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Die Türken vor Wien

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Fast zur selben Zeit, als sich Österreich in seinen Umrissen staatlich und militärorganisatorisch als Bereich der erblichen Lande der Habsburger rund um das alte (Erz-)Herzogtum „Oster- riche” formierte, bildete sich auch die viel größere Schicksalsgenossenschaft des mittleren Donauraumes, die Habsburgermonarchie: Österreich - Böhmen - Ungarn. Nur mit vereinten Kräften konnte man dem übermächtigen, immer wieder vom Balkan anstürmenden Osmanenreich standhalten: 1529 standen die Türken vor Wien.

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Fast zur selben Zeit, als sich Österreich in seinen Umrissen staatlich und militärorganisatorisch als Bereich der erblichen Lande der Habsburger rund um das alte (Erz-)Herzogtum „Oster- riche” formierte, bildete sich auch die viel größere Schicksalsgenossenschaft des mittleren Donauraumes, die Habsburgermonarchie: Österreich - Böhmen - Ungarn. Nur mit vereinten Kräften konnte man dem übermächtigen, immer wieder vom Balkan anstürmenden Osmanenreich standhalten: 1529 standen die Türken vor Wien.

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Mit dem Doppelverlöbnis im Juli 1515, zwischen den Habsburgem Österreichs und den Jagellonen von Böhmen-Ungarn wurde eine alte wechselseitige Beerbungs-Absprache besiegelt, die nach dem Tod Ludwigs II. bei Mohäcs (1526), dessen Schwager, den Habsburger Ferdinand (L), auf den Thron von Böhmen und Ungarn führte. Der Umstand, daß sich der ungarische Gegenkönig Ferdinands, der Woiwode Siebenbürgens Johann Zäpolya, vom Habsburger bedrängt, Sultan Süleyman I. unterwarf (1528), führte zur ersten vergeblichen Wiener Türkenbelagerung durch den Sultan (25. September bis 15. Oktober 1529) und in weiterer Folge zur Herrschaft der Türken über zwei Drittel Ungarns.

Ein Streifen West- und Nordostungams verblieb Ferdinand I. als Sicherheitsglacis für Wien. 145 Jahre lang blieb Ofen (Budapest) in der Gewalt der Osmanen. Erst als Wien am 12. September 1683 dem Belagerer Kara Mustapha siegreich entrissen wurde, konnte die Pfortenmacht zurückgedrängt, und schließlich ganz Ungarn und Siebenbürgen zurückgewonnen werden.

Die Voraussetzung für diese Entwicklung war, daß Wien 1529 Sultan Süleyman nicht in die Hände fiel. Die Gefahr, daß dies geschah, war groß. Alle Versuche Ferdinands I., durch Sondergesandtschaften den Sultan davon abzuhalten, seinem Schützling Zäpolya zu Hilfe zu kommen, blieben vergeblich.

Am 10. Mai 1529 verließ der Sultan mit einem Riesenheere Konstantino- peL Vor Wien hatte er immer noch etwa 120.000 Mann, 20.000 Kamele, rund 300 Kanonen, davon nur sehr wenig schwere. Regengüsse, Überschwemmungen, schwierige Stromübergänge, Morast verzögerten den „Heraufzug”. Erst am 10. August war er auf dem Schlachtfeld von Mohäcs, wo ihm Zäpolya huldigte. Am 8. Sep tember fiel Ofen, da die Besatzung Ferdinands zu schwach war. Zäpolya wurde in der Königsburg feierlich inthronisiert.

Inzwischen verzögerten sich die zugesagten Sukkurse, vor allem die des Reiches, dermaßen, daß die geschockte erbländische Regierung am 13. August Ferdinand den Vorschlag machte, Wien notfalls evakuieren und an allen Orten anzünden zu lassen. Schließlich verfügte der oberste Feldhauptmann des Königs Graf Niklas von Salm -in Wien doch über

12.000 Mann zumeist erbländische Truppen und 700 Spanier. Aber während bereits am 19. September die Türken in der Nähe Wiens plünderten, rückte erst am 21. September ein Teil der sehnlichst erwarteten Reichstruppen unter Pfalzgraf Philipp, 12 Fähnlein, rund 5000 Mann, in Wien ein. Unter Pfalzgraf Friedrich sammelten sich 12.000 Mann, Fußvolk und Reiter, bei Krems, um dort im wesentlichen untätig stehen zu bleiben.

