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Die Unionsparteien in der Defensive

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Am Anfang hatte es so ausgesehen, ob die Bundestagswahlen am 6. März zu einem Spaziergang für die CDU/CSU werden würden, die SPD keine Chance hätte. Aber das Rennen ist wieder offen.

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Am Anfang hatte es so ausgesehen, ob die Bundestagswahlen am 6. März zu einem Spaziergang für die CDU/CSU werden würden, die SPD keine Chance hätte. Aber das Rennen ist wieder offen.

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Das besondere Flair verleihen dem Bundestagswahlkampf 1983 die Rahmenbedingungen. Zum erstenmal seit über dreizehn Jahren stellt sich eine von CDU und CSU geführte Bundesregierung dem Votum der Wähler. Sie ist im Oktober des letzten Jahres unter Umständen ins Amt gelangt, die

zwar verfassungsrechtlich einwandfrei waren, einem mehr und mehr plebiszitär denkenden Bürgertum jedoch mindestens unmoralisch, jedenfalls zweifelhaft vorkamen.

Nicht zuletzt der im vergangenen Herbst vorhandene Meinungsdruck war mit dafür verantwortlich, daß die neue Bundesregierung gleich zu Beginn ihrer Amtszeit baldige Neuwahlen versprach. Damals kam es vor allem den Christdemokraten überhaupt nicht so vor, als wenn man sich da in ein Abenteuer begäbe: Die Meinungsumfragen des September zeigten für die Union ein geradezu sensationelles Hoch mit rund 57 Prozent der Wählerstimmen. Was sollte also da noch schiefgehen, wenn man im März 1983 wählen würde?

Es ist zum Erstaunen der neuen Bundesregierung eine ganze

Menge schiefgegangen mit dem Erfolg, daß die kommende Wahl längst keine Formalie mehr ist, sondern ein durchaus offenes Rennen mit realistischen Gewinnchancen auch für die SPD.

Im einzelnen: Als der Ex-Kanz- ler Helmut Schmidt Anfang November der SPD einen Korb gab und darauf verzichtete, noch einmal zur Wahl anzutreten, glaubte bei den Sozialdemokraten kaum jemand, mit dem neuen Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel groß reüssieren zu können. Die Zeit schien viel zu kurz, den neuen Mann als attraktive Alternative zum regierenden CDU-Kanzler Helmut Kohl aufzubauen.

Doch ein gütiges Schicksal — oder grausamer: latentes Unvermögen der christlich-liberalen Koalition haben es zuwege gebracht, daß Vogel in der Sympathieskala der Bevölkerung mit Kohl gleichgezogen hat. Die Fehler der Bundesregierung liegen dabei weniger im substantiellen, wohl aber im taktischen.

Als die neuen Koalitionäre antraten, begründeten sie ihre Weigerung, im Sinne Helmut Schmidts sofort wählen zu lassen, damit, erst müsse man die prekäre Haushalts- und Wirtschaftslage wenn nicht bereinigen, so doch erste entscheidende Schritte zur Gesundung tun. Dabei scheue man auch nicht davor zurück, für die Bevölkerung schmerzliche Maßnahmen zu ergreifen.

Sie hat Wort gehalten, was auch solange nicht schlimm war, wie es bei der Ankündigung blieb. Anders sah es aus, als die Maßnahmen anfingen zu wirken. Die Wahl in Hamburg am 19. Dezember lieferte dann den Beweis, daß man im Lager der Union die Stimmungslage der Wähler nicht richtig eingeschätzt hatte.

Helmut Kohl, Franz-Josef Strauß, Heiner Geißler, Gerhard Stoltenberg — um nur einige Spitzenpolitiker von CDU und CSU zu nennen — haben immer wieder ihrer Überzeugung Ausdruck gegeben, die Bürger sähen ein, daß sie Opfer bringen müßten. Das stimmt, wie die umtriebigen Demoskopen bestätigen. Was nicht stimmte war die Annahme, die politische Gunstverteilung bleibe davon unberührt.

Denn schließlich schlief die SPD nicht, sondern suggerierte den Bürgern unablässig, die von der Bundesregierung in Angriff genommenen Sanierungsmaßnahmen seien nicht nur verfehlt, sondern führten auch noch zu einer „Umverteilung von unten nach oben“.

Der Nenner: den Armen wird genommen, den Reichen wird gegeben. Zum Beispiel: Die vor über zehn Jahren eingeführte Bundesausbildungsförderung (Bafög), nach der Studenten und seit geraumer Zeit auch Schüler je nach Einkommenslage der Eltern Anspruch auf staatliche Zuschüsse haben, stellte für die neue Bundesregierung einen Kostenfaktor dar, der ihr eindeutig zu hoch erschien. Für die Schüler wurde Bafög daraufhin bis auf Ausnahmen in Härtefällen gestrichen, für Studenten, in rückzahlbare Darlehen umgewandelt.

Daß man sich mit einer solchen Maßnahme im Bereich der Jungwähler keine Freunde schaffen würde, war klar. Trotzdem wurde die christlich-liberale Koalition von dem Maß des Protestes überrascht, das ihr in dieser Angelegenheit entgegenschlug.

