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Die Theologie gibt keine Anregungen zur Losung konkreter Probleme

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Das Bemühen um eine stärkere Attraktivität der sozialistischen Parteien für politisch interessierte Katholiken ist allenorts wieder forciert wahrzunehmen. Aus welcher Motivation immer die Diskussion gesucht wird — sie ist wichtig. Das Christentum und der Sozialismus sind die beiden am stärksten und nachhaltigsten motivierten geistigen Bewegungen.

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Das Bemühen um eine stärkere Attraktivität der sozialistischen Parteien für politisch interessierte Katholiken ist allenorts wieder forciert wahrzunehmen. Aus welcher Motivation immer die Diskussion gesucht wird — sie ist wichtig. Das Christentum und der Sozialismus sind die beiden am stärksten und nachhaltigsten motivierten geistigen Bewegungen.

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Sicherlich wird sich die Diskussion *mit der Frage befassen müssen, wie sozialistische Programme und politische Entscheidungen im Lichte dessen zu beurteilen sind, was sich aus dem christlichen Menschenbild ergibt. Das wird einen beachtlichen intellektuellen Aufwand und entsprechende Sachkenntnisse auf den betroffenen Gebieten der Staats-, Rechts-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialpolitik erfordern. Die politische Grundsatzdiskussion wird damit voll in Fahrt kommen.

Die Frage ist nun zunächst, wieweit wir für eine solche Diskussion im Räume der Kirche und vor allem insbesondere im Räume der politisch engagierten katholischen Intelligenz gerüstet sind. Ihrem Auftrag gemäß ist es wohl in erster Linie die Katholische Sozialakademie, die dazu berufen ist. Dort wären die Entwicklungen zu analysieren, das Material aufzuarbeiten, Ideen zu konfrontieren und insbesondere der Rahmen dessen abzustecken, was an gängigen gesellschaftspolitischen Vorstellungen mit dem vereinbar ist, was wir als das dem Unabdingbar-Wesentlichen des Menschen und seines Zusammenlebens in der Gesellschaft erkennen.

Ihre Oktober-Tagung, in der sie der Spitze der sozialistischen Parteiintelligenz den holländischen Jesuitensoziologen Harry Hoefnagels gegenüberstellte, war offensichtlich nicht sehr glücklich angelegt. Nach den Erfahrungen mit. dem Agieren der KSÖ seit dem Tode ihres Gründers P. Dr. Kiener SJ ist zu fürchten, daß dieser Mißgriff kein unglücklicher Zufall gewesen ist.

Die Katholische Sozialakademie ist heute — im Gegensatz zu der breiten Plattform, die ihr seinerzeit ihr Gründer gegeben hatte — ein EinMann-Betrieb, was die Konzeption und was die Strategie betrifft. Was für die künftige Diskussion noch wichtiger ist, als die Ansicht eines holländischen Soziologen, ist ihre Position. Diese wird heute einzig und allein durch ihren Direktor P. D. Herwig Büchele SJ bestimmt.

Vor wenigen Monaten ist Herwig Bücheies gesellschaftspolitisches Credo erschienen*. Ein aufmerksamkritisches Studium erklärt manche Fehlleistungen der Sozialakademie.

Konkrete soziale „Knotenpunkte“ sind für Büchele die Mitbestimmung und Miteigentum. Im „ökonomischen System“ verlangt er mittels Unternehmensverfassung, überver-bandlicher und supranationaler Mitbestimmung und eines ökonomischen Lenkungssystems eine (offenbar neu definierte) „ökonomische Rationalität“. Dadurch soll das einzelne Unternehmen „nicht gezwungen werden, all sein Planen und Tun den Gewinn-, Wachstums- und Machtkalkülen unterzuordnen“. Wobei er offensichtlich und ohne jeden Versuch einer Begründung Gewinnorientierung und Konkurrenzsystem mit „Ausbeutung der Ware Arbeitskraft“ gleichsetzt.

Büchele schwebt eine völlig neue „Verfassung“ der Betriebe vor: alle seine Leitungs- und Kontrollorgane sind von den Betriebsangehörigen „demokratisch zu legitimieren.“ Dabei soll es von der „gesellschaftspolitischen Relevanz“ des Unternehmens abhängen, „inwiefern es tunlich ist, einen oder mehrere Vertreter des öffentlichen Interesses in der Unternehmensleitung zu verankern, um die Verpflichtung der Unternehmensleitung gegenüber dem sozialen Ganzen abzusichern. Weisungsbefugnis könne daher nicht allein abgeleitet werden aus dem „Bezug von Wissen und Sache“, sondern sei grundsätzlich sozial vermittelt — Und das angesichts der mehr als zwanzigjährigen Erfahrungen mit dem Arbeiterräte-System in Jugoslawien !

Mit diesem System soll der „Autoritätskonflikt“ gelöst werden, und so der „Verteilungskonflikt“: Da der Mensch nichts hervorbringt, was er nicht empfangen hätte, ist alles Eigentum nur Mit-Eigentum, vor allem bezüglich der Produktionsmittel, über „die Abfindung durch Gehalt und Lohn hinaus“. Wieso das Preisgefüge in einer so gearteten Wirtschaftsordnung „viel eher Ausdruck der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeit sein wird“ und inwiefern diese Unternehmensverfassung erlaubt, „zugleich der .öffentlichen Armut' und dem inflationären Wettlauf zwischen Preisen und Löhnen zu Leibe zu rücken“, bleibt unklar. Die auf einer solchen Betriebsverfassung basierende Verteilungsgerechtigkeit — offenbar nicht nur zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie zwischen Investition und Konsum, sondern auch zwischen dem Staat und dem privaten Sektor! — soll auch die Wege zu einem gerechteren Zugang zu den Bildungs-, Freizeit- und Kulturchancen für alle Menschen öffnen.

