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Die USA und die Kommunisten

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Wie groß und unersetzlich der Beitrag der USA zum Entstehen der Vormachtstellung gewesen ist, die seit 1945 vom kommunistischen Osten in Europa eingenommen wird, ist heute bekannt und das Schicksal von Millionen Menschen. Daß 1945 vor allem auf der Konferenz von Jalta die USA dem Kommumsmus in Asien die Wege zur Machtkontrolle eröffnet haben, kümmerte vorerst die ihren, Wirtschaftswundem nacheilenden Europäer wenig. Erst während des Vietnamkriegs und des vierten jüdisch-arabischen Kriegs von 1973 wurde man sich in Europa auch der Tatsache bewußt, daß der Kommunisanus nicht nur Europa unter Kontrolle hat, sondern sein Kontrollsystem bis an die Südküste Asiens ausgedehnt hat: Jetzt reicht die Kette der Haltepunkte dieses Kontrollsystems vom Ausgang des Roten Meeres bis in den Umkreis von Saigon.

In einer unlängst in deutscher Übersetzung erschienenen Analyse beschreibt Barbara Tuchmann Erfahrungen, die von den USA zwischen 1911 und 1945 in China gemacht worden sind. („Sand gegen den Wind“, Stuttgart 1973). Die Autorin gehört jener Neuen Klasse in den USA an, die sich im Zeitraum ihrer Betrachtung in den USA bilden und zur Macht emporschwingen konnte. Ihr Großvater, Henry Morgenthau, hat im Einvernehmen mit US-Präsidenten jenes Vorhaben betrieben, demzufolge Deutschland nach 1945 ein Acker- und Weideland werden sollte. Maurice Wertheim, Vater der Autorin, entstammt der ersten Garnitur der Bankiers der Neuen Klasse. Barbara Tuchmann selbst gehörte zur Vorhut jener amerikanischen Intelligenz, der der Reichtum der Väter zugute kam, die aber nach Verlust ihres jüdischen und christlichen Glaubens mit Gelassenheit, zum Teil mit innerer Folgerichtigkeit, den Übergang vom Liberalismus zum Kommunismus mitmacht oder betreibt. Für das hier zitierte Buch bekam Barbara Tuchmann zum zweiten Mal den Preis, der 1917 von dem aus Ungarn stammenden News Manager der Wilson-Ära, Joseph Pulit-zer, gestiftet worden ist.

Zu den unfertigen Hinterlassenschaften des US-Präsidenten Roose-velt gehört unter anderem die Vorstellung von einem weltpolitischen Kontrollsystem, das von den USA im Einvernehmen mit der UdSSR gesteuert werden soll. Henry Kissinger ist derzeit dabei, eine Variante dieses Experiments zu wiederholen und zu vollenden. Systemgedanke dieses Experiments ist einerseits die Abstützung der Ordnung von 1945 und anderseits die Verwirklichung einer Konvergenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus auf der Basis des Industriesystems. Wie es dabei um eine verbliebene Restgröße, das frei gebliebene Europa steht, hat Kissinger mit seinem Ausbruch: Mir ist gleich, was aus der NATO wird, ich bin angewidert, deutlich zu verstehen gegeben.

Roosevelts legendäres Vertrauen in die Person Stalins, dessen wahrer Charakter um 1945 mit dem Image des bärbeißigen „Uncle Joe'“ verdeckt wurde, führte dazu, daß der US-Präsident in Jalta endgültig „chinesische Interessen (gemeint ist das damalige Nationalchina) der Sowjetunion zur Disposition stellte, ohne daß Chiang davon gewußt oder seine Zustimmung gegeben hätte“ (Tuchmann, S. 526). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Nationalchina, das Roosevelt schon als ein loosing horse ansah, einen achtjährigen Krieg gegen die erstklassige Militärmacht Japans durchgestanden. Gegen jenes Japan, das 1941 die USA samt ihren Verbündeten binnen Monaten mit einem Schlag aus ihren ostasiatischen Kolonien vertreiben konnte. Barbara Tuchmann hebt hervor, daß dieses enorme Kriegspotential Japans ohne die vorherige ausgiebige Unterstützung der Rüstungsindustrie der „Großen Demokratien“ nicht entstanden wäre. Anderseits hatte Japan seine Erfolge gegen die Alliierten im Jahre 1941 jener faktischen

