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Die unsichtbare Barriere

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Am Wochenende, da beginnt er meist von daheim zu träumen, der südamerikanische Diplomat: Da vermag ihm die prunkvolle Villa in bester Stadtlage ebensowenig darüber hinwegzuhelfen wie der Trost, am kommenden Montag wiederum seinen Dienst antreten zu dürfen.

Am Wochenende, da sagt man sich in Wien: „Bonjour, tristesse”.

Zumindest ein Gutteil der Diplomaten empfindet das so: Denn während in den ersten Wochen und Monaten inmitten der lieblichen Stadt mit der uneingeschränkten Gemütlichkeit noch Entdeckungsreisen durch Hofburg und-Museen (so geöffnet), Konditoreien und Prater, Stephansdom und Kahlenberg auf dem Programm stehen, wird's im Laufe der Jahre eher monoton.

Sagen die von dieser Stadt Enttäuschten. Und geben schon zwei Augenblicke später zu, an der - nicht selten primär sprachlich bedingten - Barriere zwischen ihresgleichen und dem einheimischen Stadtvolk gescheitert zu sein.

Was also bleibt, sind Vergnügungen kultureller Art, soweit man nicht mit Arbeitskollegen und deren Familien in der Freizeit beisammensitzt oder Ausflüge in die Umgebung der Bundeshauptstadt unternimmt: Vergnügungen, die teilweise sogar in der landeseigenen Sprache genossen werden können.

Denn die ortsansässigen Kulturinstitute - etwa das Italiens, Englands, Frankreichs oder das Lateinamerikanische Institut - versuchen nach ihren Möglichkeiten, Filme und Vorträge in Originalsprache durchzuführen, können meist auch Bücher zur Verfügung stellen und organisieren mitunter gemeinsame Veranstaltungen für Ausländer in Wien - allein, nur zu oft bleibt man wiederum unter sich.

„Sometimes it's really horrible”, umschreibt einer, der bei sich in good old England über Kontaktschwierigkeiten nicht zu klagen brauchte. Seine Situation: „Sometimes you feel like being in.theghetto...”

Die Kinder der Betroffenen freilich empfinden das in der Regel nur als halb so schlimm: Sie gehen hier zur Schule, haben sich schon nach wenigen Wochen einen Bekanntenkreis aufgebaut, lernen auf dem Sportplatz, im Bad oder beim Tennis - und vor allem auch in den zahlreichen Lokalen - Alterskollegen kennen. Vor allem die Kaffeehäuser haben es ihnen, so hört man immer wieder, angetan: Eine Institution, die nicht nur für Ausländer zu jener Art von kulturellen Einrichtungen zählt, die zu besichtigen sich allezeit lohnt.

Freilich bieten auch die öffentlichen Stellen und Institutionen Kontaktmöglichkeiten und Freizeitgestaltung an: Sei das nun der „Club International” in der Wiener Alserstraße, seien das halboffizielle und private Gruppen, sei es das „English Theatre”, dem es immer wieder gelingt, prominente Schauspieler von der Insel für laufende Produktionen zu verpflichten. Oder sei es das „studio Motiere” mit seinen filmischen wie theatralischen Aktivitäten, das „Amerikahaus” und schließlich auch der ORF, der mit dem 0 3-Bruder „Blue Danube Radio” einen unerwarteten Erfolg vor allem beim jüngeren Publikum erzielen konnte.

Bleiben schließlich noch die Staatsoper mit mehreren fremdsprachigen Aufführungen im Monat oder das „Burg”-Kino, das Filme in Originalfassung mit deutschen Untertiteln mit großem Erfolg laufen hat und die Versuche verschiedener Kulturinstitute in umgekehrter Richtung, den ortsansässigen Österreichern mit der jeweils fremden Sprache auch fremde Kulturen, fremde Denkweisen - fremde (wenn auch oft hinsichtlich des Wohnortes unmittelbar benachbarte) Menschen näherzubringen.

Wobei das Unterfangen, ein französisches Zentrum in der Bundeshauptstadt zu errichten, das alle diesbezüglichen Aktivitäten schon ab Herbst unter einem Dach vereinen soll, das gegenseitige Näherrücken der Völker und ihrer Individuen veranschaulicht.

Die übrigen vielfältigen Angebote der Stadt sind ja ohnedies international: Museen gleichermaßen wie Konzerte oder Galerien - und im übrigen, so versichert eine der für die ausländischen Beamten in der UNO-City zuständigen Damen, werde alles versucht, Um eine Integration der Fremden in Wien zu erleichtern:

„Wer freilich aus New York oder Genf kommt und Wien-am Nachtleben messen möchte, wird im ersten Augenblick enttäuscht sein - und hoffentlich schon kurze Zeit später die verborgenen Schönheiten dieser Stadt auch nach Büroschluß kennen- und schätzenlernen”. Die „Deutsch-Sprachkurse für Ausländer” dürften dabei wohl eher nicht gemeint gewesen sein ...

Zur Ehrenrettung Wiens sei allerdings festgestellt: Es gibt auch zufriedene Ausländer in dieser Stadt.

Ausländer, die manchmal das sprichwörtliche Glück des Lebens gefunden und den idealen Ehepartner gefunden zu haben glauben.

Ausländer, die das unglaubliche kulturelle Potential dieser Stadt für sich allein und abseits der Trampelpfade des Massentourismus entdeckt haben.

Ausländer, die sich hier einfach wohlfühlen, weil selbst in der hitzigsten Debatte „immer noch Zeit für eine Melange oder wie ihr so sagt” gefunden wird.

Ausländer schließlich, die Nachbarn kennengelernt haben, die das Schlagwort von der Nachbarschaftshilfe ernst nehmen (und gerade damit dem Fremden eine Menge Ärger und Unannehmlichkeiten zu ersparen geholfen haben), die NichtÖsterreicher nicht sofort als Gefährder heimischer Arbeitsplätze denunzieren und abwertend ignorieren.

Ein Beispiel dafür, wie Vorurteile abgebaut werden können, liefert Sommer für Sommer eine Pensionistin aus dem 18. Wiener Gemeindebezirk: Während sie noch vor sechs Jahren ihren Pudel vor der Abreise in die Sommerfrische schweren Herzens in eine Aufbewahranstalt brachte, sorgen sich nunmehr die drei Kinder des leitenden UN-Beamten drei Wochen des Jahres rührend um ihn: „Und dabei hab' ich immer geglaubt, das sind ganz arrogante Leut'J”

Manchmal werden eben beinahe Märchen wahr: Dann tut sich sogar ein vermeintliches Ghetto auf - zum Vorteil aller.

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