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Die Summe der Fehler

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Seine Artikel sorgen für Unmut bei der Belgrader Parteielite. Aleksa Djilas ist Sohn des Dissidenten und einstigen Tito-Stellvertreters Milovan Djilas. Hierein Gespräch mit ihm.

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Seine Artikel sorgen für Unmut bei der Belgrader Parteielite. Aleksa Djilas ist Sohn des Dissidenten und einstigen Tito-Stellvertreters Milovan Djilas. Hierein Gespräch mit ihm.

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FURCHE: Es wird oft behauptet, in Belgrad herrsche, im Gegensatz zu anderen Republikzentren ein „liberales" Klima. Wie beurteilen Sie, Herr Djilas, die derzeitige Atmosphäre in der jugoslawischen Hauptstadt?

ALEKSA DJILAS: Es sind hauptsächlich zwei Städte in Jugoslawien, die derzeit über etwas mehr geistige und politische Freiheit verfügen als andere: Belgrad, und Laibach, die Hauptstadt Sloweniens.

Aber selbst hier ist die herrschende Parteibürokratie bestrebt, jede demokratische Opposition im Keim zu ersticken. Den Unterschied zwischen Belgrad und den anderen Republikzentren, wie Zagreb und Sarajevo, in denen dogmatische Kräfte das Sagen haben, sollte man nicht überbewerten.

In allen jugoslawischen Teilrepubliken herrscht dasselbe politische System.

FURCHE: In der letzten Zeit spricht man in Serbien von zentrifugalen Tendenzen", die sich im. den Randgebieten der Republik bemerkbar machen. Vor allem die Autonomen Gebiete Vojvodina und Kosovo sind bestrebt, ihre Unabhängigkeit gegenüber der Belgrader Zentrale zu wahren. Wie wird es Ihrer Meinung nach in Serbien weitergehen?

DJILAS: Hinter den „zentrifugalen Tendenzen", von denen Sie sprechen, steht in der Provinz Vojvodina in erster Linie die herrschende Parteibürokratie. Bezeichnenderweise sind es die serbischen Parteibürokraten, die mehr Selbständigkeit gegenüber Belgrad fordern, und nicht die ungarischen. (In Vojvodina lebt eine starke ungarische Volksgruppe. A. O.)

Der Grund: Die Parteielite, die in der Provinz über das Machtmo-nopol verfügt, ist bestrebt, dieses Monopol und die dazugehörigen Privilegien auszuweiten.

FURCHE:Die mehrheitlich von Albanern bewohnte Provinz Kosovo ist zum permanenten Krisenherd innerhalb des jugoslawischen Vielvölkerstaates geworden. Der Abgang der Serben und Montenegriner aus der Provinz wird immer größer, hohe Haftstrafenfür albanische Nationalisten sind kaum ein geeignetes Mittel, um die Krise zu überwinden. Gibt es Ihrer Ansicht nach brauchbare „Jiezepte" zur Lösung der Kosovo-Krise?

DJILAS: Hohe Haftstrafen für albanische Nationalisten machen die ganze Sache nur noch schlimmer. Im Augenblick ist eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung der Kosovo-Krise nicht möglich. Ein guter Anfang wäre schon die Amnestie für alle inhaftierten albanischen Nationalisten, die keine Gewalttaten begangen haben.

Der Staat müßte aber jene serbischen und montenegrinischen Familien entschädigen, die unter albanischem Druck die Provinz verlassen und ihren Besitz aufgeben müssen.

FURCHE: Wenn man von der permanenten Wirtschaftskrise absieht, ist die sogenannte Krise des „politischen Systems" derzeit ein Dauerthema in Jugoslawien.

Professor Dragicevic von der Zagreber Universität behauptet, von der Arbeiterselbstverwaltung sei in Jugoslawien nur wenig übriggeblieben.

Auf der anderen Seite behaupten dogmatische Kräfte in der Partei, die zunehmende „Kon/e-deralisierung" Jugoslawiens sei ein Grundübel und trage die Hauptschuld an der gegenwärtigen Misere. Worum geht es da wirklich?

DJILAS: Die gegenwärtige Krise in Jugoslawien ist in erster Linie die Summe aller Fehlleistungen der herrschenden Parteibürokratie. Die Konfederalisierung, die zunehmende Verselbständigung einzelner Teilrepubliken, die noch zu Titos Lebzeit begonnen hat, hängt in einigen Republi-

ken, wie etwa in Kroatien und Bosnien, mit dem Erstarken dogmatischer Parteieliten unmittelbar zusammen.

Diese Verselbständigung hat beispielsweise den innerjugoslawischen Handel nahezu unmöglich gemacht. Sogar der Kulturaustausch zwischen dem einzelnen Republiken ist gefährdet. Einige Schriftsteller in Serbien behaupten beispielsweise, der Kulturaustausch zwischen Serbien und Bosnien habe unter österreichischer Verwaltung in Bosnien und Herzegowina besser funktioniert als heute.

FURCHE: Einige politische Beobachter behaupten, die kroatische KP sei derzeit am radikalsten innerhalb des Vielvölkerstaates. In Zagreb betont man wiederum, die politische Lage in Kroatien sei kritisch, weil die katholische Kirche den kroatischen Nationalismus schüre. Ist Kroatien ein Sonderfall innerhalb Jugoslawiens?

DJILAS: Kroatien ist heute ein Sonderfall innerhalb des Gesamtstaates. Erstens, weil der kroatische Nationalismus im Gegensatz zu den nationalistischen Bestrebungen anderer Völker in Jugoslawien eine betont separatistische Tendenz aufweist.

Zum anderen, ist die kroatische KP nach der Säuberung der national-liberalen Parteiführung 1971 isoliert in der Bevölkerung. Hier bleibt nur noch die ideologische Flucht nach vorne.

FURCHE: Die UdSSR ist heute Jugoslawiens wichtigster Handelspartner. Wie ist es dazu gekommen? Können dann politische Konsequenzen erwachsen?

DJILAS: Dies ist in erster Linie auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen, weil jugoslawische Erzeugnisse im Westen nicht konkurrenzfähig sind. Daß daraus politische Konsequenzen erwachsen können, liegt klar auf der Hand.

Aleksa Djilas ist Magister für Politikwissenschaft und lebt als freier Autor in London. Mit Aleksa Djilas sprach Alexander Orssich.

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