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Die Unruhe beweist es: Die Kirche ist nicht tot

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Der Christ lebt nicht allein. Er lebt in Zeit und Raum. Der Christ lebt vor allem aber in der Kirche. Aber diese Kirche lebt selbst wieder in Zeit und Raum. Die Kirche lebt mit der Zeit, und weil sie eine Kirche aus Menschen ist und nur insofern sie eine Kirche aus Menschen ist, kann sie auch mit der Zeit in zeitlichen Dingen irren. Aber so wie der Mensch, der strebende, suchende, vertrauende Mensch letztlich nicht verlorengehen kann, so kann die Kirche auch im Grundsätzlichen, im Wesentlichen nicht irren. Wir müssen immer beides zusammen sehen: Den jederzeit möglichen Irrtum der Kirche in zeitlichen Fragen und die letzte Geborgenheit der Kirche in der Wahrheit Gottes und in der Offenbarung durch Christus. Wer die Kirche nur als menschliche Institution sieht, wird ihre Größe nicht fassen. Wer die Kirche nur als göttliche Einrichtung auffaßt, wer in ihrer jetzigen Gestalt schon das Reich Gottes auf Erden sieht, beraubt sie ihrer Menschlichkeit Auch die Kirche war in ihrer Geschichte nicht vor der Versuchung gefeit, das Reich Gottes hier auf Erden errichten zu wollen. Sie ist daran gescheitert. Wie alle daran scheitern, ein irdisches Paradies zu schaffen. Irdische Paradiese enden immer in Gewalt, Blut und Tränen.

Jede Zeit sieht die Kirche in einem anderen Büd. Wir haben sie gesehen als das irdische Sion, als Haus voll Glorie, als Stadt auf dem Berge, als die uneinnehmbare Festung. Das Konzü hat die Kirche anders sehen gelehrt: Kirche als Sakrament des menschlichen Heues, als Zeichen unter den Völkern, als Wohnstatt und Zelt Gottes unter den Menschen - als das Volk Gottes auf der Wanderschaft Viel zu lange hat dieses Volk gerastet, stand das Zelfcan gleicher, Stelle. Der große Johannes-Papst gab einer zaudernden Christenheit den Impuls, weiterzugehen. Das von ihm einberufene Konzü war das Startzeichen: Die Kirche ist wiederum auf dem Weg.

Seither sind über zehn Jahre vergangen. Die Begeisterung der ersten Stunde ist manchem Zweifel und einer gewissen Nüchternheit gewichen. Ist die Kirche nicht in die Irre gegangen, fragen sich manche besorgt, ist sie nicht wieder stehen geblieben, ja geht sie nicht wieder zurück, sorgen sich andere. Die offenen Fenster haben nur Staub und Schmutz in die Kirche gebracht, so die einen. Die wieder zugenagelten Fenster lassen uns den alten Mief noch stärker spüren, so die anderen.

Es wäre aber nicht nur ungerecht, es wäre ausgesprochen falsch, in unserer nachkonzüiaren Situation das Konzü nur negativ zu sehen. Es wäre eine Illusion gewesen, von diesem Konzü die Lösung aller Probleme der Kirche erwarten zu wollen. Kern Konzü hat es bisher vermocht, kein Konzü wird es in Zukunft vermögen. Deshalb aber das Konzü für alle Schwierigkeitenalte und neue -verantwortlich zu machen, ist eine Uberforderung des Kon-züs.

Nicht alles, was in Berufung auf das n. Vatikanum geschah oder versucht wurde im kirchlichen Bereich, ist deswegen eine Frucht des Konzils. Ebenso wenig sind Krisen- oder Verfallserscheinungen, die in zehn Jahren nach dem Konzil innerhalb der Kirche oder in Verbindung mit dem kirchlichen Zeitgeschehen sichtbar wurden, eine notwendige Folge des Konzils. Man könnte sagen: negative Erscheinungen gibt es trotz des Konzüs in dieser Zeit.

Daß es nach dem Konzü Unruhe in der Kirche gibt, ist nicht verwunderlich. Verwunderlich und bedenklich wäre e6, wenn es diese Unruhe nicht gäbe, wenn der Organismus der Kirche nicht auf ein Ereignis wie das Konzü reagieren würde: mit Bewegung, mit Unruhe, mit Fieber - denn dann wäre der Leib der Kirche tot Die Kirche aber ist nicht tot, ihre Unruhe beweist es.

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