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Die Uniformgeister

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In Versicherungsbüros und Wechselstuben erschienen Truppen, verhafteten Inhaber und Angestellte und transportierten sie in Kasernen. Nach Stunden, Tagen oder Wochen wurden sie freigelassen. Die regierungsfreundliche Zeitung „El Dia“ berichtete über eine Konferenz, die die Kommandanten der drei Waffengattungen mit dem Präsidenten Bor-daberry abgehalten hätten. Nach dieser Information habe der Präsident den Streitkräften die Unterdrückung der Wirtschaftsdelikte anvertraut, die „ohne Grenzen und auf jedem Gebiet“ verfolgt werden sollten. Nun pfiffen die Spatzen seit Jahrzehnten von den Montevideaner Dächern, daß angesehene Versicherungsmakler ihre Risiken häufig bei englischen Versicherungsgesellschaften, besonders bei Lloyd, deckten, obwohl bei der Gründung der staatlichen Versicherungsbank „Banco de Seguros del Estado“ diesem Institut das Monopol übertragen worden war, von dem nur die damals im Lande tätigen Gesellschaften ausgenommen wurden. Es war leicht nachzuweisen, daß die für die Zahlung der Versicherungsprämien benötigten Devisen auf dem Schwarzmarkt erworben wurden. Im Jahre 1969 hatte die Regierung im Rahmen des Ausnahmerechtes verfügt, daß die „Schädigung der Wirtschaft“ durch Manipulation der Devisenkurse hintanzuhalten sei. Doch gab es kein Gesetz, das eine Strafdrohung für diese Art von Wirtschaftsdelikten enthielt, ganz abgesehen davon, daß die Dekrete selbst verfassungswidrig waren, da sich das Ausnahmerecht nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nur auf „unvorhergesehene Fälle interner Erschütterung oder eines auswärtigen» Angriffs“ beschränkte. Die Internierung war also auf jeden Fall rechtswidrig. Erst jetzt ist im Parlament ein Gesetz gegen Wirtschaftsdelikte angenommen worden.

Die mühsam verschleierten Gegensätze zwischen Regierung, Parlament und Justiz auf der einen Seite und den Militärkreisen auf der anderen bilden das Tagesgespräch in Montevideo. Sie kamen in vielbeachteten Parlamentsdebatten zum Ausdruck, bei denen der Senator Ferreira Al-dunate erklärte, er wende sich ebenso dagegen, daß man die Streitkräfte als „Henker der Nation“ wie daß man sie als ihre „Retter“ mißbrauche.

Der Anwaltsverband hat sich in umfangreichen Beschlüssen dagegen gewandt, daß vielen seiner Mitglieder der durch die Verfassung vorgeschriebene freie Verkehr mit den verhafteten „Tupamaros“ unmöglich gemacht wird. Die Ärztevereingung „Sindicato Medico“ trat in Streik, weil vier Ärzte, die von der Militärjustiz freigesprochen worden waren, weiter als politische Gefangene in Kasernen festgehalten wurden. Im Senat sagte Ferreira Aldunate: „Draußen stehen drei Frauen; sie sprachen mit Senatoren aller Richtungen; es sind die Frauen von verhafteten Ärzten, und ich weiß nicht, wie sie politisch eingestellt sind. Eine von ihnen sagte mir, sie habe gestern ihren Mann gesehen und festgestellt, daß sein Bein durch Fußtritte gebrochen worden sei. Es ist leicht festzustellen, ob das stimmt. Warum geht nicht der Präsident mit vier oder fünf Senatoren oder warum gehen wir nicht alle hin? Es ist der Moment gekommen, uns zu fragen, ob wir Respekt vor uns selbst haben.“

Senator Zelmar Michelini, Mitglied der linken Volksfront, verlas im Parlament einen Bericht des Militärhospitals, demzufolge von 111 eingelieferten Verhafteten 13 durch Schläge so schwer verletzt worden seien, daß sie ins Krankenhaus gebracht und 27 in psychiatrische Behandlung eingeliefert werden mußten.

Ob die „Tupamaros“ mausetot oder scheintot sind, auf jeden Fall verursacht die Existenz der politischen Gefangenen schwerste Probleme. Nach offiziellen Zahlen befanden sich am 25. September 2552 „Subversive“ in Haft. Bis zur Einschaltung der Militärjustiz war in 215 und nachher in 673 Fällen Anklage erhoben worden. Aber abgesehen davon, werden angebliche oder wirkliche „Tupamaros“

angehalten, gegen die kein Material vorliegt oder die ihre Strafe schon verbüßt haben. Darüber kam es zu der ersten schweren Konfrontation zwischen Regierung und Offizieren in der neueren uruguayischen Geschichte. Da der Richter in dem erwähnten Fall der vier Ärzte deren Freilassung verfügt hatte, befahlen der Verteidigungsminister Dr. Augu-sto Legnani und der Kommandeur der Streitkräfte General Florencio Gravina, dieser Anordnung zu entsprechen. Nun aber erschienen die anderen Generale beim Präsidenten der Republik und erklärten, daß die Freilassung, auch wenn sie vom Militärrichter verfügt sei, von der Billigung eines Ausschusses abhänge, den die Streitkräfte gebildet hätten, um im konkreten Fall die Gefährlichkeit eines Verdächtigen zu überprüfen. Der Präsident gab nach; der Verteidigungsminister und General Gravina traten zurück. Außerdem verlangten die Offiziere, daß die Bekämpfung der Wirtschaftsdelikte offiziell dem Verteidigungsministerium unterstellt werde.

Die Regierung hat, als sie anfangs mit den „Tupamaros“ nicht fertig wurde, das bis dahin unpolitische und sehr zurückhaltende Heer mit großem Erfolg zu deren Bekämpfung eingesetzt. Sie wird jetzt die Geister, die sie rief, nicht mehr los. Zum erstenmal entwickelten sich die Offiziere zu einer Pressure-group ersten Ranges, wie sie es in vielen lateinamerikanischen Staaten sind, aber in Uruguay noch niemals waren.

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