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DIE VERTEUFELUNG DES WESTENS

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Die moslemische „Diaspora" im Westen ist gewissermaßen das Lieblingsobjekt islamistischer Infiltrationsversuche. Auf dem amerikanischen Kontinent dienen Ballungszentren libanesischer und irakischer Schiiten wie Buenos Aires und Detroit als Ausgangspunkte.

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Die moslemische „Diaspora" im Westen ist gewissermaßen das Lieblingsobjekt islamistischer Infiltrationsversuche. Auf dem amerikanischen Kontinent dienen Ballungszentren libanesischer und irakischer Schiiten wie Buenos Aires und Detroit als Ausgangspunkte.

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An die schiitischen Hauptmoscheen dieser beiden Städte sind iranische Ayatollahs entsandt worden, umgeben von einem hochkarätigen Stab junger Mitarbeiter aus den arabischen Golfstaaten. Deren Ausbildung und Aufgabenbereich läßt sich mit der von Polit-kommissaren im früheren Sowjetbereich vergleichen.

In Kanada, den USA und Großbritannien stellen heute Inder und Pakistaner die Mehrheit unter den eingewanderten Moslems. Etwa 20 Prozent von ihnen sind Schiiten. Ihre Elite ist breiter als die der Türken in Deutschland oder die der Nordafrikaner in Frankreich. Die aktivsten Verfechter der „Imamlinie" (Linie des Imam Khomeini) sind jedoch meist Überläufer aus der sunnitischen

Bildungsschicht, personifiziert durch Kalim Siddiqi, den Direktor des Londoner Muslim Institute, der wichtigsten Institution des Khomeini-Isla-mismus im Westen. Der Herkunft, dem Werdegang, dem Talent und Temperament nach könnte Kalim Siddiqi ein älterer Bruder Rushdies sein. Die Gemeinsamkeiten sind zahllos. Bis 1979 war Siddiqi ein prominenter Linksintellektueller und erfolgreicher Autor politischer Schriften über Indien/Pakistan. Vom Islam wußte er bis zur „Islamischen Revolution" weniger als Rushdie.

Die Rushdie-Affäre kann eigentlich nur vor dem Hintergrund der iranischen Einflußnahme auf die moslemische Diaspora im Westen verstanden werden. Die vielen Anstrengungen Rushdies um amerikanische oder europäische Vermittlung zwecks Aufhebung des von Khomeini gegen ihn verhängten Todesurteils sind irreführend; denn nach dem Leben trachtete man ihm in Indien, Pakistan und England bevor man in Iran jemals seinen Namen gehört hatte. Diese Gefahr würde sich nach Aufhebung des Todesurteils nicht vermindern, sondern noch zunehmen.

Die iranische Führung interessiert sich wenig für den Inhalt des Rushdie-Buches, wenn überhaupt. Doch der Sturm der Entrüstung über die Satanischen Verse unter den überwiegend analphabetischen Gastarbeitern in England bot Teheran die Gelegenheit, sich zum Schutzpatron der sunnitischen Diaspora aufzuschwingen. Saudis und Ägypter reagierten gelassen auf das schwer lesbare Buch. Diese neue Mäßigung der Gralshüter des sunnitischen Islam bot der Gottespartei die Gelegenheit, Einbrüche in das sunnitische Lager zu erzielen, die sonst nur schwer denkbar gewesen wären.

Teheran ist jede Gelegenheit willkommen, diesen Führungsanspruch zu bekräftigen. Rushdie spielt das Spiel mit, indem er in fast regelmäßigen Abständen Appelle an die iranische Führung richten läßt, das Todesurteil doch bitte aufzuheben. Der Autor der Satanischen Verse schafft es auf diese Weise, im Rampenlicht zu bleiben. Einem anderen Zweck dienen die Appelle nicht, denn daß ihm nicht vergeben wird, weiß er nur zu genau.

Dennoch ist es fraglich, ob die von Teheran betriebene Verteufe-lung des Westens mehr als einen vorübergehenden Erfolg bei einer Minderheit der Unterprivilegierten in benachteiligten Dritte-Welt-Staaten haben wird. Das Bewußtsein für Demokratie und Menschenrechte ist eher erstarkt als geschwächt. Die iranische Expansionspolitik ist zu durchsichtig und Teherans Unterstützung für Terroristengruppen in den arabischen Staaten hat mehr Feinde als Freunde geschaffen.

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