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Die umfimktionierte Ringstraße - Verkehrsband statt Prachtboulevard

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Vor wenigen Wochen fand die Gleichenfeier an jenem Stauwerk statt, das eine Donauinsel schaffen soll. Der Fluß soll zweigeteilt an Wien vorbeifließen. Die „Arbeiter-Zeitung” sprach euphorisch von der „Neuen Donau” - und in der Tat ist da - unbemerkt von den Au gen der Öffentlichkeit - etwas entstanden, das das Bild der Stadt nachhaltig prägen kann - ebenso nachhaltig wie einst der Beschluß, Wien von der Donau zu trennen: Wiens Überschwemmungsgebiet ist ziemlich genau hundert Jahre alt.

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Vor wenigen Wochen fand die Gleichenfeier an jenem Stauwerk statt, das eine Donauinsel schaffen soll. Der Fluß soll zweigeteilt an Wien vorbeifließen. Die „Arbeiter-Zeitung” sprach euphorisch von der „Neuen Donau” - und in der Tat ist da - unbemerkt von den Au gen der Öffentlichkeit - etwas entstanden, das das Bild der Stadt nachhaltig prägen kann - ebenso nachhaltig wie einst der Beschluß, Wien von der Donau zu trennen: Wiens Überschwemmungsgebiet ist ziemlich genau hundert Jahre alt.

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QW M war die Donauregulie- į ft jį rung abgeschlossen und damit entschieden, daß Wien nicht wie Budapest, Paris oder London, ja fast alle anderen vergleichbaren Städte eine Siedlung am Fluß wurde. Man mag darüber streiten: Ökonomie und Technologie haben jedenfalls schon damals den Sieg über rein ästhetische Kriterien davongetragen. Man stelle sich vor: der Donaukanal hätte eine Breite wie die Donau und links wie rechts des Flusses stünden die eigentlichen Pracht- und Repräsentationsbauten, die wir heute am Ring finden; wie in London oder Budapest das Parlament, wie in Paris Schloß- und Museumsbauten, wie in Rom der Justizoalast.

Freilich, der Wien ersatzweise angebotene städtische Schwerpunkt, die Ausgestaltung der Zone rund um die Altstadt, kann mit gutem Recht die Bewohner der Stadt befriedigen. Der aus 426 Bewerbungen zur Verbauung der Glacisgründe als „Ringstraße” ausgewählten Konzeption lag von Haus aus die Überlegung zugrunde, daß weder der Donaukanal (damals ja noch ein Donauarm) poch andere Terrainverhältnisse Möglichkeiten der Vielfalt bot. Da gab es kein Hoch und Tief, kein natürliches Hindernis, kein Gefälle. Mit geradezu eiserner Konsequenz akzeptierte man die Ebene zwischen Stadtmauern und Vorstädten als Bebauungszone, ja bezog selbst den Wienfluß in die Planung ein.

Diese „eiserne Konsequenz” ist es erstaunlicherweise auch gewesen, die der Ringstraßenzone bei aller Verschiedenartigkeit der Einzelbauwerke zu einer so frappierenden Einheitlichkeit im Gesamteindruck verhalf. Mag sein, daß das Geheimnis dieser städtischen Harmonie in der „barocken” Gesamtkonzeption liegt, in jener schwunghaften, der fließenden Formensprache zugewandten Bausprache, die selbst das klassizistische Parlament nicht entbehrt.

Das Geheimnis, das die Ringstraße der Stadt in diesen eigenartigen drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aber - erst- und einmalig in Europa - schenkte, ist wohl nur gesellschaftspolitisch erklärbar: im Zusammentreffen bürgerlich-liberaler Emanzipation mit der künstlerischen, philosophischen und ästhetischen Geisteswelt des Historismus. Uber der zu Stein gewordenen Bürgerlichkeit am Ring schwebtdie Erkenntnis, daß es janicht Adel oder Kirche waren, die wirklich das Abendland repräsentierten, sondern Menschen mit Geschmack und Intelligenz, aus zwanzig Jahrhunderten, die mit nüchterner Selbstverständlichkeit als „bürgerlich” usurpiert wurden. Wer sind die Großen, die die Ringstraßenpalais schmücken? Es sind Philosophen des Altertums, die nicht adligen Künstler der Renaissance, die Entdecker und Erfinder.

Ganz und gar antifeudal ist diese Ringstraße im Wollen - und ganz und gar habsburgtreu im Effekt! Welcher Anspruch steht am Anfang in der Planung und Gesinnung der reich gewordenen liberalen Bourgeoisie, die noch 1848 auf den Barrikaden gestanden war - und wie „kaiserlich” ist das Ergebnis der zum Freilichtmuseum gewordenen Krone um das Herz des Hauses Habsburg!

Wirtschaftskrise und Ringstraße: der Zusammenhang ist nicht zu übersehen. Von 1857 bis 1873, bis zum großen Börsenkrach, waren die neuen liberalen Bourgeois, die Königswarter, Todesco, Wertheim, Dumba, Schoeller die Hauptträger des Baubooms am Ring. Nach der Wirtschaftskrise, die viele der neuen reichen Namen schwer traf, war es der Kaiser, der Staat und die Kommune, die Bautempo und Bauform bestimmten.

Das Ende privater Primärinitiative und die öffentliche Auftragsvergabe ist auch baulich als Bruchlinie am Ring erkennbar. Die intim-private Atmosphäre, die die vielen Palais (vor allem zwischen Luegerplatz und Burggarten) vermitteln und die an eher zurückhaltendem Äußeren bei üppigem Inneren erkennbar sind, wich der demonstrativ prunkenden Monumentalität der Großbauten: der beiden Museen, des Burgtheaters, der

Universität, des Parlaments und des Rathauses.

