malheur schon passiert. Dagegen befindet sich eine Novelle zum Außenhandelsgesetz, welche den Export diverser „Zuckerprodukte“ unterbinden soll, immer noch in Ausarbeitung. Die Tankwagen können also weiter „Sirup“ liefern.

Inzwischen ist es pünktlich soweit gekommen, daß sich die Zuckerindustrie gezwungen sah, den Handelsminister dahingehend zu informieren, daß die Zuckerproduktion aus der diesjährigen Kampagne, bei der mit einem Rekordergebnis zu rechnen ist, unter Berücksichtigung der derzeitigen Verkaufsmenge nicht ausreiche, um die Inlandsversorgung bis zur Kampagne 1975/76 zu garantieren. Daraufhin wurde der Handelsminister endlich aktiv und beschloß eine — Kontingentierung.

Prinzipiell ist Österreich heute hinsichtlich der Zuckerversorgung autark und von den Schwankungen auf den internationalen Märkten unabhängig. Dies ist ein Erfolg der vielgeschmähten österreichischen Agrarpolitik der letzten Dezennien, in denen den österreichischen

Rübenbauern ein dem österreichischen Kostenniveau entsprechender, über der Weltmarktnotierung liegender Preis gezahlt wurde, was es uns heute gestattet, weit unter dem Weltmarktniveau zu bleiben.

Eines kann die österreichische Zuckerwirtschaft allerdings nicht: halb Europa mitversorgen. Gegen den Abfluß unseres Zuckers über die Grenzen müssen wir uns daher zur Wehr setzen. Und dazu bedarf es doch etwas anderer Mittel als einer oberflächlichen Kontingentierung.

Inzwischen hat sich nämlich die Situation gründlich gewandelt. Während 1968 an der Pariser Weißzuckerbörse die Tonne Zucker mit durchschnittlich 242 ffrs gehandelt wurde, lag deren Preis im November 1974 bereits bei 7290 ffrs, ist also im Lauf von sechs Jahren auf zirka das Dreißigfache gestiegen. Dagegen lag der Konsumentenpreis für Zucker in Österreich im Jahr 1968 bei 680 Schilling und ist bis heute erst auf 830 Schilling gestiegen.

Es ist daher unbedingt notwendig, die Autarkie zu erhalten. Dies wird aber nur möglich sein, wenn man der Zuckerwirtschaft die gestiegenen Lohn-, Material- und Energiekosten abgilt. Beim heutigen Preis ist der Anbau von Zuckerrüben für die Agrarier kaum noch interessant. Will man einen Rückgang der Anbaufläche und damit in weiterer

Konsequenz eine Abhängigkeit von teurem Importzucker vermeiden, so wird man nicht herumkommen, gewisse Preiskonzessionen zu machen. Für den österreichischen Konsumenten kommt dies noch immer am billigsten.

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