Für die Erwartung, daß ein nach den Vorstellungen des Autors organisiertes Wirtschaftssystem eine Rezession mildern würde, fehlt jede Begründung. Weder schließt die betriebliche Räteverfassung die heute wirkenden Rezessionsursachen aus, noch lassen sich die zum neuen Aufschwung notwendigen Anpassungen in der Arbeitsmarktstruktur durch Solidarität ersetzen, noch ist zu erwarten, daß die Freistellung nicht benötigter Arbeitskräfte durch den Betriebsrat nach gerechten Selektionsprinzipien vor sich geht.

Es ist nicht “die „Wucht der ökonomischen und sozialen Gesetzlichkeit“, die Büchele offenbar mit der „Macht des Materiellen“ gleichsetzt, und die der Autor meint, mit der (mißverstandenen) Berge versetzenden Kraft des Glaubens überwinden zu können. Was seiner Rezeptur entgegensteht, ist ganz einfach die Natur des Menschen und der Voraussetzungen seines Zusammenlebens. Diese läßt wohl meistens mehrere Möglichkeiten ihrer Gestaltung zu, viele hingegen schließt sie aus, darunter wohl auch die von Büchele konzipierte. Warum eine solche Gesellschaftsordnung, die weder „konkret-möglich“, noch ein „relativ-bestes System“ wäre, das Christsein in der Gesellschaft „besser lebbar“ machen würde, bleibt unverständlich.

Sicherlich, viele der heute brennenden Probleme sind nur weltweit zu lösen, und es ist eines jener Paradoxa der Zelt, daß die Menschheit sie immer noch mit den Mitteln des souveränen Nationalstaates lösen will. Nach dem bisher Gehörten verwundert jedoch die Einfachheit des Rezeptes nicht mehr, das Herwig Büchele empfiehlt: Mittels eines Weltparlaments mit legislativen und administrativen (!) Kompetenzen, das auf Grund eines Weltrahmenplans alle anstehenden Probleme zu lösen hat und insbesondere die weltweiten riesigen Produktionsstätten „aus der Privatverfügung einiger Supermana-ger in das Gemeineigentum der Menschheit überführen und ihre Verwaltung qualifizierten Vertretern der supranationalen Organisationsbehörden“ übertragen soll.

Sicherlich ist die „Verwirklichung eines humanen gesellschaftlichen Systems“ zu suchen, wobei es — auch darin ist Büchele zuzustimmen — um die Tendenzwende vom Quantitativen zum Qualitativen sowie auch die Entwicklung zur „planetarischen Einswerdung der menschlichen Geschichte“ geht, mit dem Ziel der Sicherung der „Freiheit und existentiellen Selbstverwirklichung“ des Menschen.

Womit aber läßt sich das enorme Manko erklären, sobald der Autor konkret wird? Es sind vor allem zwei Gründe, die sich häufig charismatischen Sozialreformern in den Weg stellen. Erstens ist es die Annahme, es gehe noch um zwei die „Welt von heute in erster Linie beherrschende, grundtypische Gesellschaftssysteme — das liberali-stisch-kapitalistische und das marxistisch-leninistische“, die sich „zunehmend als unfähig erweisen, das Problem des Weltfriedens, der sozialen Gerechtigkeit und Freiheit und das der Rettung der Lebenswelt zu lösen“. Wer heute noch nach einem „dritten Weg“ sucht, macht sich die Sache zu leicht. Er ignoriert die gesamte Entwicklung der sozial- und wirtschaftstheoretischen und der praktisch-politischen Erfahrungen seit hundert Jahren.

Die zweite Quelle des Irrweges ist der Irrtum, aus der Theologie Anregungen für die Lösung konkreter sozialer Probleme erwarten zu können. Ganz besonders ungeeignet ist die Symbolik der selbst im theologischen Begriff nicht voll zu fassenden Dreifaltigkeitslehre, um daraus Richtlinien für die soziale Gegenwart abzuleiten. Was heißt da ein Satz wie: „In der Trinität ist das Personale überhaupt nur sozial“? Die Dreieinigkeit ist doch jedenfalls keine „Gesellschaft“ im Sinne der Gesellschaftslehre!

Das, was wir nicht nur auf Grund jüngerer Erfahrungen, schon aus einer langen humanitär-christlichen Tradition in der Erforschung der Grundgesetze des menschlichen Zusammenlebens wissen, spricht dagegen, daß die vom Direktor der Katholischen Sozialakademie skizzierten vermeintlichen Ordnungselemente als Antwort auf die Frage akzeptiert werden können, was „Sein und Anspruch des christlichen Glaubens mitten in der Not unserer sozialen Auseinandersetzungen für die konkrete Realisierung des gesellschaftlichen Systems und seiner Strukturen“ bedeuten.

• CHRIST SEIN IM GESELLSCHAFTLICHEN SYSTEM, Sozialethische Reflexionen über den Zusammenhang von Glaube und sozio-ökonomischen Strukturen, hg. von der KSÖ in der Reihe „Soziale Brennpunkte“ des Europa-Verlags, Wim 1Ü7B.

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