Die Wirtschaftskrise zwischen 1873 und 1877 gab den Liberalen in der Reichshauptstadt auch als politischer Kraft den Todeskeim. Die überragende Bürgermeistergestalt des Liberalen Cąjetan Felder - die durchaus an der Persönlichkeit seines bei weitem populäreren (und erfolgreicheren) Nachfolgers Karl Lueger zu messen ist, konnte den politischen Niedergang der „Ringstraßenpartei” nicht aufhalten (1877 kriselte es ernsthaft). 1878 stellte Felder sein Amt zur Verfügung.

In der Wirtschaftskrise war die Stadt in eine immer unhaltbarer gewordene budgetäre Situation geschlittert. Die soziale Frage, die mit dem ungeheuren Anwachsen der Stadt vor allem in den Vorstädten und Vororten losbrach, konnte mit dem Instrumentarium des Liberalismus nicht gelöst werden.

Bald mußte es geradezuu als ungeheure Provokation gelten, daß am Ring mit Niedrigstlöhnen verschwenderische, bizarrmonumentale Bauwerke aufgeführt wurden, während menschenwürdiger Wohnraum außerhalb des Glacis fehlte, Wasser-, Gasversorgung und Verkehrswesen vernachlässigt wurden. Der Liberalismus mußte politisch den Preis für die Wirtschaftskrise zahlen, die Konjunktur wurde im nachhinein zur „Schwindelkonjunktur” erklärt, der Ringstraßenboom zur Geschmacksanmaßung.

Man sollte den politischen Hintergrund nicht übersehen, wenn man die , Verurteilung des Historismus als Kitsch und Kopierkunst durch die Nachfahren bis zu unseren heutigen Zeitgenossen sieht. Egon Frieden, der scharfsichtigste aller historischen Essayisten Österreichs, spricht für viele, wenn er der Ringstraße attestiert, daß auch „Stillosigkeit ein Stil ist”. Seither geistert der Vorwurf durch die Zeit, am Ring hätte sich materialisierter Kitsch angesammelt, man hätte dort so gar nichts Eigenständiges geschaffen und nur dem Prunk und Protz Opfer zu bringen versucht

Die Kritiker, die beileibe nicht ausgestorben sind (denkt man an die arrogante Gleichgültigkeit, mit der heute der Ring kaputtgemacht wird), übersehen dabei völlig, daß das Eigenständige auch durchaus in der Anlehnung an historische Vorbilder möglich ist. Und sie übersehen, daß es für jede Emanzipationsbewegung - sozial und politisch - ganz und gar typisch ist daß sie Maß am historischen Vorbild nimmt.

Die Verwobenheit mit Österreichs Geschichte und die Hervorbringung einer ganz und gar eigenständigen Kunstform, nebstbei die bedeutendste städtebauliche Planung Europas (mit Ausnahme von Paris) im 19. Jahrhundert - das macht das Phänomen der nunmehr hundertjährigen Gleichgültigkeit, ja Ignoranz in Österreich gegenüber dem Ring mehr als nur unverständlich. Die heftigsten Kritiker der „steinernen Speisekarte” waren Österreicher. Paßt es nicht ganz und gar ins Bild, daß mehrere Schöpferder bedeutendsten Bauten entweder Hand an sich selbst legten oder in gesellschaftlicher Isolierung gestorben sind?

Die Zeit wäre reif, ein neues Bild des Rings zu gewinnen. Statt dessen ist er auf dem Weg, zu Tode administriert zu werden. Als fünfspurige Einbahnstraße ist’der Ring nur mehr Verkehrsträger. Die Fußgänger hat man vorsorglich und zeitgerecht in Grotten unter die Erde verbannt. Die Kaffeehäuser sind verschwunden, weil immer weniger Wiener in Abgaswolken Kaffee trinken wollen und weil Banken und Autosalons den Mietpreis diktieren. Überhaupt ist der Ring keine Wohn-, sondern nur mehr eine Büro- : zone, wo am Abend niemand mehr 1 spaziert. In der Thalia- und Simmerin- ger Hauptstraße ist am Abend mehr los als am Stuben- und Schottenring, j Vor den Historismus-Fassaden hat die Spitzhacke nicht haltgemacht. Man mag über die Polizeidirektion und den j Ringturm am Schottenring und über j den Bürokomplex vis-ä-vis der Uni- i versität streiten: schön sind sie nicht, i Vom Gartenbauhochhaus und dem ! Heinrichshof ganz zu schweigen.

Offenbar stört es weder die Baupoli- ! zei noch die Hauseigentümer (vielfach s Banken, Versicherungen und Behör- ! den), wenn Portale und Auslagen,

Leuchtreklamen und Aufschriften ; zerstören und verunstalten, was bau- 1 lieh und künstlerisch an den Fassaden atmosphärisch die Ringstraße ausmacht.

So ruiniert sich eine Stadt selbst ihre : bedeutendste urbane Anlage. Während | mittlerweile Altstadtkeme und Bau- ; emdörfer unter Schutz gestellt und revitalisiert werden, ist gerade der , Ring völlig ungenügend vom Denk- 1 malschutz erfaßt, gibt es kein städtisches Gestaltungskonzept und baut man entlang der Prachtstraße Parkgarage auf Parkgarage - Garantie dafür, 1 daßaufdemRingdasAutoVorranghat. ) HANS »

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