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Die vergessene Kultur

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Konstantin Hiev (geboren 1937) gehört zu den hervorragendsten Dramatikern Bulgariens. Er studierte Germanistik an der Universität Sofia und dissertierte über Friedrich Dürrenmatt. Einen Namen machte er sich nicht nur als Autor, sondern auch als Übersetzer. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen „Ohne dich im Oktober" (1968), „Das Fenster" (1977), „Nirvana" (1982) und „Roter Wein zum Abschied" (1989). 1988 erschien sein Roman „Französischer Esel.

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Konstantin Hiev (geboren 1937) gehört zu den hervorragendsten Dramatikern Bulgariens. Er studierte Germanistik an der Universität Sofia und dissertierte über Friedrich Dürrenmatt. Einen Namen machte er sich nicht nur als Autor, sondern auch als Übersetzer. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen „Ohne dich im Oktober" (1968), „Das Fenster" (1977), „Nirvana" (1982) und „Roter Wein zum Abschied" (1989). 1988 erschien sein Roman „Französischer Esel.

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FURCHE: Es ist interessant, daß bulgarische Schriftsteller und Theaterautoren bei uns nicht bekannt sind. Uberhaupt weiß Osterreich von Bulgarien und seiner Kultur sehr wenig. Es ist ein weißer Fleck auf der Landkarte. Rumänien zum Beispiel ist bekannt.

KONSTANTIN ILIEV: Durch Ceausescu.

FURCHE: Auch durch die Revolution.

ILIEV: Vielleicht liegt es am Bulgarischen Nationalcharakter.

FURCHE: Wie ist der?

ILIEV: Wir haben keine Vorliebe für spektakuläre Dinge. Die politischen Änderungen bei uns sind ziemlich radikal. Aber es gab nicht solche Zusammenstöße und Blutvergießen. Dinge, die Schlagzeilen machen. Ich wundere mich eigentlich über solch eine Unpopularität.

FURCHE: Wie ist die Situation jetzt, nach den Wahlen?

ILIEV: Die Wahlen waren ein entscheidender Schritt vorwärts in Richtung Demokratisierung. Die demokratischen Kräfte haben jetzt die Mehrheit, was sehr positiv ist. Aber die Ergebnisse könnten viel besser sein. Die Struktur des Parlaments könnte noch vielfältiger werden. Ich glaube, es sollten auch noch andere Kräfte im Parlament vertreten sein.

FURCHE: Zur Kultur. Wo glauben Sie liegen die Ursachen für die Unpopularität Bulgariens?

ILIEV: Wir kennen die deutschsprachige Literatur gut und Sie unsere nicht. Weil Bulgarisch nicht von so vielen Leuten gesprochen wird.

Ich glaube, wir sind ziemlich offen, literatural. Es wird sehr viel übersetzt. Wir haben immer Möglichkeiten gefunden, alles, was neu erschienen ist. irgendwie zu präsentieren. Zum Beispiel Autoren, die frisch und jünger waren, sind sehr viel gespielt worden. In den sechziger Jahren der Friedrich Dürrenmatt. Aber auch Peter Handke und Thomas Bernhard sind sehr bekannt. „Heldenplatz" wird in nächster Zeit wahrscheinlich bei uns inszeniert werden. Ich rede von zeitgenössischer Dramatik. Arthur Schnitzler ist natürlich bekannt und sehr häufig inszeniert worden. Und Peter Brook hat Anfang der siebziger Jahre in Bulgarien mit dem „Sommernachtstraum" gastiert. Er hat einmal gesagt, Sofia ist die einzige Hauptstadt in Europa, an der er Interesse hat.

FURCHE: Bekannt wurden Sie unter anderem durch ihre großen Erfolge bei diversen Bregleds. Können Sie mir erklären, was ein Bregled ist?

ILIEV: Bregled, das ist eine bulgarische Theaterolympiade. Es wird jedes fünfte Jahr durchgeführt. Und es ist obligatorisch, daß dort neue bulgarische Stücke inszeniert werden. Es ist traditionell so, daß das Publikum entscheidet, was 211t ist. Wenn viel Beifall für ein Stück ist, kann die Jury nicht dagegen entscheiden.

Ein Stück von mir hatte sehr großen Erfolg in einem Bregled, in der Spielzeit 1973/74. Danach hatte ich für einige Zeit weniger Schwierigkeiten, das heißt, meine Stücke wurden in einigen Theatern inszeniert. Leider aber wurde meine nächste Inszenierung eines Stückes - „Ohne dich im Oktober" - verboten.,

Naja, da habe ich wieder geschrieben. „Eine Blume für Draginko" wurde in Plovdiv inszeniert. Drei Mal mußten die Schauspieler.vor einer Kommission spielen, in einem leeren Saal, bis sie endlich das Stück zuließen, es wurden natürlich einige Striche gemacht, einige Kompromisse.

Mein letztes Stück heißt „Rotwein für den Abschied". Eigentlich „Roter Wein für den Abschied", aber das Stück ist nicht sentimental und „Rotwein für den Abschied" klingt sachlicher. Ich habe es 1989 geschrieben, zwei Monate vor der Wende. Es wurde nach der Wende inszeniert. 1990.

FURCHE: War die Situation in der kommunistischen Ära für Theaterschaffende sehr hart?

ILIEV: Es waren Jahre, wo tschechische, rumänische oder sowjetische Theater sehr viel bulgarische Dramatiker gespielt haben. Viele Schriftsteller hatten Schwierigkeiten. In der Tschechoslowakei zum Beispiel oder in der DDR und in der Sowjetunion war die Zensur sehr brutal. Und wenn Theater etwas Kritischeres machen wollten, dann haben sie bulgarische Dramatik gemacht und gesagt: „Das ist ein sozialistisches Land", und die Funktionäre hatten Schwierigkeiten „nein" zu sagen.