Rückenfreiheit zu verdanken, die von der Sowjetunion jenem kaiserlichen Japan gewährt wurde, dessen „imperialistische, kolonialistische und kapitalistische Kriegsziele“ der Kommunismus nach 1945 nicht genug verdammen konnte. Heute wissen wir um dieses do ut des der UdSSR und Japans, wie es 1941 gehandhabt wurde: Japans Appeasement gegenüber der UdSSR gestattete der Roten Armee, ihre in Fernost bereitgestellten Truppen fast zur Gänze in die Winterschlacht um Moskau zu werfen und so bereits 1941/42 eine Vorentscheidung im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht zu erringen. Roosevelts Verlangen, die UdSSR möge die USA bei der Niederkämpfung Japans unterstützen, erfüllte Stalin erst nach dem Abwurf der ersten Atombombe über Japan. Während des Zusammenbruchs der japanischen Kriegsmacht konnte die UdSSR große Teile chinesischen Territoriums besetzen. Und indem Roosevelt die Sowjetunion nach China hmeinkomplimentiente, wie ehedem Hitler die Rote Armee bei der Besetzung Ostpolens und der baltischen Staaten, entstanden für die Kampfverbände der chinesischen Kommunisten jene Bereitstellungsräume, aus denen sie wenige Jahre später zum Endkampf, um die Macht über China, angetreten sind. Kräfte, die die chinesischen Kommunisten in dem „gemeinsamen“ Kampf gegen Japan geschont hatten, konnten sie nachher im Bürgerkrieg um so machtvoller gegen die „Nationalen“ einsetzen, um schließlich zu siegen.

Auf 590 Seiten schreibt Barbara Tuchmann ihre Story vom Untergang des Amerikanismus in China und vom Sieg der Kommunisten. Es ist eine gut geschriebene Story, wenngleich sie nicht immer History zur Grundlage hat. Das trifft insbesondere für Passagen zu, in denen sich die Verfasserin, mehr als es gut und richtig ist, auf Tagebücher und Dokumente des US-Viersterngenerals Joseph W. Stilwell (1883 bis 1946) stützt. Von Stilwell wird gesagt, er hätte zu Zeiten mehr Macht in China besessen als der chinesische Generalissimus Tschiang. Trotzdem liegt ein merkwürdiges Schweigen der öffentlichen Meinung über Stilwell, während mit den Namen anderer, weit weniger machtvoller US-Generäle nach 1945 ein wahrer Heroenkult betrieben wurde.

Selbst die zum Teil falsch kontu-rierten Bilder der Ereignisse in der Spätkrise Nationalchinas lassen die gigantische Rundumverteidigung erkennen, in der sich Tschiang jahrelang gleichzeitig gegen die erstklassige Militärmacht Japan, gegen inkompetente amerikanische und gefährliche kommunistische Einflüsse in China, gegen korrupte Militärs und käufliche Banden, sowie nicht zuletzt gegen jene Leichenfledderer zur Wehr setzte, die immer rechtzeitig am Ort einer Katastrophe zur Stelle sind, um ihren Profit einzustreichen.

General Stilwell, der zum Unterschied von den später im Vietnamkrieg eingesetzten amerikanischen

„Ostasienexperten“ Jahre seines Lebens in China verbracht hat, resignierte schließlich 1945 angesichts der verfehlten Chinapolitik seines Landes mit jenem Satz, dem die Autorin ein ganzes Kapitel widmet und der in der Vietnamkrise Stehsatz der US-Publizistik wurde: „Wir sollten das Feld räumen, und zwar sofort.“ In diesem Punkt wurden sich schließlich der „wackere Soldat“ Stilwell und die Linksintellektuellen der sechziger Jahre vom Schlag der Bestseller-Autorin Mary McCarthy einig, wenn letztere 1968 in ihrem „Hanoi-Report“ schreibt: Es ist gar nicht so großartig, den Kommunismus aufzuhalten.

Barbara Tuchmann liegt es sichtlich, das Räumungskonzept Stilwells herauszustreichen, um so jene militärpolitischen Ansichten abzuwerten, die, wie jene des Zweisterngenerals Albert Wedemeyer, in eine ganz andere Richtung gingen. Wedemeyer hat angesichts des kommenden Sieges des Kommunismus in China in einem Vortrag am US National War College gesagt, daß „keine Macht oder ein Gebiet oder ein politisches Gebilde in der Nachbarschaft Rußlands imstande ist, russischen Aggressionen, russischem Eindringen oder russischen Infiltrationen ohne Unterstützung von außen durch eine Rußland vergleichbare Macht zu widerstehen. Um Wedemeyer zu diskreditieren, zitiert Barbara Tuchmann kommentarlos dessen seinerzeitige dienstliche Kommandierung an die Kriegsschule im Deutschen Reich der Naziära sowie ein Image, demzufolge Wedemeyer ein US-Offizier mit „einem Anflug jener Monokel-Kultur“ gewesen sein soll, die „die Elite des deutschen Generalstabs auszeichnet“.