Unterdessen fuhren 400 türkische Schiffe donauaufwärts bis zur Taborbrücke und setzten sie in Brand. Vom Stephansturm wurden alle Bewegungen der Türken zum Teil von Salm selbst genau beobachtet. Die vom Feinde beabsichtigten Stürme wurden durch eine Fahne angezeigt, die in die bedrohte Richtung wies.

Am 25. September war die Stadt völlig umzingelt. Der Sultan lagerte mit dem Riesenheer in sieben Gruppen, von Kaiserebersdorf bis Heiligenstadt; die Donauarme waren von den türkischen Schiffen gesperrt.

Die Türken wählten die Linie vom Augustinerkloster bis gegen das Stu- berttor zur Angriffsfront, weil ihnen die nur teilweise zerstörten Vorstädte dort die beste Deckung für die Geschütz-Aufstellung bot. An dieser Hauptfront warfen sie 5000 bis 6000 Mann, die immer wieder ausgewechselt wurden, in den Kampf.

Der zunehmende Proviantmangel veranlaßte den Vizedom Marx Beck von Leopoldsdorf zu einer genauen Aufstellung der in den Häusern vorhandenen Lebensmittel und zu strenger Rationierung. Bürgermeister Wolfgang Treu und zwei Kompanien Bürger sorgten für Ordnung in der Stadt.

Fast täglich gab es mehrere Alarme, manchmal auch nachts, aber alle Angriffe wurden abgewehrt. Die Belagerten unternahmen Ausfälle, vor allem durch das Salztor. Die unaus- gesetze heftige Beschießung durch die türkische Artillerie, zeigte wenig Wirkung, da nur wenige Großkaliber eingesetzt waren. Daher verlegte sich Süleyman vor allem auf den Minen krieg, um die Türme und Umfassungsmauern durch unterirdische Großsprengungen zum Einsturz zu bringen.

Am Morgen des 1. Oktober, als der Großwesir Ibrahim mit allen Agas beim Sultan in Ebersdorf zu Rate saß, bat ein Türke vor dem Biberturm um Einlaß. Seine christlichen Eltern seien von den Türken erschlagen worden, berichtete er. Er verriet Salm, daß die Türken auf beiden Seiten des Kämtnertores Gänge gruben und sie mit Pulver füllen wollten. Ein steirischer Bergmann, Georg Hofer, vermutlich aus Schladming, erbot sich, den Mineuren entgegenzugraben. Schon am folgenden Tag konntą er eine der Minen, eine Stunde vor ihrer Sprengung, auffinden und unschädlich machen.

Von nun an stellte man in den Kellern nächst den Mauern Wachen auf, achtete auf die Bewegung von Erbsen auf stark gespannten Trommeln oder auf die Bewegung des Wassers in aufgestellten Becken. Bei verdächtigen Geräuschen grub man den Feinden entgegen und verschüttete sie. Es kam auch oft zu unterirdischen Kämpfen mit den feindlichen Arbeitern. In vielen Fällen konnte man türkische Minen entschärfen.

In den ersten Oktobertagen verdichteten sich die türkischen Angrif- . fe. Am 5. Oktober erging an die Begs von Semendria und Bosnien der Befehl, mit allen ihren Leuten die Minenarbeiten zu fördern, Reisigbündel zum Füllen des Stadtgrabens, sowie Leitern zum Sturme herbeizuschaffen. Der große Ausfall im Morgengrauen des 6. Oktober von ca. 5000 Mann durch das Salztor längs des Grabens in Richtung Burg geriet in den Tagesanbruch hinein. Die Christen wurden im Graben zurückgetrieben, das Tor aber zu früh geschlossen, etwa 500 verloren ihr Leben. 1

Zei Tage später teilte ein gefangener Türke mit, der Sultan wolle die Stadtmauern an fünf Orten untergraben lassen. Er hoffe, sie in drei Tagen niederwerfen und durch Sturm erobern zu können. Dazu habe er den halben Teil der Truppen zu Fuß und Pferd beordert und mit 400 Leitern ausgerüstet. Sie sollen unter dem Befehl von vier Paschas angreifen.

Am 9. Oktober erfolgte ein gewaltiger Sturm, von 2 bis 5 Uhr nachmit tags, nachdem zwei Minen in der Mauer vom Kämtnertor gegen St. Clara gezündet hatten. Dabei wurden viele Türken getötet, indes die Christen nur geringe Verluste erlitten.

