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DIE THEOKRATIE SCHRECKT AB
Nach eigenen Angaben leben an die 200.000 Moslems in Österreich. Die Mehrheit kommt aus der Türkei. Aussagen darüber, wie hoch der kurdische Anteil ist, sind nicht zu bekommen. Auch eine Reihe von Gastarbeitern aus dem ehemaligen Jugoslawien sind Moslems.
In größeren Städten und vor allem in Wien gibt es eine Reihe von islamischen Gemeinschaften, die den Gläubigen zur Verfügung stehen. In manchen verkehren Fremdarbeiter, in manchen eher Studenten und Reisende. Bei allen findet der auskunftssu-chende Nichtmoslem bereitwillige Personen, die über ihre Religion Auskunft geben. Der Wunsch der einheimischen Bevölkerung, mehr über die Andersgläubigen zu erfahren, ist seit den blutigen Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina größer geworden.
Doch zwischen Auskunft geben beziehungsweise einholen und miteinander leben, sind große Unterschiede festzustellen. So kann in einem islamischen Zentrum durchaus gesagt werden, daß durch das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion Mischehen möglich sind, da Juden, Christen und Moslems an einen Gott glauben, in einem anderen, daß Moslems erst dann einen Partner aus einer anderen Glaubensgemeinschaft ehelichen können, wenn der Nichtmoslem zum Islam übergetreten ist.
Das größte Problem mit Menschen in westlichen Ländern haben Moslems mit dem Stellenwert der Familie. In einer Schrift, die vom Islamischen Zentrum am Hubertusdamm im 21. Wiener Gemeindebezirk zu beziehen ist, steht: „Die Familie, die den Kern der Zivilisation darstellt, ist in allen westlichen Ländern aufgelöst. Das Familiensystem des Islam führt einen genauen Ausgleich der Rechte des Mannes, der Frau, der Kinder und der Verwandten herbei. Der Islam stärkt die menschliche Selbstlosigkeit, Großzügigkeit und Liebe in einem gut durchorganisierten Familiensystem."
Unheilvolle westliche Einflüsse
Um die eigenen Kinder von dem Werteverfall der westlichen Gesellschaften fernzuhalten, ist eine Isolation nötig. Ein palästinensischer Arzt, der unter seinen Patienten eine Vielzahl von Moslems hat, sah sich mit folgendem Problem konfrontiert: Ein Mädchen aus einer streng gläubigen Familie hatte sich in einen jungen Mann verliebt, der seinerseits aus einer moslemischen Familie stammte. Da die beiden Familien zu unterschiedlichen islamischen Gruppierungen gehörten, wollten beide Familienclans von einer Verbindung nichts wissen. Der Arzt versuchte auf die Familien einzuwirken, daß die freie Partnerwahl in Österreich üblich sei und es kaum Möglichkeiten gäbe, die Kontakte abzubrechen. Vergebens. Die Schwelle zwischen den unterschiedlichen Gruppen war zu hoch. Erst als das Mädchen schwanger wurde, fand man sich ins Unvermeidbare und zwang förmlich die jungen Menschen, den Bund fürs Leben einzugehen.
Der Arzt vergaß bei der Darstellung dieses Falles nicht hinzuzufügen: Wäre der Freund des Mädchens ein Nichtmoslem gewesen, hätte man es aus dem Haus gejagt. Zur Schande wäre noch die Angst getreten, daß die Familie durch unheilvolle westliche Einflüsse zerstört werden könnte.
Arge Probleme bereiten den Moslems die üblichen Bezeichnungen wie „Mohammedaner" und „Mohamme-danertum". Für sie sind diese Worte falsche Benennungen des Islam, die nicht dem wahren Geist ihrer Religion entsprechen. Denn Islam ist kein neuer Glaube, der von Mohammed gegründet wurde, sondern Islam ist dem Wesen nach dieselbe Botschaft und Rechtleitung, die Gott allen seinen Propheten offenbarte.
Die Botschaft, die dem Propheten Mohammed geoffenbart wurde, ist der Islam in seiner umfassenden, vollständigen und endgültigen Form. Gleichzeitig weist der Islam jegliche Vorstellung eines auserwählten Volkes zurück, verlangt aber, daß der einzelne ohne Zwang und bereitwillig die Oberhoheit Gottes anerkennt und nach einer vollständigen Neugestaltung seines Lebens, gemäß den offenbarten Anweisungen Gottes, strebt.
Unannehmbare Vorstellungen
Das sind letztlich Vorstellungen, die Menschen in einer laizistischen Welt kaum oder gar nicht annehmen können. So wie für den Moslem die Vorstellung eines Dreifaltigen Gottes eher an die Vielgestaltigkeit hindui-stischer Gottheiten erinnert, schreckt den Nichtmoslem die Forderung nach Gründung einer Gesellschaftsordnung, in der die Rechtleitung Gottes verwirklicht wird.
Das alles ist den in Österreich arbeitenden Moslems wahrscheinlich gar nicht wirklich bewußt. Sie sehen nur, daß die Lebensäußerungen in dem Gastland (Verzehr von Schweinefleisch, aufreizende Kleidung der Frauen, zerrüttete Ehen, Alkoholismus und so weiter) ihrem anzustrebenden Lebensideal völlig diametral entgegengesetzt sind. Dazu kommt, daß die aus einfachen Verhältnissen Anatoliens stammenden Menschen sich am untersten Rand der Skala des Sozialprestiges wiederfinden und daher umso heftiger bestrebt sind, ihre Identität nicht völlig zu verlieren.
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