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DIE TOTEN RUHEN UNGESTÖRT

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FURCHE: Wie beurteilt der letzte lebende Divisionspfarrer aus der 6. Armee heute „Stalingrad" ?

ALOIS BECK: Stalingrad ist ein leidiges Thema, dem Prestigedenken Hitlers entsprungen. Alle vernünftigen Generäle hatten gewarnt, nach Stalingrad zu ziehen. Am 15. August 1942 hatte ich am Don, bei Tatjan-kimskaja Gelegenheit, den damaligen Generaloberst Paulus im Gespräch mit meinem Divisionskommandeur, General Pfeffer, zu fotografieren und ein anderer Kamerad hat mich dabei selber fotografiert. Ich wurde ungewollt Zeuge eines sehr wichtigen Gesprächs, denn neben Paulus stand der Adjutant Hitlers. Paulus erklärte deutlich, die 6. Armee sei zu schwach, um Stalingrad einzunehmen, man solle das Hitler sagen. Von den zuständigen Generälen war also in aller Deutlichkeit und ohne Angst schon Mitte August im Klartext gesagt worden, was passieren wird.

FURCHE: Wie haben Sie das Sterben Ihrer Kameraden erlebt?

BECK: Für Gefühlsregungen hatte ich keine Zeit, das war auch nicht angebracht. Vielfach bin ich am Bauch gelegen. Über den Rücken hatte ich ein gut verschließbares Ziborium geschnallt, in dem sich konsekrierte Hostien befanden, sodaß ich nicht nur das Bußsakrament spenden, sondern auch die Kommunion bringen konnte. Grundsätzlich habe ich dann noch den allermeisten eine Feldpostkarte an Angehörige nach Hause geschrieben, weil sie nicht mehr fähig waren, selbst zu schreiben. Am Schluß versuchte ich die Hand des Verwundeten zu führen, damit die Leute merkten, der lebt ja noch.

FURCHE: Zeitungs- und TV-Berichte haben jüngst gezeigt, daß die Toten von Stalingrad seit 50 Jahren unbestattet herumliegen.

BECK: Ich weiß nicht, was Bildjournalisten veranlaßt, solche Bilder zusammenzubauen: Was hier gezeigt wird, macht deutlich, daß es sich um zusammengesuchte Köpfe und Knochenhandelt. Damit verunsichert man nur viele Hinterbliebene, wie viele Anfragen bei mir zeigen. Ich erkläre authentisch: Im Kessel von Stalin-

grad konnten die Toten zunächst wegen der großen Kälte - 30 Minusgrade - natürlich nicht bestattet werden, daher hat man sie wie einen Scheiterhaufen aufeinandergeschlichtet, was eine eminente Seuchengefahr bedeutete, wenn es taute. Seuchen wollte auch Stalin nicht haben. Daher gab er Mitte März 1943 den Befehl, daß deutsche Kriegsgefangene mittels Panjewagen die im Raum Stalingrad liegenden Leichen einsammeln und zu einem der sechs Panzergräben bringen sollten. Die deutschen Kriegsgefangenen bemühten sich sehr, ihre toten Kameraden zu bestatten, aber sie selbst waren schwer unterernährt, krank, hatten Fleckfieber.

Das Schlachtfeld, auf dem die Leichen lagen, hat eine Ausdehnung von 30 mal 35 Kilometer. Das konnten die

Kriegsgefangenen unmöglich abgehen, durch den starken Ostwind waren außerdem viele Leichen verweht. Es war also damals unmöglich, alle Leichen zu finden und in die Panzergräben zu bringen.

Aber, man hat sehr genau gearbeitet und 154.600 Tote gesammelt und beerdigt. Beiderseits der Panzergräben war Erde aufgeschichtet und mit dieser wurden die Toten fünf Meter hoch bedeckt. Die Sowjets haben 1980 anständigerweise auf diesen Panzergräben, die sich ringförmig westlich von Wolgograd durch die Steppe ziehen, Rotföhren gepflanzt, sodaß die Leichen nicht gestört werden können. Natürlich ist es möglich, da und dort noch Skelette zu finden, aber die Wahrheit ist, daß der Großteil der Toten von Stalingrad anständig begraben wurde. Allzuviele Skelette können nicht mehr dort liegen. Notwendig wäre, daß sich das Schwarze Kreuz dieser Sache annimmt und Suchtrupps nach Wolgograd schickt. Was Zeitungen und Fernsehen berichten, ist unverantwortlich.

FURCHE: Stellten Ihnen damals Soldaten die Gewissensfrage, ob der Krieg gerecht war?

BECK: Ich war katholischer Divisionspfarrer und das war keine Frage für mich, ich hatte ja keine richterliche Tätigkeit. Ich muß diese Frage zurückweisen. Ich kann mich nicht erinnern, daß dieses Problem direkt ausgesprochen wurde. Natürlich wurde allgemein gejammert und geschimpft, nicht diplomatisch geschliffen, sondern in rauhem Soldatendeutsch, insbesonders als es immer dreckiger wurde.

FURCHE: Was war der Sinn des Opfers von Stalingrad?

BECK: Die Frage nach dem Sinn des Krieges ist eine Angelegenheit von Geschichtswissenschaftlern. Ich kann nur die Aussagen durchaus bedeutsamer Generäle über die Chancen vergleichen mit dem, was ich in Stalingrad in natura erlebte. Privat habe ich meine Schlußfolgerungen gezogen.

FURCHE: Welche? War das etwas Böses, an dem Sie teilnehmen mußten?

BECK: Kein Mensch kann sich das Zeitalter aussuchen, in das er hineingeboren wird. Ich wurde in einem Zeitalter der Diktatoren geboren. Kaum daß ich meinen Beruf als junger Seelsorger angetreten hatte, merkte ich von diesem Zeitalter. Von einem fanatischen Kreisleiter wurde ich von meinem ersten Posten als Jugendkaplan weggeholt, durch den Bann-führer einer Stadt im nördlichen Niederösterreich erfuhr ich meine Entfernung aus dem Gymnasium als Religionsprofessor, der Kreisleiter drohte mir die Einweisung nach Dachau an, sollte ich mich weiter seelsorgerisch betätigen. Ich entging dem nur durch die rasche Einberufung. Ich konnte das nicht ändern, daß ich in dieser Zeit leben mußte. Bei vielen herrscht der Irrglaube vorjeder Wehrmachtsangehörige war ein Nazi. Von meinem Standpunkt aus, sieht das ein bißchen anders aus. Als Feldgeistlicher wollte ich helfen, wo mir das möglich war - vor allem seelsorgerisch und manchmal natürlich auch in sehr ernsten Gesprächen mit durchaus entscheidungsmächtigen Menschen. So konnte ich Verbesserungen dort erreichen, wo die physische und psychische Belastbarkeit von Soldaten offenbar erreicht war. Das gab es. Nie jedoch habe ich Waffen gesegnet, das ist auch eine Fehlinformation, die weit verbreitet ist.

Mit dem ehemaligen Pfarrer der 297. Division, Prof. Dr. Alois Beck, Autor des Buches „Bis Stalingrad" - er überlebte, weil er vom Divisionsarzt wegen schwerer Gelbsucht einen Ausflugschein ausgestellt bekommen hatte - sprach Franz Gansrigier.

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