6819359-1973_26_06.jpg
Digital In Arbeit

Die Tendenz heißt Zentralismus

19451960198020002020

Im Rahmen einer Aufsatzreihe über Probleme des Föderalismus in Osterreich ist es sicherlich von Interesse, auch der Frage nach dem Verhältnis des staatsrechtlichen Baugesetzes des Föderalismus zu den gesellschaftlichen Ordnungselementen der Verbände einen Beitrag zu widmen — das insbesondere in einem Staat, der wie Österreich in besonderem Maße durch eine verbandsmäßige Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft gekennzeichnet ist.

19451960198020002020

Im Rahmen einer Aufsatzreihe über Probleme des Föderalismus in Osterreich ist es sicherlich von Interesse, auch der Frage nach dem Verhältnis des staatsrechtlichen Baugesetzes des Föderalismus zu den gesellschaftlichen Ordnungselementen der Verbände einen Beitrag zu widmen — das insbesondere in einem Staat, der wie Österreich in besonderem Maße durch eine verbandsmäßige Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft gekennzeichnet ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Organisation der Interessen-verbände in Österreich ist durch einen merkwürdigen Dualismus gekennzeichnet, durch ein Nebeneinander von durch den Staat geschaffenen öffentlich-rechtlich organisierten Selbstverwaltungskörpern und privatrechtlich organisierten Verbänden. Auf Grund gesetzlicher Regelung besteht in Österreich eine gegliederte und umfassende Repräsentation der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der im Erwerbsleben Stehenden in Kammern und gesetzlich eingerichteten Fachorganisationen. Die Tatsache, daß es der Staat ist, der solche Selbstverwaltungskörper ins Leben ruft und ihnen die Grundzüge ihrer Organisationsstruktur setzt, bewirkt, daß der Staat dabei an das föderalistische Baugesetz, wie es in der österreichischen Bundesverfassung ausgeprägt ist, gebunden ist. Anders ist die Situation für die freien Verbände: Diese sind nie freie Schöpfung der Bürger; für sie gilt das föderalistische Prinzip, das ja die Organisation des Staates zu ordnen versucht, nicht unmittelbar. Die Organisation ist daher den Vereinsgründern und in der Folge den Vereinsmitgliedern freigestellt.

Wie aber ist nun der Gedanke des Föderalismus in der Organisation und in der Tätigkeit der Verbände realisiert? Es soll in der Folge versucht werden, eine Antwort auf diese Frage zu geben, wobei die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörpern und den freien Verbänden eine differenzierende Betrachtung erfordern.

Die Kompetenzbestimmungen der Bundesverfassung sehen vor, daß die Organisation der Kammern der gewerblichen Wirtschaft und der Arbeiterkammern durch Bundesgesetz zu erfolgen hat. Hingegen ist die Einrichtung der Landwirtschaftskammern und Landarbeiterkammern Sache der Länder — eine Kompetenzverteilung, deren Erklärung vor allem in der historischen Tatsache zu finden ist, daß in den Verhandlungen um das Zustandekommen des Kompetenzkataloges vor allem die Landwirtschaft Träger des föderalistischen Gedankens in der Verfassungspolitik war.

Aber auch die Bundesgesetze über die Handelskammern und Arbeiterkammern haben, den föderalistischen Prinzipien der Bundesverfassung entsprechend, eine Gliederung der Handelskammern und Arbeiterkammern normiert, obwohl dies verfassungsgesetzlich nicht erforderlich gewesen wäre: Im Rahmen der Handelskammerorganisation ist für jedes Bundesland eine Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft, sowie für den Bereich des gesamten Bundesgebietes die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft errichtet. Daher fallen der Bundeskammer alle jene Aufgaben der Landeskammern zu, die über die örtliche Zuständigkeit einer Landeskammer hinausgehen. Ein weiteres föderalistisches Element zeigt sich bei der indirekten Art der Bestellung der höchsten Organe der Bundeswirtschaftskammer: So besteht der Vorstand der Bundeskammer aus dem Präsidium der Bundeskammer, den sechs Bundessektionsobmännern und den Präsidien der neun Landeskammern. Auch im Kammertag sind die Präsidien der Landeskammern sowie weitere Delegierte der Landeskammern vertreten.

