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Die totgeborene Demokratie

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Ein Operettenputsch schlug fehl. Was nun folgt, könnte sich sehr bald als Tragödie für die Portugiesen erweisen — und als Menetekel für alle jene, die sich, in welchem Land auch immer, den Übergang von eingetrockneten autoritären Regimes der harten Hand zu demokratischen, pluralistischen Verhältnissen erhoffen. Denn in die Sackgasse, in die Portugal nun immer tiefer hineingerät, wurde es nicht so sehr von der Kommunistischen Partei manövriert wie vielmehr von einer offenbar sehr breiten Schicht junger Militärs, in deren Köpfen sich unausgegorene, wahrscheinlich sehr weit links von der KP angesiedelte Ideen mit einem ausgeprägten Willen zur Machtausübung vereinen.

Eine Bestandsaufnahme der portugiesischen polltischen Szene nach dem mißglückten Spinola-Putsch fällt trostlos aus — trostlos jedenfalls für adle, die noch auf eine pluralistische, parlamentarische Demokratie 'hoffen. Die bürgerlichen Parteien, deren Lokale schon vor Monaten zum großen Teil in Flammen aufgingen, wurden mittlerweile total zerschlagen. Die äußerste Rechtspo-sition im Spektrum der noch intakten politischen Kräfte bildet die ideologisch auf dem Boden der Sozialistischen Internationale stehende Sozialdemokratie, doch fragt sich, ob ihr stärkster und profiliertester Exponent, Soares, bei Erscheinen dieses Blattes noch seine Funktion als Außenminister innehat. Das Überleben der portugiesischen Sozialdemokratie als einer die Zukunft des Landes in zentraler Funktion mitbestimmenden Kraft wäre für ein nicht-totalitäres Portugal von entscheidender Bedeutung, doch ist unverkennbar, daß Soares schon seit längerer Zeit stärker an den Rand gedrängt wurde.

Das Situation wird bestimmt von der Kommunistischen Partei und den links von ihr stehenden Kräften. Außerhalb des „Revolutionsrates“ der Armee, also im eigentlich politischen Bereich, ist die KP die einzige disziplinierte Ordnungsmacht. Ihr Einfluß innerhalb des Revolutionsrates ist nicht abschätzbar. Der Rest, ob innerhalb oder außerhalb der Armee, ist chaotische Gärung und bietet dem skrupellosen Willen zur Macht hervorragende Bedingungen, sich durchzusetzen.

Portugal scheint jetzt noch drei Möglichkeiten zu haben: die unwahrscheinlichste, aber hoffnungsvollste, daß es der Sozialdemokratie im Macht-Clinch mit den Kommunisten doch noch gelingt, das Steuer in Richtung auf eine Demokratisierung herumzulegen. Zweitens: Machtergreifung der Kommunisten mit allen berechenbaren Folgen, wie Totali-tarismus im Inneren und einer gegen die NATO (soweit es diese überhaupt noch gibt) gerichteten, aber doch in den globalen US-UdSSR-Konsensus eingepaßten Außenpolitik. Drittens aber darf auch die Möglichkeit einer „libyschen“ Entwicklung zur chauvinistischen Despotie nicht übersehen werden.

Viele Mitteleuropäer sehen Portugal historisch, kulturell und politisch viel zu sehr als Spaniens Anhängsel am Rande der Iberischen Halbinsel, was Portugal gewiß nicht ist. Die portugiesische Mentalität mit ihrem starken maurischen Erbe und ihrer Neigung zu unkontrollierten Spontanreaktionen, ihrer Empfänglichkeit für Gefü'hlsappelle läßt dieses Land wie geschaffen erscheinen, einer messianischen Führergestalt im Stile eines Oberst Ghaddafi zum Opfer zu fallen. Es ist leicht auszurechnen, daß eine solche Entwicklung jede verbliebene Demokratisierungsihoff-nurag wahrscheinlich noch nachhaltiger zunichte machen könnte als selbst ein Machtbündnis zwischen Sozialisten und Kommunisten.

Wie immer die Wahlen ausgehen mögen, der Revolutionsrali zeigt schon jetzt tonmer weniger Bereitschaft, sich von gewählten Politikern etwas dreinreden zu lassen. Die eigentliche Auseinandersetzung um Portugals Zukunft findet im Schoß der Armee statt. In Köpfen, die gelernt haben, zu gehorchen und zu befehlen, nicht aber politische Ideen zu entwickeln.

Spinola war repräsentativ für eine Generation politisierender Generäle mit demokratischen, pluralistischen Leitbildern. Generäle wie Spinola führten beispielsweise 1960 die Türkei zurück zur Demokratie. Die jungen Militärs, die Spinola bald nach dem April 1974 zu überspielen beT gannen, sind sicher ebenso typisch für ihre Kameraden in vielen anderen Armeen und bieten einen Vorgeschmack dessen, was als Ergebnis eines Militärputsches etwa in Spanien oder in der Türkei heute zu erwarten wäre. Heute verbreitet sich der Ghaddafismus in dem Köpfen politisierender Jungoffiziere so rasant wie einst der Nationalismus faschistischer Prägung, von dem er sich ohnehin nicht allzusehr unterscheidet.

Dabei erscheint durchaus nicht unwahrscheinlich, daß der Spielraum der portugiesischen Politik des letzten Jahres nicht nur von links, sondern auch von rechts eingeengt wurde, daß dem Willen zur Macht von links der Wille zur Rückkehr an die Macht von rechts gegenüberstand und daß auch zu seiner Ermutigung und Unterstützung starke Kräfte bereitstanden.

Daß Spinolas zweiter Putsch den Gehirnen jener entsprang, die die Macht zurückerobern wollten, erscheint allerdings mehr als zweifelhaft. Der Amateurismus der Putschisten und der eindrucksvolle Professionalismus jener, die ihn niederschlugen und, ein wenig an Hitlers Ausnützung des Reichstagsbrandes erinnernd, für ihre eigenen Zwecke benützten, verrät eine andere Handschrift. Nicht unwahrscheinlich, daß Spinolas Gegner den General in dieses Abenteuer gehetzt haben, um ihn und die letzten Reste bürgerlicher Kräfte loszuwerden.

Zwischen den Diktatoren von gestern und den Diktatoren in spe haben sich die Kräfte der portugiesischen Demokratie bislang als schwach, als zu schwach erwiesen. Portugals letzter und einziger verläßlicher Demokrat scheint noch der Sozialist Soares. Sollte auch er stürzen, wird sich wohl die Ansicht durchsetzen, daß Portugal, nach den langen Jahrzehnten der Diktatur, unter den heute herrschenden Bedingungen keine Chance hatte, eine Demokratie zu werden — eine totgeborene Demokratie. Die politische Realität als geschichtliche Notwendigkeit — unserer Weisheit letzter Schluß.

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