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Die Unruhen dauern an

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Andauernde Unruhen in verschiedenen Städten der Republik Südafrika bilden den gewittrigen Hintergrund zu den Gesprächen, die Kissinger mit den Regierungschefs der im südlichen Afrika gelegenen Staaten führt. Ministerpräsident Vorster sagte in einem Interview, die gegenwärtige Verknüpfung von äußerem und innerem Druck auf die Republik habe eine Lage geschaffen, die man als ernst, nicht aber als kritisch oder gar bedrohlich bezeichnen könne.

Der Sprachenerlaß, der die Unruhen im Juni auslöste, wurde längst teils zurückgenommen, teils entschärft; mit den schwarzen Bürgermeistern und Verwaltungsbehörden wurde längst Einigung erzielt über das Funktionieren aller öffentlichen Dienste. Dennoch zieht keine Ruhe ein.

Die Gemäßigten unter den Schwarzen appellieren an die Vernunft und lenken dadurch den Haß und die Aggressionen der Radikalen auf sich, „Verbrennt unsere Schulen nicht! Wir können nicht ein Volk Ohne Unterricht, sein!“, hieß . es in. einem Aufruf. Der Vertretungsrat der Studenten und die Elternvereinigung von Soweto setzten die Abhaltung des normalen Studien- und Unterrichtsbetriebes durch. Häuptling Buthelezi, der Chefminister des Bantu-Heimatlandes Kwazulu, sonst ein harter Widerpart der Regierung in Pretoria, drückte sein tiefes Bedauern über das Geschehen aus und forderte die Jugend seines Volkes auf, nicht auf Agitatoren zu hören, weil sie sich damit nur ins eigene Fleisch schneide. Mätanzima aber, der Premierminister der kurz vor der Unabhängigkeit stehenden Transkei, verlautbarte kurz und bündig, er werde jeden Störenfried in seinem Gebiet sofort zum Militärdienst einberufen.

Dennoch kommt es häufig zu Brandlegungen, der illegale ANC läßt Streikaufrufe verteilen, die teils freiwillig, teils aus Furcht befolgt werden. Arbeitswillige werden attackiert, Schießereien zwischen Streikenden und Streikbrechern sind keine Seltenheit.

Die Hauptursachen der Unzufriedenheit sind, dem Urteil einheimischer schwarzer Beobachter zufolge, die mangelhaften Wohnverhältnisse in den Städten, die zu geringen Arbeitsmöglichkeiten und die schlechte Behandlung der Schwarzen durch die Bantu-Verwaltungsbehörden.

Während der letzte Vorwurf viele Beamte ohne Zweifel zu Recht trifft, lehnen die weißen Südafrikaner die Verantwortung für die Wohn- und Arbeitsmisere wenigstens teilweise ab. Sie kämpften, sagen sie, seit Jahrzehnten gegen die unkontrollierte Zuwanderung in die Ballungsräume an, und wenn sie Arbeitsunwillige und auch Arbeitslose per Schub in ihre Heimatländer zurückbeförderten, gebe es Proteste in aller Welt.

Die Regierung Vorster steht außerdem auf dem Standpunkt, das System der getrennten Entwicklung sei nicht schuld an dem Ausbruch der Unruhen. Die Republik sei kein Nationalstaat mit einigen Minderheiten, sondern ein multinationaler Subkontinent. Der Reichtum an besonderen Traditionen, Lebensweisen und -anschauungen mache jeden Versuch illusorisch, alle über einen Kamm scheren zu wollen. Die Meinung, die Abschaffung der Rassenschranken werde automatisch alle anderen Probleme lösen, zeuge von Unkenntnis der wahren Sachlage oder von entwaffnender Naivität. Da die Bevölkerung durchaus nicht homogen sei, stelle die getrennte Entwicklung den besten Weg dar.

Sie entspreche der universellen Lebensart der Völker in der Welt und sei jeder Art einer zwangsweisen Integration vorzuziehen, da eine solche immer mit der Unterdrückung des schwächeren Teils ende. Diese habe auch in den letzten Jahren viel Blutvergießen verursacht, man denke etwa an den Sudan oder an die Biafra-Tragödie. Es sei außerdem absurd, die Unruhen als Demonstration für ein friedliches Miteinander zu deuten, da doch Abneigung und Haß die Triebkräfte seien.

Daß die Unruhen nicht spontan ausgebrochen sind, sondern von Drahtziehern geschürt und gelenkt werden, die ihre besonderen Ziele im Auge haben, geht allein schon aus dem Zeitpunkt des Ausbruches riervör. Den Schwarzen Arbeitern geht es nicht schlechter, sondern besser als früher. Ihr Reallohn stieg im letzten Jahr im Durchschnitt um acht Prozent, während die Reallohnsteigerung der Weißen unter zwei Prozent blieb. Besonders in den Goldminen werden höhere Löhne gezahlt, was 7000 Bergleute mehr aus dem von Südafrika unabhängigen Lesotho angelockt hat; das bedeutet ein Ansteigen der Zahl dieser Gastarbeiter um 14 Prozent.

Die Südafrikaner verweisen mit Nachdruck auf die hohen Sozialleistungen für die Schwarzen. Eine schwarze Mutter entbinde in einer Klinik zum niedrigsten Satz, eine weiße Frau müsse für die gleichen Leistungen fünfzigmal soviel zahlen, behaupten sie. Den von ihnen veröffentlichten Zahlen zufolge gab das weiße Südafrika für seine 16 Millionen Schwarzen in den letzten 13 Jahren doppelt soviel aus wie die Vereinten Nationen für die Entwicklung von 130 Millionen Menschen in 38 Entwicklungsländern.

Dennoch wurden von Kennern der südafrikanischen Szene Störversuche für dieses Jahr erwartet. Der Grund liegt in der bevorstehenden Unabhängigkeit der Transkei, die die Regierung als ersten konkreten Beweis für die Richtigkeit des Weges der getrennten Entwicklung hinstellt. Es war zu erwarten, daß alle jene Kräfte, denen einvernehmliche, friedliche Lösungen im südlichen Afrika nicht in den Kram passen, dagegen Sturm laufen würden.

Gewiß- ist die Ankündigung Idi Amins, er werde an der Spitze einer afrikanischen Armee nach Südafrika marschieren, lächerlich. Auch die Äußerung Fidel Castros, er sei bereit, eine multinationale afrikanische Kampftruppe auszubilden, ist zunächst nicht ernst zu nehmen, da Berichte aus Moskau besagen, daß man dort auf Grund der empfindlichen westlichen Reaktionen auf das Experiment in Angola nicht so bald ein ähnliches in Angriff nehmen wolle. Aber das Langzeitprojekt ist gegeben. Eine weltweite Ver-leumdungs- und Diffamierungskampagne bereitet seine Realisierung vor. Die Propaganda hat sich schon eingeschossen.

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