Am 10. Oktober währte das intensive Artilleriefeuer der Angreifer fort, wiederholt versuchten sie, die Mauer zu ersteigen und wurden mit Hellebarden hinuntergestochen. Die Minenarbeiten und das Gegengraben ging weiter. Die Breschen vom vergangenen Tage wurden geschlossen, dahinter ein neuer Wall und Graben aufgeführt. Am Morgen des 11. Oktober fiel das Dach des Kärntnerturmes ein. Um 8 Uhr sprang eine Mine unterhalb des Kämtnertores. Darauf folgte ein heftiger Sturm, der bis Mittag währte. Der Sultan selber trieb dabei die Stürmenden an. Die Türken hatten etwa 1000 Tote, die Christen nur geringe Verluste.

Am 12. Oktober um 3 Uhr Morgens gingen abermals zwei Minen zwischen Kämtnertor und Stubentor hoch und schlugen eine weite Bresche. Die Landsknechte und Spanier traten dem Sturm mit fliegenden Fahnen entgegen. Der Ansturm der Türken wurde jedoch zunehmend matter. Sie mußten mit Prügeln und Säbeln angetrieben werden.

An diesem Nachmittag versam- tnelte der Sultan seine Befehlshaber. Da die schlechte Witterung - es fiel der erste Schnee - und der Mangel an Lebensmitteln die Heimkehr nahelegten, beschloß man für den nächsten Donnerstag (14. Oktober) noch einen entscheidenden Sturm. Gleich wie er ausgehe, wolle man dann den Feldzug beenden.

Tatsächlich hatte die Verwüstung der Umgebung Wiens, ja fast ganz Niederösterreichs südlich der Donau, bei den Türken zu einem argen Mangel an Lebensmitteln geführt. Drei Hauptstürme mit wiederholtem Anlauf hatten stattgefunden, den Kriegsatzungen des Islams war Genüge geschehen, so daß der Sultan auf die vom Großwesir überbrachten Ratschläge einging.

Der Abzug wurde (nach einem letzten Hauptsturm) beschlossen. Am 13. Oktober wurde zwar das Geschützfeuer fortgesetzt. Aber im Tür- lenlager blieb es ruhig, bis auf die Herolde, welche den Sturm für den nächsten Tag ankündigten und die Belohnungen für die Erstbesteiger der Stadtmauern ausriefen. Hans Katzianer und Paul Bakic brachten, mit ihren Reitern durch das Salztor ausfallend, einige Gefangene ein, die den geplanten Sturm und die geplante Heimkehr nach Konstantinopel verrieten.

Am 14. Oktober hatte sich etwa der halbe Teil des Heeres bereits am Morgen unter dem Großwesir, dem Beglerbeg von Anatoli und dem Ja- nitscharen-Aga zum Angriff formiert. Gegen 11 Uhr gingen nächst dem Kärntnertor zwei Minen mit Getöse hoch, indes eine dritte, gegen die Burg gerichtet, rechtzeitig entdeckt und unschädlich gemacht wurde. Die Detonationen waren das Zeichen zum Sturm. Uber zwei Stunden lang wiederholten die Janitscharen ihre heftigen Anläufe. Erst gegen 2 Uhr erhielten sie den Befehl sich zurückzuziehen.

Die Leute des Eck von Reischach und Salms vollbrachten Wunder an Tapferkeit, deckten, von ihren Befehlshaben persönlich geführt, die 80 Meter langen Breschen. Salm wurde durch einen abspringenden Stein am Schenkel schwer verwundet.

Die Janitscharen ließen entmutigt ab, etwa 350 50 Leichen füllten den Graben vor den Breschen. Bei den Christen wurden (angeblich) nur „ein Hyspanier und etliche Kechte beschädigt”.

Die Niedermetzelung der Gefangenen ging um 9 Uhr abends vor sich. Am folgenden Morgen zeigte sich, daß die Türken bei 2000 Christen, die nicht transportfähig waren, niedergemacht oder in die Flammen geworfen hatten.

Am 15. Oktober bereiteten die Türken ihren Abzug vor. Als dieser klar wurde, eröffneten die Wiener am Abend ein Freudenfeuer aus allen Geschützen. Am 16. Oktober fand in St. Stephan ein feierliches Te Deum statt. Einzelne Leute zogen in das verlassene Türkenlager. Einige Reiterführer belästigten die türkische Nachhut und brachten Gefangene, viele befreite Christen und reiche Beute ein.

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