Gewollt oder ungewollt beantwortet Barbara Tuchmann von ihrem Standpunkt die Frage: Wollten oder konnten die maßgebenden Kreise in der Ära Roosevelt der Expansion des Kommunismus in Europa und Asien nicht widerstehen? Sichtlich verärgert kreidet sie dem 1945 bei Tschiang akkreditierten US-Botschafter an, dieser hätte beträchtliche Kreise innerhalb des Außenministeriums (in Washington) „beschuldigt, vorsätzlich den Kommunismus im allgemeinen und den in China besonders zu unterstützen“. Heute liegt über solche frühe Zeugnisse der Wachsamkeit gegenüber kommunistischen Aggressionen der undurchsichtige Film, demzufolge mit dem Image einer „Hexenverbrennung der Kommunisten in den USA“ der Anti-Antikommunismus in Gang gesetzt worden ist. Der Name des Landesverräters Alger Hiss, der 1945 in Jalta zum engsten Beraterkreis Roosevelts gehörte, findet sich nicht einmal im Index des zitierten Buches, obwohl doch gerade Hiss um jene Zeit seine „Konvergenztheorie“ mit Erfolg in der US-Außenpolitik zum Tragen bringen konnte. Wer aber so gut zu schreiben versteht wie Barbara Tuchmann, der schreibt, indem er „every thing that flts to print“ schreibt, auch Dinge, die nicht in sein Konzept passen. Und so wird Barbara Tuchmann zu einem der Zeugen, die beweisen, daß die USA nicht nur dort den Kommunismus gewähren lassen mußten, wo sie ihm nicht gewachsen waren, sondern auch in jenen Fällen, in denen sie ein lässiges oder gewolltes Gewährenlassen an den Tag legten und legen.

Westeuropa bleibt unbelehrbar

Für das heute in der BRD vorherrschende geistige und politische Klima ist es bezeichnend, daß die deutsche Ausgabe dessen, was für Barbara Tuchmann „Stilwell and the American Experience in China 1911 bis 1945“ ist, umgetitelt wurde in „Sand gegen den Wind“. Der Wind, das ist die unwiderstehliche Kraft, die den Kommunismus auch in China zum Siege führte. Der Sand, das sind die angeblich hilflosen Bemühungen derer, die sich nicht von Parolen, wie jener der McCarthy fangen lassen, wonach es „gar nicht so großartig ist, den Kommunismus aufzuhalten“.

Chinas heutiger Ministerpräsident Tschu En-lai hält dafür, man müsse Barbara Tuchmanns Werk ins Chinesische übersetzen. Der Sohn aus einem Mandaringeschlecht Tschu hat recht, denn: ein sinnfälligeres Symbol der Hoffnungslosigkeit des Kampfes gegen den Kommunismus ist wohl kaum denkbar, als jenes der Tochter aus gutem Haus Barbara Tuchmann. Barbara Tuchmann selbst schließt ihr Werk mit dem Satz „Am Ende ging China seinen eigenen Weg, als wären die Amerikaner nie dort gewesen.“ Hierin irrt die Autorin: Ohne die tätige Mithilfe der USA wäre nach 1945 der Kommunismus in China nicht an die Macht gekommen; unzählige Amerikaner wurden in der Spätkrise National-chinas bewußt oder unbewußt Schrittmacher der Ausbreitung des Kommunismus in Ostasien; und das drohende Finale in Saigon bestätigt einmal mehr die zitierte These des US-Generals Wedemeyer und die Tatsache, daß kein auf sich allein angewiesenes Volk, das in den Machtbereich des Kommunismus gerät, länger in der Lage ist, „seinen eigenen Weg“ zu gehen.

Man legt das Buch aus der Hand und denkt mit um so größerem Respekt an unzählige Amerikaner, denen es trotz allem zu danken ist, daß es noch so etwas wie eine „freie Welt“ gibt. Eine Welt, die nicht „einen eigenen Weg“ unter dem Kommando des Kommunismus gehen muß und in der ein Bewußtsein wach ist, das Barbara Tuchmann trotz ihres immensen Fleißes beim „fact finding“ sichtlich abgeht.

SAND GEGEN DEN WIND. Amerika und China 1911 bis 1945 von Barbara Tuchmann, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1973, 590 Seiten,

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