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Die Türkei und Europa"

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Kürzlich befaßte sich die parlamentarische Versammlung des Europarates mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Armee in der Türkei. Oer Verfasser dieses Beitrages, Berufsdiplomat und ÖVP-Abgeordneter, .wurde zum Berichterstatter der Kommission Tür politische Angelegenheiten gewählt.

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Kürzlich befaßte sich die parlamentarische Versammlung des Europarates mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Armee in der Türkei. Oer Verfasser dieses Beitrages, Berufsdiplomat und ÖVP-Abgeordneter, .wurde zum Berichterstatter der Kommission Tür politische Angelegenheiten gewählt.

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Nach Artikel 3 der Statuten kann nur ein Staat Mitglied des Europarates sein, der in einem demokratischen Regierungssystem über ein frei gewähltes Parlament verfügt. Im Zusammenhang mit der Übernahme der-Regierungsge-walt durch die türkische Armee und der damit erfolgten Auflösung des Parlaments und der Parteien sowie der Inhaftierung von Abgeordneten hat die Parlamentarische Versammlung daher festgestellt, daß jede nichtkonstitutionelle Machtübernahme, die das demokratische System ausschaltet, unvereinbar mit den Prinzipien des Europarates ist.

Eine Institution wie der Europarat hätte keine Daseinsberechtigung, würde sie ihre Prinzipien nicht strikt beachten. Wenn es darüber zu befinden galt, ob auf die Machtübernahme durch die türkische Armee am 12. September 1980 mit einem sofortigen Ausschluß der Türkei aus dem Europarat, einer Suspendierung der Mitgliedschaft, einer abwartenden Haltung oder gar einer reaktionslosen Hinnahme der Ereignisse reagiert werden sollte, konnte doch nicht nur eine rein formalistische Entscheidung gefällt, es mußte eine politische getroffen werden.

Man konnte die zunehmende Auflösung aller staatlichen und politischen Institutionen in der Türkei vor dem 12. September ebensowenig übersehen wie die Kriegsgefahr in unmittelbarer Nähe der Türkei. In den Überlegungen der Parlamentarischen Versammlung spielte auch eine Rolle, daß noch im letzten Jahrzehnt einige Völker Europas bittere Erfahrungen mit autoritären Regimen gemacht haben. Dies konnten die Abgeordneten Spaniens, Portugals oder Griechenlands nicht einfach verdrängen.

Andere wieder sahen die demokratischen Institutionen in ihren eigenen Ländern gerade jetzt Gefahren ausgesetzt. Daher sollte die Machtübernahme der türkischen Armee nicht als Muster einer europäischen Problemlösung dargestellt werden.

Für die meisten Abgeordneten war neben der Überzeugung, daß die Probleme eines Landes mit Gewalt allein nicht dauerhaft gelöst werden können, bei Beschlußfassung auch die Bekundung der Solidarität mit jenen wichtig, die wegen ihrer politischen Überzeugung Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Daher mahnte die Versammlung die gegenwärtige türkische Regierung an ihre Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte sowie der Grund- und Freiheitsrechte.

Die neue türkische Regierung hat noch am Tag der Machtübernahme den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung davon verständigt, daß sie die Möglichkeiten des Artikels 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention auszuschöpfen genötigt sei. Dieser Artikel sieht vor, daß in Fällen kriegerischer Bedrohung oder innerer Unruhen die Bürgerrechte für eine gewisse Zeit ausgesetzt werden könnten.

In 22 Provinzen, bevölkerungsmäßig dem größten Teil der Türkei, bestand dieser Ausnahmezustand bereits vor dem 12. September. Die Militärregierung hat mit dieser Mitteilung jedoch auch ein erstes Zeichen gesetzt, daß ihr an der Einhaltung der Verpflichtungen gegenüber dem Europarat gelegen ist.

Die Nachrichten, daß 50 türkische Abgeordnete unter Hausarrest oder in Gefängnissen waren, unter ihnen zwei Mitglieder der türkischen Europaratsdelegation, beeinflußten die Beratungen. Überraschenderweise erschienen vier türkische Abgeordnete zur parlamentarischen Versammlung, darunter der Abgeordnete Günes von der Republikanischen Volkspartei Ecevits, und Akcali von der Gerechtigkeitspartei Demireis.

Diese Abgeordneten haben ein sehr eindrucksvolles Bild der politischen Situation in der Türkei vor dem 12. September gegeben und darauf hingewiesen, daß ein totales politisches Vakuum bestanden habe, viele Institutionen des Staates nicht mehr funktioniert hätten. Sie sprachen auch vom schweren Blutzoll, den der nur halbherzig bekämpfte Terror gefordert hatte.

Schließlich legten sie dar, daß es zu den verfassungsmäßigen Aufgaben der türkischen Armee gehöre, für die Demokratie einzutreten. Es sei kein Offiziersputsch erfolgt - etwa wie 1967 in Athen -, sondern die Armee als Institution habe vorübergehend das politische Vakuum ausgefüllt.

Die türkische Armee, so wurde in Erinnerung gerufen, habe bereits zweimal in der neueren Geschichte eine ausweglose politische Situation durch ihr Eingreifen bereinigt und es hätten dann immer wieder demokratische Wahlen stattgefunden. Es sei zu hoffen, daß die 1981 fälligen Parlamentswahlen auch abgehalten würden.

Bei vielen Abgeordneten haben die Erklärungen der türkischen Abgeordneten zur Lage in der Türkei starken Eindruck gemacht. Mehrheitlich war man der Meinung, daß gegenwärtig gegen die Türkei in ihrem Verhältnis zum Europarat keine definitiven Schritte gesetzt werden sollten, um der neuen Regierung einmal Zeit zu geben, ihre Versprechen in Taten umzusetzen.'

Bei den Diskussionen um die Abän-derungsanträge waren vor allem zwei Punkte umstritten: die an die neue türkische Regierung gestellte Forderung nach Einhaltung der Empfehlung betreffend die Abschaffung der Todesstrafe und die Erinnerung daran, daß entsprechend Artikel 8 des Europarat-Statutes (betrifft den Ausschluß bzw. Suspendierung) Maßnahmen unvermeidbar wären, sollte es nicht zu einer baldigen Demokratisierung in der Türkei kommen.

Diese etwas scharfen Formulierungen machten es_den türkischen Abgeordneten unmöglich, für die Empfehlungen und Weisungen zu stimmen. Den Bericht hingegen empfanden sie als ausgewogen und nahmen ihn zur Kenntnis.

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