Auch die Organisation der Selbstverwaltung der gewerblichen Dienstnehmer ist bundesstaatlich gegliedert: Analog der Organisation der Handelskammern gibt es neun Landeskammern für Arbeiter und Angestellte und eine Bundeskammer, den österreichischen Arbeiterkammertag, die ebenfalls jede für sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstruiert ist. Dem Arbeiterkammertag obliegt dabei die Besorgung aller in den Aufgabenbereich der Arbeiterkammer fallenden Angelegenheiten, soweit sie das ganze Bundesgebiet oder mehrere Bundesländer gemeinsam betreffen. Überdies hat der Arbeiterkammertag eine Kompetenz-Kompetenz: Angelegenheiten, die nur eine Kammer betreffen, aber Rückwirkungen auf die Interessen anderer Bundesländer zur Folge haben, können über Beschluß des Vorstands des Arbeiterkammertags oder dessen Hauptversammlung dem Arbeiterkammertag vorbehalten werden. Eine ähnliche, Zentralisa-tionstendenzen fördernde Regelung kennt das Handelskammergesetz nicht. Ähnlich wie in der Organisation der Handelskammern, findet sich auch bei der Bestellung der Organe der Bundesorganisation eine Mitwirkung der Landeskammern: Die Organe des Arbeiterkammertages sind der Präsident — kraft Gesetzes der Präsident der Arbeiterkammer für Wien —, der Vorstand, der aus den Präsidenten der Arbeiterkammern besteht, und die Hauptversammlung, die ebenfalls aus von den Landesarbeiterkammern entsandten Kammerräten besteht.

Auf diese Weise findet sich in der Organisation der Handelskammern und Arbeiterkammern sowohl durch die bundesstaatliche Gliederung in Landeskammern als auch durch die Art der Bestellung der Bundesorgane das bundesstaatliche Prinzip als Ordnungselement in bedeutendem Umfang verwirklicht.

Auf Grund der kompetenzrechtlichen Situation gibt es demgegenüber kein die Landwirtschaftskammern regelndes Bundesgesetz und daher auch keine Bundeskammer für Land- und Forstwirtschaft. Es bestehen vielmehr auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften in den Bundesländern jeweils eigene Landwirtschaftskammern (die in Tirol und Vorarlberg auch die in der Land-und Forstwirtschaft unselbständig Erwerbstätigen umfassen). Da sich aber in der Praxis das Bedürfnis nach einer Interessenvertretung der Bauernschaft auf Bundesebene erge-eben hat, wurde die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern

Österreichs als freier Verein geschaffen. Rechtsgrundlage für diese Dachorganisation der Landwirtschaftskammern sind die Satzungen der Präsidentenkonferenz. Diese sind rechtlich als Statuten eines freien Vereins, der dem Vereinsgesetz unterliegt, zu qualifizieren. Diese Konstruktion ist an sich verfassungsgesetzlich durchaus zulässig; sie trägt aber die Tendenz zu einei zentralistisch organisierten Interessenvertretung der Land- und Forstwirtschaft in sich — wird also hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereiches noch zu untersuchen sein.

Die großen freien Interessenverbände Österreichs sind weitgehend zentralistisch organisiert. Das gill insbesondere für .den österreichischen Gewerkschaftsbund, der von der Organisation her eine stark zentralisierte Einheitsgewerkschaft ist: Weder den Landesexekutiven des ÖGB noch den (sicher bedeutenderen) Fachgewerkschaften kommt eigene Rechtspersönlichkeit zu; sie sind nui organisatorische Gliederung des Vereins ÖGB.