Die Sprachregelung der Sozialdemokraten, von den öffentlich- rechtlichen Medien eilfertig übernommen, gipfelte in der undifferenzierten Behauptung, den Bedürftigen werde genommen, den Arbeiterkindern der Zugang zur Universität verbaut.

Komplementär dazu lief eine andere Kampagne: Die Bundesregierung beschloß, von den Besserverdienenden (steuerpflichtiges Jahreseinkommen ab 50.000 DM bei Ledigen, ab 100.000 DM bei Verheirateten) eine sogenannte Zwangsanleihe einzubehalten. Dieser Betrag sollte verwendet werden, um investitionsfördernde Maßnahmen zu finanzieren.

Laut Koalitionsbeschluß sollte das einbehaltene Geld nach rund vier Jahren wieder zurückgezahlt werden. An diesem Punkt setzte die SPD ein. Warum, so fragte sie spitz, gibt man denen, die ohnehin genug verdienten, das zum Wohle der Allgemeinheit abgeknöpfte Geld wieder zurück? Und genüßlich verbreiteten die Sozialdemokraten das allerdings unbestreitbare Faktum, daß — allen voran der CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm — mit seinem Wort von der Lohnpause die Arbeitnehmer gleichzeitig zu Einkommensverzicht aufgefordert habe.

Die publikumswirksame Umverteilungs-Mixtur der SPD hat die Union derart nervös gemacht, daß sie zur allgemeinen Überraschung in ihrem jetzt vorgestellten Wahlprogramm die Rückzahlung der Zwangsanleihe kassiert und für den Fall des Wahlsieges die Umwandlung in eine nicht rückzahlbare Abgabe ankündigt.

Dieser Fallrückzieher der Union kommt freilich für die immer noch unterhalb der Fünf-Pro- zent-Grenze liegenden Freien Demokraten wie ein Göttergeschenk. Denn nun haben sie endlich das Thema, mit dem sie sich gegen den neuen Koalitionspartner profilieren können. Immerhin ist die FDP in dieser Frage von Anfang an konsequent gewesen, nämlich für die Rückzahlung.

Nun könnten CDU und CSU das sicher verkraften, wenn da nicht noch ein Felsbrocken im Wege läge, dessen Gewicht man offensichtlich ebenfalls unterschätzt hat. Um der Konjunktur im allgemeinen und der als Schlüsselbranche geltenden Bauwirtschaft im besonderen Investitionsanreize zu vermitteln, paukte die CDU/ CSU/FDP-Koalition kurz vor Weihnachten eine Änderung der Mietgesetze durch:

Künftig haben Vermieter — ausgenommen Sozialwohnungen, Werkswohnungen und Genossenschaftswohnungen — die Möglichkeit, in einem gesetzlich festgelegten Rahmen die Mieten zu erhöhen. Davon erhofft sich die Bundesregierung bei gleichzeitiger Senkung der Zinsen für Bankdarlehen einen größeren Anreiz für Neubauten und Modernisierungen. Soweit so gut - nur, die große Masse der Bevölkerung mißverstand den Zweck des ganzen gründlich und sah, angeheizt durch die SPD-Kampagne, Mieterhöhungen in großem Stil auf sich zukommen.

Für die SPD ist das die beste Wahlkampfmunition, die sie si ch wünschen kann: In Hamburg hat die Mieterhöhungs-Propaganda der Sozialdemokraten voll gewirkt.

Zwar kann sich die Union zur Zeit damit brüsten, seit der Mietrechtsänderung stauten sich bei den Ämtern die Bauanträge. Und sie kann auch darauf verweisen, daß die Gewerkschaft Bau-Stei- ne-Erden sich voll auf ihre Seite gestellt hat. Aber daß sie trotz allem in die Defensive geraten ist, macht ihr das Wahlkämpfen derzeit ungeheuer schwer.

Unterdessen segeln die Sozialdemokraten auf einer Woge der Zuversicht. Längst verloren geglaubter Kampfgeist ist in der zuletzt so gebeutelten Partei wieder eingekehrt. Und das macht die SPD zu einem Gegner für die Union, der es zwar schwer haben dürfte, als Wahlsieger durchs Ziel zu gehen. Aber unmöglich ist das nicht mehr.

Deshalb konzentrieren sich die Hoffnungen und Berechnungen von CDU und CSU derzeit vorwiegend auf die FDP. Sie befindet sich nach ihrem absoluten Tief im letzten Herbst wieder im Aufwind. Schafft sie den Einzug in den Bundestag, ist die Regierung Kohl auf jeden Fall gerettet. Gelingt das nicht, kommt alles auf die Grünen an. Deren Chancen mindern sich zusehends, den großen Sprung zu schaffen. Doch sich auf ihr Scheitern zu verlassen, wäre ein unverzeihlicher Fehler der Union.

Der Spaziergang zum 6. März ist ein überaus beschwerlicher Weg geworden.

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