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Die vielen Gesetze -ein notwendiges Übel?

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Wer kann, wenn das Pensionsalter näherrückt, den zu gewärtigenden Anspruch mit einiger Treffsicherheit prognostizieren? Welcher A rbeitnehmer ist in der Lage, den Nettobetrag zu ermitteln, der ihm bei einer Änderung seiner Bezüge zusteht? Gibt es noch Eigentümer von größeren Miethäusern, die ohne gutgeschulte Hausverwalter eine korrekte Zinsvorschreibung zuwege bringen?

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Wer kann, wenn das Pensionsalter näherrückt, den zu gewärtigenden Anspruch mit einiger Treffsicherheit prognostizieren? Welcher A rbeitnehmer ist in der Lage, den Nettobetrag zu ermitteln, der ihm bei einer Änderung seiner Bezüge zusteht? Gibt es noch Eigentümer von größeren Miethäusern, die ohne gutgeschulte Hausverwalter eine korrekte Zinsvorschreibung zuwege bringen?

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Ein „Da kenn' ich mich nicht mehr aus” oder gleich das „Da kann man sich nicht mehr auskennen” ist zur Normalhaltung des Bürgers gegenüber den Gesetzen und damit auch gegen* über dem Recht geworden.

Als sich die junge Republik in den Jahren 1919 und 1920 eine neue rechtliche Ordnung gab, genügten dafür 1374 Seiten Staatsgesetzblatt im Jahr 1919 und 2154 Seiten Staats- und Bundesgesetzblatt im Jahr 1920, dem Geburtsjahr unseres Bundes-Verfassungsgesetzes. Für die längst nicht so gravierenden Änderungen, die unsere Rechtsordnung in den Jahren 1978 und 1979 erfahren hat, waren dagegen 2714 bzw. 2810 Seiten erforderlich.

Wo liegen die Ursachen der vielbeklagten Gesetzesflut? - Es wirkt eine größere Zahl von Faktoren zusammen. Die gern berufene Komplexität der modernen Lebensverhältnisse ist nur einer von diesen.

Nicht unbeträchtlichen Anteil hat das „Legalitätsprinzip”: Dieses fordert, daß die staatlichen Verwaltungsbehörden nur auf der Grundlage von Gesetzen tätig werden. Insbesondere sollen die Gesetze dann, wenn sie Ermächtigungen zu Verordnungen enthalten, deren Inhalt vorzeichnen. Dies führt naturgemäß zu einer Vermehrung des erforderlichen Gesetzestextes.

Vor allem aber ist es um die „Kunst der Gesetzgebung”, um die Legistik, heute schlechter bestellt als früher.

Österreichs bester Legist - Franz von Zeiller (1751-1828), dem wir vor allem das ABGB danken - hatte für eine gute Gesetzgebung vier Kriterien aufgestellt: Sie müsse vollständig sein, solle sich von anderswohin gehörenden Bestimmungen freihalten, dürfe keine Widersprüche enthalten und habe angemessen (d. h.: den Problemen gerecht) zu sein.

Präzise sah Zeiller, daß der Gesetzesredaktor zunächst einmal eine Informationsaufgabe hat: „Die Kenntnis der Gesetze hängt von ihrer Deutlichkeit und Bestimmtheit ab.” Blättert man aber in einer neueren Ausgabe unseres Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, so kann man unschwer schon beim ersten Hinsehen den Text von 1811 von den in den letzten Jahren eingefügten Änderungen unterscheiden.

Die alten Paragraphen sind kurz und leicht verständlich, die neuen lang und umständlich. Daß dies besonders für das Ehe- und Familienrccht gesagt werden muß, macht die Dinge nur schlimmer: Gerade in diesem Bereich sollte das Gesetz jedem Bürger mit durchschnittlichen Verstandesgaben eine erste Orientierung bieten.

An Bemühungen, die auf eine Verbesserung der legistischen Qualität und daneben auf Rechtsbereinigung zielen, fehlt es zwar nicht. Leider bleibt es aber oft bei bloßen Lippenbekenntnissen.

Ein bewältigbares, doch unbewältig-tes Problem besteht im Verhältnis zwischen politischem Kompromiß und sprachlicher Formung. Derzeit sind die Texte der ersten Entwürfe oft besser als die der schließlich ins Bundesgesetzblatt gelangenden Gesetze. Die eminente Bedeutung des politischen Kompromisses - vor allem der Sozialpartnerverhandlungen - würde aber nicht in Frage gestellt, wenn man an ihn noch einen weiteren legistischen Arbeitsgang anschlösse, in dem nach kurzen und klaren Formulierungen gesucht und die Einpassung der zu schaffenden Regelung ins Rechtssystem angestrebt wird.

Während die heutige Gesetzesflut weithin als ein Übel - aber als eines, das man kaum vermeiden kann - angesehen wird, hat sie in akademischen Kreisen einige namhafte Verteidiger gefunden: In einer Festrede zum 100-jährigen Bestehen einer obersten deutschen Justizbehörde hat Josef Esser (1977) denen, die heute noch ein leicht durchschaubares Recht und damit Kodifikationen fordern, juristische Nostalgie vorgeworfen.

