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Die universale Dynastie

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Edward Crankshaw, ein außerordentlich begabter britischer Publizist, der sich besonders mit Rußland und den Donauländern beschäftigt und oft sehr Tiefes und Bleibendes über diese Länder zu sagen hatte, versuchte nun das Unmögliche — die Habsburger in einer großen Schau zusammenzufassen. Das ist freilich ein schwieriges Unterfangen, denn der „Geist“ einer Dynastie, über den Historiker allzu gerne reden, ist fast immer eine Fiktion. Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Söhne nur zu oft gegen ihre Väter revoltieren, ist es fast schon’ ein Wunder, wenn die Monarchen drei, vier Generationen hindurch eine wahre „Linie“ zeigen. Vielleicht ist es aber richtig, daß die Habsburger eine größere Kontinui

tät zeigten als manch andere gekrönte Familie Europas. Sie haben zwar noch keinen einzigen kanonisierten Heiligen hervorgebracht, aber auch kein einziges Ungeheuer. Sie waren römische Kaiser, Herrscher der Deutschen, des „Volkes der Mitte" und damit auch von Europas Herzland. Schon daher waren sie die einzige Familie von Souveränen, die einen wahrhaft universalen Charakter, eine wirklich globale Schau ihr eigen nennen konnte. Aber Karl V. und Franz Joseph I., Maximilian II. und Ferdinand I., Maximilian I. und Kaiser Karl I., von Österreich, Ferdinand I. und Joseph II. waren jeweilig aus einem ganz, ganz anderen Holz geschnitzt.

Es ist schade, daß dieser so schön

Illustrierte Band so viele kleinere Fehler aufweist, die ein gewiegter Historiker, Geograph oder Linguist hätte richtigstellen können. Hier finden wir leider eine der Schwächen Crankshaws, der vor vielen Jahren über Wien ein von Fehlern strotzendes, aber dennoch brillantes Buch geschrieben hatte. (Das gibt es? Und natürlich auch den fürchterlich fleißigen Pedanten, der den Leser nur langweilt und keine Synthese zusammenbringt.) So verwechselte unser Autor die Pußta mit dem Al- föld; die Madjaren hatten nie am Ob gehaust; sie nannten nicht in ihrer Sprache (wohl aber im Lateinischen) die regierende Königin — König (sie haben dafür ein eigenes Wort); Maximilian I. starb ein Jahrhundert früher als angegeben; Luther war 1510 keineswegs nach Rom gezogen, um dem Papst persönlich „entgegenzutreten" und war auch gar nicht als „Triumphator“ zurückgekehrt; Zwingli war kein Berner; Adrian VI. einfach mit dem Sieur de Chiėvres zu identifizieren, ist etwas eigenartig; Philipp II. als Herrscher der Barbareskenstaaten hinzustellen, ist wohl stark übertrieben; der Nachfolger des Herzogs von Alba in Belgien hieß ein wenig anders; Velazquez schreibt man zweimal mit „z“; Ferdinand II. vertrieb nicht zwei Drittel der steirischen Bevölkerung; Johannes vom Kreuz war kein Plebejer, sondern der Sohn eines verarmten Hidalgo; die Kurfürsten von Brandenburg wurden zuerst einmal Könige in Preußen, auch war Franz II. beim Ende der napoleonischen Kriege nur noch Franz I. (von Österreich); Bismarck wollte nicht „alle deutschen Länder“ unter der preussischen Krone vereinen, denn er war doch ein „Kleindeutscher“; Ungarn tyrannisierte auch nicht die Slawen in Dalmatien (da dieses Land ihnen gar nicht gehörte); Franz Josephs I. schlechte „Behandlung“ seines Bruders Max vom Mexiko ist sehr irreführend geschildert, auch ein Verstehen von und Verständnis für die Hausgesetze der Habsburger schei

nen zu fehlen. (Soviel ersieht man aus der Phrase, daß eine Gräfin Chotek „für die Habsburger nicht fein genug war". Mit dem Gottes- gnadentum hat dies allerdings nichts zu tun!) Auch der für einen Briten etwas subtile Unterschied zwischen „k. k.“ und „k. u. k.“ ging verloren. Allerdings hat man auch den Verdacht, daß der Übersetzer hie und da versagt hat. So ist z. B. das Wort bigoted im Englischen nicht mit dem deutschen „bigott" gleichzusetzen. Frömmler waren die Habsburger doch nie!

Man könnte auf noch andere kleine Ungenauigkeiten hinweisen, doch genug der Pedanterie! Privatgelehrte lieben es noch mehr als Professoren, Haare in der Suppe zu finden: man muß auf das Ganze schauen! Zweifellos ist dieses Opus Crankshaws geeignet, in England als Gegengewicht zu A. J. P. Taylors geradezu unglaublich infantile Schmöker zu dienen. Doch auch der deutsche Leser wird hier viele wertvolle Informationen und bildhafte Eindrücke mitnehmen können. Leider ist die allerletzte Periode Österreichs zu

kurz gekommen, denn die Geschichte reißt hier nach Königgrätz fast kurzerhand ab. Auch Franz Joseph I. erscheint so zwiespältig in der Beschreibung, daß es der Leser schwer hat, den vorletzten Habsburger auf dem Kaiserthron in eindeutiger Profilierung zu sehen. Einmal wird er sogar ein „Tyrann“ genannt, was wohl ein sehr übertriebenes Etikett ist. Trotz viel Bewunderung versucht Crankshaw keine Hagiographie des großen römisch-deutschuniversalen Kaiserhauses zu schreiben, sondern die Akzente richtig zu setzen. Aber gerade aus seiner Sympathie für Österreich heraus übt er manchmal zuviel Disziplin und Zurückhaltung. Freilich, Österreicher im biologischen Sinn, homines alpini oder „Weana“, sind die Habsburger nie gewesen, wie ja überhaupt die europäischen Dynastien alle eine sehr internationale Blutmischung darstellen. Die Habsburger selbst kommen aus dem schweizerisch- elsässisch-lothringisch-burgundischen Raum, und ihre Vision vzar immer völkerverbindend. Schon aus diesem Grunde haben die Österreicher sie nie recht verstanden, und die jetzigen introspektiven und egozentrischen Bürger der Republik der Neidgenossen vielleicht am allerwenigsten. Der Autor zitiert Felix Schwarzenbergs apokryphes: „Die Welt soll staunen über Österreichs Undank.“ Das gilt eigentlich vor allem von den „Herrn Karls“, deren Land seine Gloria einseitig von den Habsburgern bezog. Crankshaw als außenstehender Beobachter, der sich stets weite Horizonte aussucht, vermeidet die Froschperspektive und (als Brite?) ist er auch einseitigen Thesen abhold. Man kann diesem schönen und lehrreichen Panorama diesseits und jenseits der Salzach nur viele intelligente Leser wünschen.

DIE HABSBURGER. Von Eduard Crankshaw .Verlag Fritz Molden, Wien. 94 Seiten, 216 Abbildungen, davon 41 in Farbe. S 294.—.

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