So gab es eine Zeit, wo bulgarische Stücke ziemlich populär waren, innerhalb der Länder des ehemaligen Ostblocks. In der westlichen Welt ist so gut wie nichts bekannt. Ich finde, die Leute aus dem Westen können ihre starren Haltungen behalten gegenüber Diktaturen und alles, was mit dieser Gesellschaftsordnung zusammenhängt. Aber, daß kein weiteres Interesse gegenüber dieser Wirklichkeit da ist, das finde ich nicht normal. Das kann man nicht abtun, genauso, wie jetzt nicht alles durchgestrichen werden kann, es sind doch infmerhin vierzig Jahre. In diesen vierzig Jahren ist doch einiges geschaffen worden, das man nicht einfach negativ mit sozialistischem Realismus abwerten kann.

FURCHE: Wie war die Zensur in Bulgarien?

ILIEV: Es wurde ein dauernder Kampf geführt gegenüber der Zensur und den Kommissären in der Kultur. Manchmal mit Erfolg, manchmal nicht. Es gab Zeiten, wo es etwas liberaler zuging, und zwar nicht aus dem guten Willen der Herrschenden heraus, sondern wegen des Widerstandes, der geleistet wurde. Es kamen danach natürlich wieder schwierige Zeiten, aber es gab solche Tauwetterzeiten. Durch das was erschien. Und das muß ausgewertet werden.

Wir sind ja nicht so wie die Deutschen, unser System funktionierte auch nicht so gut wie in der DDR. So war es für uns machbar, daß wir uns etwas erlauben konnten, was nicht im Text stand. Wir konnten sehr viel improvisieren oder etwas so sprechen, daß es eine andere Bedeutung bekam.

FURCHE: Die Künstler sind aber jetzt frei von Zensur?

ILIEV: Ja. Kein Mensch sagt uns mehr: „Das sollt ihr spielen und das sollt ihr nicht spielen." Es gibt in dieser Hinsicht keine Probleme mehr.

FURCHE: Wie interessiert sind die Bulgaren eigentlich an Theater?

ILIEV: Bulgaren haben Theater sehr gern. Ich hab fünf Jahre am „Dramatischen Theater Sofia" gearbeitet. Es war ein Theater, wo nichts Konformistisches gemacht wurde. „Anders" und „innovativ", so wurde das Theater bezeichnet. Wir hatten nie Probleme mit dem Publikum. Es gab Aufführungen, wo sich die Leute um fünf Uhr in der Nacht an der Theaterkasse anreihten, um Eintrittskarten zu bekommen.

Aber das ist kein Wunder, denn das Theater bei uns hatte und hat eine andere Bedeutung als das Theater in den westlichen Ländern. Das Theater in den westlichen Ländern ist am Rande der Gesellschaft, weil auch die Aufmerksamkeit nicht immer stimmt. Beiunswares anders. Das Theater hSt auch die Rolle der Zeitung geführt. Der Publizistik, der politischen Revue. Das Publikum kam ins Theater um etwas zu hören, was es sonst nicht lesen oder hören konnte.

FURCHE: Wie reagierte das Regime gegenüber der Publizität von Dramatikern? Haben Sie Publizität?

ILIEV: Nein, das glaube ich nicht. Wegen des Regimes. Mich kennt das Theaterpublikum. Es gab Leute, die dafür sorgten, daß einige Leute nicht populär wurden. Es gab immer am Sonntag eine Sendung, wo über Kultur gesprochen wurde. Zum Beispiel nach meiner Uraufführung von „Odysseus fährt nach Ithaka". Man hat nicht mich zur Diskussion eingeladen, sondern den Schauspieler.

FURCHE: Auch eine Form der Zensur gegenüber Unbequemen.

ILIEV: Natürlich. Man wurde totgeschwiegen, das war's. Und gerade als Dramatiker ist man auf die Bühne angewiesen. Meine besten Inszenierungen waren in der Provinz. Aber in der Provinz kann sich eine Inszenierung nicht lange halten. Ich hatte auch gute Inszenierungen von Kammerstük-ken in Sofia. Aber in dem Theater, wo ich arbeite - im Nationaltheater - ist noch nie ein Stück von mir aufgeführt worden. Aus ideologischen Gründen. Aber ich habe mich dagegen gewehrt.

FURCHE: Wie kamen Sie an das Nationaltheater? ILIEV: Ich bin hingekommen vor ein paar Jahren. Ich mußte das Theater, wo ich arbeitete, verlassen. Ich war vorher im Theater Sofia. Wir waren fünf Dramaturgen, gleichzeitig Autoren, und wir waren alle nicht beliebt beim Regime. Aber es war schwer, uns fortzujagen. Wir waren beliebt beim Publikum. Dann kam eine Verordnung zur Personalreduzierung und da haben sie uns rausgeschmissen.

Und am Nationaltheater zu arbeiten, war die einzige Möglichkeit die mir blieb. Es war eine Strafe. Und ich habe darauf bestanden, nicht Hausautor sein zu müssen, das heißt, ich hatte nie die Verpflichtung, für das Theater zu schreiben. Und mir war klar, daß ich nie ein Stück für dieses Theater schreiben würde.

FURCHE: Planen Sie ein neues Stück?

ILIEV: Ich habe Pläne, natürlich. Ich habe Ideen. Aber ich will nicht darüber sprechen. Ich spreche erst über etwas, wenn ich es geschrieben habe.

Das Gespräch mit Konstantin Hiev führte Sylvia Vogler.

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