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Die Trennung muß nicht zur Katastrophe werden

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Die Trennung, die sich unter dem rasch gefundenen Titel „Scheidung auf bayerisch“ zwischen den Unionsparteien CDU und CSU vollzog, ist\ weit mehr als es dieses mehr die lokalen Umstände der Trennung umreißende Schlagwort ausdrückt. Weniger das, was sich in den Tagen nach der Sitzung der CSU-Landesgruppe vordergründig kontrovers abspielte, beansprucht das Interesse, sondern die damit vollzogene Weichenstellung für eine der führenden konservativen politischen Kräfte in Westeuropa, für das, was man vor der Trennung noch als „die Union“ bezeichnen konnte. Mit der Entscheidung der CSU-Parlamentarier sieht sich vor allem die CDU schlagartig vor die Aufgabe gestellt, die Zielrichtung ihrer Politik klar zu bestimmen. Eine Aufgabe, vor der sich diese Partei seit ihrem Abschied von der Macht, nicht zuletzt im Bemühen um einen Ausgleich mit der bayerischen Schwesterpartei, herumgedrückt hat

Es sollte wundern, wenn die entscheidenden Männer in der CSU und dabei natürlich vor allem Franz Josef Strauß, dies nioht gesehen hätten. Ein Kommentator bemerkte nach Bekanntwerden der überraschenden Trennung, daß die dafür von der CSU angegebenen Gründe alle Hühner laut auflachen ließen. Denn ein gerade nach eigenen Worten die großen ge; schichtlichen Linien sehender Politiker, wie Strauß, kann eine so folgenreiche Entscheidung, wie die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, nicht allein mit Vorteilen im parlamentarischen Geschäft rechtfertigen. Was sind vermehrte Redezeiten im Bundestag, ein paar Posten mehr und dazu noch einige Millionen Mark dagegen, daß sich auf einmal dem Wähler, selbst ohne direkte Konkurrenz der beiden Parteien in Bayern oder in Norddeutschland, zwei sehr verschiedene Parteien konservativen Zuschnitts präsentieren?

Es ist müßig, darüber zu rätseln, wann, wie und ob überhaupt die CSU sich auch auf andere Teile des Bundesgebiets ausbreiten wird. Es stehen zwei Parteien nebeneinander, die sich in ihrer Zielrichtung, in ihren Schwerpunkten unterscheiden. Die Bundesrepublik könnte damit zu einem Experimentierfeld des europäischen politischen Konservatismus werden. Denn die CDU muß, soll die ganze Trennung überhaupt einen tieferen Sinn haben, die bisher wegen der CSU vernachlässigten Elemente ihrer Politik stärker betonen. Das heißt, daß bei ihr liberale Gedanken und die Sozialverantwortung von Eigentum und Handeln bestimmender werden dürften. Sie müßte sich als eine Partei der Mitte präsentieren, die auch für jene wählbar ist, die heute noch FDP wählen oder im rechten Spektrum der SPD ihr Zuhause haben. Die CSU dagegen dürfte sich als eine Partei der Mitte darstellen, die ihren konservativen Charakter unterstreicht und jene Unzufriedenen anspricht, denen die CDU zu liberal ist und die sich deshalb zuletzt in den Schmollwinkel politischer Abstinenz zurückgezogen haben.

Dieses Auseinandergehen von zwei Richtungen in der Union war bereits vor den Bundestagswahlen deutlich geworden, als keine gemeinsame Haltung gegenüber der FDP gewonnen wurde. Auf der einen Seite jene, die sich der FDP nähern wollten und für die vor allem die niedersächsische CDU stellvertretend genannt werden kann, die dies keineswegs nur zur Absicherung ihrer Minderheitssituation tat. Auf der anderen Seite stand vor allem die CSU, die eine klare Gegnerschaft zur FDP befürwortete, ja deren weitgehende Eliminierung aus der politischen Entscheidungsebene anstrebte.

Es kann nun die Situation eintreten, daß gerade dadurch, daß die CSU nicht mehr den liberaleren CDU-Kurs mitmacht, das von der CSU gewünschte Ziel der Ausschaltung der FDP erreicht wird. Es könnte eigentlich kaum dadurch geschehen, daß die noch phantomartig herumgeisternde Vierte Partei der FDP die Stimmen wegnimmt Aber eine liberale CDU könnte sehr wohl für viele FDP-Wähler attraktiv werden. Bei der FDP erkannte man dies sehr genau und zog, nach anfänglichem Triumphieren über den Unions-Streit, recht nachdenklich voni Frankfurter Parteitag nach Häus^C T>enW der FDP feäffrV'esf passieren, daß sie sogar unter die Fünf-Prozent-Marke sinkt, wenn die CDU für bisherige FDP-Wähler attraktiv wird. Aber selbst wenn dies nicht der Fall ist, wäre sogar auf längere Sicht eine Annäherung zwischen SPD und CDU denkbar, auch hier eine Öffnung der CDU nach links vorausgesetzt.

Noch steht die Entscheidung aus, ob die CDU sich nun deutlicher in der angegebenen Richtung profilieren wird. Das geistige Rüstzeug und die Personen dafür hätte sie. Es wird für die CDU ein schwieriger Prozeß werden, weü sie endgültig von ihrer Organisation als „Kanzlerwahlverein“ Abschied nehmen muß. Würde sie diese Entwicklung sofort mit einer Ausdehnung nach Bayern verbinden, wäre dies eine zusätzliche Belastung, würde auf der anderen Seite aber gerade zur Klärung der eigenen Position wesentlich beitragen. Denn dann stünde sie in direkter Konkurrenz zur CSU und müßte sich klar von dieser abheben. Zweifellos sind im protestantischen Franken starke Kräfte, die zu dieser Konfrontation bereit wären. Gerade in diesen von den altbayerischen CSU-Stammlanden recht verschiedenen Gebieten hatte die CSU in den zurückliegenden Jahren deutliche Erfolge. Es würde also genügen, wenn allein in diesem Gebiet das direkte Nebeneinander der beiden Unionsparteien bestünde, um den in der Trennung liegenden grundsätzlichen programmatischen Prozeß komprimiert zur Entwicklung kommen zu lassen.

Eigentlich dürfte diese Unions-Konfrontation, Vitalität und Aufgeschlossenheit auf beiden Seiten vorausgesetzt, nicht zur Katastrophe der bundesdeutschen Konservativen werden. Es könnte vielmehr eine lange hinausgeschobene Klärung erfolgen. Hektische Reaktionen in der ersten Zeit der Trennung, Ungeschicklichkeiten und Unhöflichkeiten auf beiden Seiten, persönliche Animositäten Und getarnter Ehrgeiz lassen es jedoch auch nicht ausgeschlossen erscheinen, daß die mit der Trennung gegebene geradezu historische Chance vertan wird und stattdessen eine Phase gegenseitiger „Haxelbeißerei“ beginnt.

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