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Die teuflische Logik der IRA-Terroristen

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Mit zwei Bombenexplosionen im Herzen Londons mit furchtbaren Auswirkungen und erheblichem Blutzoll haben die Terroristen im Dienste der nordirischen Untergrundorganisation IRA (Irisch Republikanische Armee) erreicht, was sie mit ihrer Untat anstrebten:

Die Weltöffentlichkeit ist alarmiert, Schrecken und Angst haben in England Platz gegriffen. Publicity, erklärtes Ziel des Terrors, ja. Aber im Sinne tiefer Abscheu vor hemmungsloser Gewalt, vor Verbrechen, um einer zweifellos brennenden nationalen Sache zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Logik der IRA ist teuflisch: Eine Bombe in der Hauptstadt wiegt zehn Explosionen in Nordirland auf, wo der Terror zum täglichen Leben gehört. Der Londoner jedoch muß sich erst an die ständig gegenwärtige Angst gewöhnen.

Wieder einmal ist die „Metropolitan Police” und Scotland Yard in Alarmstimmung. Die Sicherheitsvorkehrungen sind von den zuständigen Organen verstärkt worden, die nach den erschrek-kenden Pannen bei der Sicherung der königlichen Familie, nach Korruptionsfällen und Lücken in der Auswahl von königlichen Leibwächtern schwer in Mißkredit gebracht worden sind.

Sicher ist eines: Die Terroristen planen weitere Anschläge auf militärische Ziele, vielleicht auch auf Zivilpersonen. Die Wahl des Zeitpunktes ist nicht zufällig:

Im Laufe des Falkland-Konfliktes war die Aufmerksamkeit nach dem Südatlantik ausgerichtet. Die Hungerstreiks im Belfaster Maze-Gefängnis haben nicht die erwarteten Erfolge gebracht, ebensowenig wie die unmittelbar darauf folgenden tödlichen Anschläge vom letzten Oktober und November in und um London.

Eines ist geblieben: Die Polizei hat es mit einem geschickten und bestens ausgebildeten Gegner zu tun, dem bisher nicht beizukommen gewesen ist. Auch die IRA steckt in der Krise — ein Grund mehr, sich in Erinnerung zu rufen.

Die Angaben der sogenannten „Supergrasses”, der Informanten aus dem inneren Kreis der Terrororganisation, haben der Polizei wertvolle Hinweise gegeben, die zur Beschlagnahme von Explosionsstoffen und zur Entdeckung von Waffenlagern geführt haben. Trotzdem ist der Polizei bisher der große Coup verwehrt gewesen: Die Festnahme der Attentäter vom vergangenen Herbst, oder derer, die am 20. Juli die Explosionen im Hydepark und im Regentpark ausgelöst haben.

Der irische Terrorist in London tarnt sich geschickt: Er lebt nicht mehr zusammen mit irischen Landsleuten, die ständig verdächtigt werden, sondern in Paaren im gehobenen Milieu. Er hat seinen harten irischen Akzent abgelegt und gibt sich den Eindruck eines täglich zur Arbeit gehenden Bürgers, dermaßen verhindernd, daß Nachbarn auf ihn aufmerksam werden. Er ist, wie nie zuvor, ein Experte in der Anfertigung und Plazierung von Bomben.

Diese Waffen, auf Schleichwegen vom Kontinent über den Kanal gebracht, sind von höchster technischer Raffinesse. Das Sprachrohr der Terrorgruppe jubelte nach dem Blutbad: „Offen-' sichtlich ist es der IRA gelungen, das extrem schwierige logistische Problem zu Operationen in England zu lösen”.

Die Organisation der Organisation hat sich verfeinert, ebenso wie die einschlägige Ausbildung im Nahen Osten oder in entlegenen Grenzgebieten der Republik Irland. Die Stärke der IRA wird auf 2000 Mann geschätzt, davon 350 professionelle Terroristen. Sie sind in 50 „Aktiven Diensteinheiten” (ASU) organisiert, die meisten in Ulster.

Nach der Polizei zugegangenen Geheimdokumenten wird vermutet, daß vier solche Grundzellen in England, Schottland und Wales aufgebaut sind.

Die Grundzelle wird von einem Kommandanten geleitet, der die Signale und Einsatzbefehle aus der Zentrale in Dublin empfängt: Nur diesem sind die Mitglieder der Einheit namentlich bekannt: der Quartiermeister, dem die Sorge um den tödlichen Nachschub, um Unterkunft und Geldmittel obliegt; der Bombenexperte, der für den Transport Verantwortliche und schließlich der eigentliche Bombenleger.

Die neue Generation der „Pro-vos” steht in engem Kontakt mit deutschen, französischen, italienischen — ebenfalls linksgerichteten — Gesinnungsgenossen. An der selbstmörderischen Entschlossenheit dieser Gewalttäter zerbricht auch die Anstrengung der katholischen Kirche, dem Morden ein Ende zu setzen. Der irische Pfarrer Bobby Gilmour, der Kontakte zur IRA besitzt, hat die Gewalttäter aufgerufen, ihre Aktionen einzustellen und sich der Polizei zu stellen.

Ein absoluter Schutz vor Anschlägen ist aussichtslos, die Polizei konzentriert ihre Aktionen auf besondere potentielle Ziele: militärische Anlagen, Menschenansammlungen, Flughäfen und Bahnstationen.

Seit die „Prevention of Terrorist Act” (Gesetz zur Verhinderung des Terrorismus von 1976) in Kraft ist, sind mehr als 5000 mögliche Attentäter verhaftet und untersucht worden, der große Fisch ist aber noch nicht in das Netz gegangen. Die Mitarbeit der Bevölkerung mit dem „Antiterror-Kommando” ist aktiv. Obwohl die politischen Beziehungen zwischen London und Dublin eingefroren sind, klappt es doch in der Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane und Geheimdienste.

Doch die bange Frage bleibt: Wieviel Blutopfer werden noch gefordert, bevor der Terror besiegt ist?

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