Die Hauptaufgabe aller Interessenverbände liegt heute in der Interessenvertretung der Mitglieder im eigenen Bereich, gegenüber anderen Interessenvertretungen, insbesondere aber auch gegenüber dem Staat sowie in der Beratung des Staates, Die früher sehr wichtigen Aufgaben der Besorgung von Staatsaufgaben insbesondere durch die Kammern sind dagegen weitgehend in den Hintergrund getreten. Die Aufgaber der Interessenvertretung im eigenen Bereich, in der insbesondere die Hilfestellung der Organisation füi die eigenen Mitglieder von Bedeutung ist, wird weitgehend dezentralisiert durch die Landesorganisationen abgewickelt — zu diesem Zweck bestehen vor allem bei den Landwirtschaftskammern und Handelskammern eigene Bezirksstellen. Die Interessenvertretung der eigenen Mitglieder gegenüber anderen Interessenvertretungen erfolgt nur zum Teil auf örtlich dezentralisierter Ebene — sehr häufig kommt es zu bundesweiten „Sozialkontrakten“.

Der große Bereich der Interessenvertretungen gegenüber dem Staal und der Beratung des Staates ist gleichzeitig auch der Schwerpunkt der Zentralisationstendenz in der Aufgabenbesorgung der Verbände. Hier scheint mir die Zentralisation der Tätigkeit der Verbände aber nicht primär, sondern bedingt. Die Verbände müssen zur Erreichung ihres Hauptziels, die Interessen dei in ihnen zusammengeschlossenen Gruppe zu vertreten, der Struktur des Staates folgen. Die Interessenvertretung muß ihre Tätigkeit dort entfalten, „wo sie ankommt“. Wenn daher Klecatsky und ihm folgend Pernthaler einen starken Zug zui Zentralisation und Konzentration in der Tätigkeit der Kammern und Verbände zu erkennen glauben, so beschreiben sie nicht die Ursache, sondern die Wirkung — eine Folgeerscheinung eines Prozesses im Staat,

Eine besondere Situation ergibt sich hinsichtlich der Aufgabenbesorgung vor allem für die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern. Vom Konzept der Verfassung her ist gegen diese privatrechtlicl organisierte Interessenvertretunf nichts einzuwenden, wenn sie sid auf Koordination der Ansichten unc

Vorgangsweisen ihrer Mitglieder, der Landwirtschaftskammern beschränkt. Eine unzulässige Überschreitung der durch die Verfassung gesetzten Grenzen läge aber dann vor, wenn die Präsidentenkonferenz selbständig in der Funktion einer gesetzlichen Interessenvertretung tätig würde. Die Präsidentenkonferenz kann zwar neben den Landeskammern, nicht aber an ihrer Stelle tätig werden, denn es darf nach der Verfassung keine land- und forstwirtschaftliche Interessenvertretung auf Bundesebene geben, die in der Funktion einer Bundeskammer der Land- und Forstwirtschaft tätig wird. Die Präsidentenkonferenz agiert nur so lange verfassungskonform, als sie lediglich als Verbin-dungs- und Koordinationsstelle auftritt; wird sie in bestimmten Angelegenheiten an Stelle der Landwirtschaftskammern selbständig interessenvertretend tätig, so setzt sie sich dadurch in Widerspruch zur bundesstaatlichen Kompetenzverteilung der Verfassung.

Faßt man das Ergebnis dieser kurzen Skizze zusammen, so kann man feststellen, daß die Organisation der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörper dem Grundgedanken des föderalistischen Baugesetzes der Bundesverfassung weitgehend folgen. Insoweit ist Welan rechtzugeben, wenn er die Bundesstaatlichkeit als Ordnungselement des österreichischen Verbändewesens bezeichnet. Die Organisation der freien Verbände ist hingegen als stark zentralistisch zu qualifizieren — ein Befund, den man aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Föderalismus, sondern auch unter dem Blickwinkel des liberalen Baugesetzes der Verfassung, wie es auch im Grundrecht der Vereinsfreiheit seinen Ausdruck findet, zu sehen hat.

In ihren Aufgaben aber, und zwar insbesondere dort, wo sie sich an den Staat als Adressaten wenden, sind die Verbände, der Tendenz des Adressaten folgend, in besonders starkem Ausmaß zentralistisch orientiert. So kann man aus einer Analyse der Funktionen der Kammern und Verbände in einem Bundesstaat die Struktur und den Stand des Föderalismus in diesem Staat ablesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung