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Die unheilige Tuch-Reliquie

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Jetzt ist es also mit den Mitteln unserer TSit bewiesen: das 4,36 Meter lange und 1,10 Meter breite Turiner Grabtuch ist nicht jenes reine Linnen, welches Josef von Arimatäa einst gekauft hatte, um darin den gekreuzigten Jesus zu bestatten, nein, es entstand erst zwischen 1260 und 1390. Viele hat dieses, bereits vor mehreren Wochen durchgesickerte Ergebnis überrascht — auch mich.

Das elementare Menschenrecht auf Irrtum beanspruchend, gestehe ich ohne Schamesröte ein, bis zum 13. Oktober nach hinreichender Kenntnis der vorangehenden Forschungen zumindest für sehr wahrscheinlich gehalten zu haben, daß die Sindone ein echtes Leichentuch eines nach Art des Nazareners Gekreuzigten sei und folglich aus der Zeit vor der Abschaffung der Kreuzesstrafe durch Kaiser Konstantin stamme. Sogar auf die methodisch davon streng zu trennende Frage, ob der Abgebildete tatsächlich Jesus sein könne, schienen mir einige gewichtige Argumente eine positive Antwort nahezulegen. Und jetzt haben drei Radiokarbontests die mittelalterliche Entstehungszeit, die auf 1260/1356 einzuengen ist, erwiesen.

Zunächst verblüfft die Haltung der katholischen Kirche, seit 1983 Besitzerin des fraglichen Gegenstandes. Rom beugt sich zum Glück willig dem naturwissenschaftlichen Experiment, die Art des Rückzugs aber ist, wie ich meine, mit dem Testergebnis nicht zu vereinbaren: in Turin soll jetzt keine Reliquie Christi, wohl aber eine heilige Ikone des Gottessohnes liegen. Rettet, was zu retten ist!

Richtig ist nun allerdings: wenn das Turiner Tuch im Mittelalter entstand, ist es unmöglich eine echte Reliquie Jesu; aber wird es dadurch automatisch zur Ikone, zum Kunstwerk also?

Selbstverständlich nicht! Unabhängig vom Ausgang des C“-Tests behalten alle bisherigen naturwissenschaftlichen Untersuchungen an Tuch und Bild uneingeschränkt Gültigkeit, solange sie nicht in deutlichem Widerspruch zu den neuen Daten stehen. Folglich erweisen nach wie vor zahlreiche gerichtsmedizinische Studien, vielfältige optische und chemische Analysen mit großer Deutlichkeit, daß es sich in Turin um ein echtes Leichentuch eines wirklich gekreuzigten Mannes handelt, dessen Blutspuren heute noch auf dem Tuch zu finden sind.

Zwar behauptet der Anthropologieprofessor Pesce Delfino von der Universität Bari seit Jahren, das Abbild sei mit erhitzten, flachen Metallreliefs angefertigt worden, doch die vorgewiesenen

Musterstücke sind eher kümmerlich. Wer will ernsthaft glauben machen; daß gerade im späten Mittelalter, einer selbst in höchsten Kreisen Reliquien gegenüber extrem leichtgläubigen Zeit, ein Künstler (in diesem Fall ein Fälscher) aufwendige Prozeduren für notwendig gehalten hätte, um Dinge zu erzeugen, die kein Zeitgenosse hätte wahrnehmen können?

Ein nur zu diesem Zweck angefertigtes, umwerfend lebensechtes Bronzerelief wird auf mehrere hundert Grad erhitzt, um dann möglichst verzerrungsfrei auf ein überdimensioniertes Leinen, auf welchem sich selbstredend Blütenstaub vorwiegend aus den Gebieten um Jerusalem und aus dem Vorderen Orient (Edessa, Sinai und Konstantinopel) befindet, gelegt zu werden. Dies klappte, wie die bislang eher stümperhaft endenden Nachstellungen des Verfahrens im technisch versierten 20. Jahrhundert verdeutlichen, unmöglich auf Anhieb, bedurfte vielmehr ausgiebiger Versuchsreihen.

Gleichzeitig entdeckte der „geniale Meister“ (so im Zweiten Deutschen Fernsehen) Jahrhunderte vor der ersten Fotografie die perfekte, dreidimensionale Nega-tivabbildung, ja mehr noch, gegen allen Usus des traditionellen Kunstverständnisses bis hinein in unsere Zeit positionierte er die Wundmale in Höhe der Handwurzelknochen und den Seiteneinstich so ungewöhnlich, daß eine Schar ausgefuchster Gerichtsmediziner des 20. Jahrhunderts ob seiner frühen Entdeckungen von einem Staunen ins andere fällt.

Natürlich brachte ein so raffinierter Alleskönner noch die nötigen, den Gesetzen der Schwerkraft gehorchenden Flüssigkeitsspuren an, die dank seiner überragenden Fertigkeiten sogar bei 230 Grad Celsius nicht verdampften. Schnell noch auf die Wundmale echtes Menschenblut und auf eine Ferse etwas Straßenstaub gestrichen (so wenig freilich, daß es nur unter dem Mikroskop sichtbar wird), ein paar Dutzend Geißelhiebe hingezaubert (dieser Begründer der experimentellen Archäologie weiß ja wie römische Geißelruten ausgesehen haben, und einen Pinselstrich kann selbst die elektronische Vergrößerung nicht ausmachen), und schon überzeugt man jedermann, und zwar in einem solchen Ausmaße, daß bereits der erste Versuch einer Ausstellung im Jahr 1357 in Lirey mit einem Verbot endet!

Aber im Ernst: An diesen Uber-Leonardo da Vinci kann man doch noch weniger glauben als an eine fehlerhafte Durchführung des CM-Tests. Folglich ist das Turiner Grabtuch kein Kunstwerk, keine Ikone. Was aber ist es?

Der Autor ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Würzburg. Seine weiteren Überlegungen zu diesem Thema lesen Sie auf Seite 7.

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