Dies mögen die Referenten aus dem Justizministerium der Bundesrepublik, die an der Gesetzesflut nicht eben unbeteiligt sind, zwar gerne gehört haben; doch muß Esser entgegengehalten werden, daß nur eine erfaßbare Ordnung sozial sein kann.

Richtet man durch perfektionistische Regelungsfreude eine Rechtsordnung so zu, daß der Zugang zu ihr von fachmännischer Betreuung abhängig wird, so reduziert man den sozialen Gehalt dieses Rechts. Nur eine Rechtsordnung, die auch als Informationsobjekt erfaßbar bleibt, ist sozial.

So komplex die Ursachen der Gesetzesflut sind, so vielfältig müssen die zu ihrer Uberwindung zu ergreifenden Maßnahmen sein. Wer immer irgendwo an der Gesetzgebung mitwirken darf, sollte dazu verhalten werden, sich mehr um klare und knappe Diktion zu bemühen.

In Seminaren könnte das Umformulieren von schwammig geratenen Texten (wie 1319 a A BG B) geübt werden.

Bei größeren Regelungsvorhaben sollten die „federführenden” Ministerien für die Erstellung von Alternativ-entwürfen sorgen, an denen systematische und rechtssprachliche Defekte der ins Auge gefaßten Regelung eher deutlich werden. Der Mut zur Kodifikation muß neu gefunden werden.

Das Strafgesetzbuch von 1974 zeigt -vor allem in seinem Allgemeinen Teil -ebenso wie die Gewerbeordnung von 1973, daß kodifikatorische Leistungen auch heute noch möglich sind. Allerdings ist nicht Willfährigkeit gegenüber dem jeweiligen Ressortchef, sondern eine Verbindung von Problemübersicht, Denkdisziplin und Ausdrucksvermögen das Kennzeichen des berufenen Legisten.

In mehrfacher Hinsicht ist ein Bewußtseinswandel unerläßliche Voraussetzung einer Eindämmung der Gesetzesflut. Bislang sind anscheinend die meisten Bundesminister von der Annahme ausgegangen, sie hätten ihr Ressort nur dann gut geführt, wenn sie in jeder Legislaturperiode mindestens ein größeres Gesetzeswerk „durchgesetzt” haben.

Daß es auch eine Leistung sein kann, das für ein Ressort relevante Normenmaterial nicht zu vergrößern oder es gar zu reduzieren und zu vereinfachen, kann nur durch langwierige Aufklärungsarbeit bewußt gemacht werden.

Noch wichtiger ist es, daß sich alle an einem Regelungsvorhaben Beteiligten öfter die Frage vorlegen, ob eine ins Auge gefaßte Normierung nicht etwa doch entbehrlich ist oder ohne Schaden für die Sache auch grobmaschiger ausfallen könnte. Insbesondere das Schul-und Hochschulrecht zeichnet sich durch eine Uberproduktion an Normen aus, die nicht nur unübersichtlich, sondern zu einem guten Teil auch widersinnig sind.

Legt man sich einmal die schlichte Frage vor, was durch diese Normenproduktion für den Schüler und für den Studenten wirklich besser geworden ist, so drängt sich die Einsicht auf, daß die Belieferung des Bundesgesetzblattes eher ein Ersatz für Reformen als ein Dienst an solchen sein kann.

So hat sich kürzlich herausgestellt, daß eine gänzlich überflüssige Vorschrift des neuen Hochschulrechts es unmöglich macht, in den juristischen Studienplänen Konversatorien statt der traditionellen Vorlesungen vorzusehen, wenn man nicht auch - was natürlich niemand will - zusätzliche Prüfungen über diese Konversation vorsieht.

Gute Gesetzgebung zeichnet sich durch Großzügigkeit und Abkehr von jedem Reglementierungswahn aus. Sie soll der Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens dienen, nicht diese in Papier ertränken.

(Univ.-Prof. Dr. Mayer-Maly ist Vorstand de Instituts für juristische Dogmengeschichte und Pri-vatrechMdogmatik an der Universität Salzburg)

Kirche und Gesellschaft

600 unbewaffnete Flüchtlinge, darunter auch Frauen und Kinder, wurden bei einem Fluchtversuch von El Salvador' nach Honduras im Mai von der salva-dorianischen Armee erschossen, berichtete der Sekretär der Honduranischen Bischofskonferenz, Jose Carranza Chevez, in einem unlängst veröffentlichten Dokument.

Eine „Pilgerreise” nach Polen werden im September prominente deutsche Bischöfe - die Kardinäle Höffner, Volk und Ratzinger werden genannt - auf Einladung von Kardinal Stephan Wyszynski unternehmen.

Zwei Millionen Schilling als Soforthilfe hat die österreichische Caritas zur Bekämpfung der Hungerkatastrophe in Ostafrika zur Verfügung gestellt, örtliche kirchliche Stellen gewährleisten, daß den Hungernden die auf das PSK-Konto 7.700.004 - Kennwort „Hunger” - erbetene Hilfe direkt zugute kommt.

Die „Pille auf Krankenschein” wird entsprechend einer wissenschaftlichen Studie als erstgereihte Alternative zur Abtreibung von der Linzer Kirchenzeitung zur Diskussion gestellt. i Die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit stellte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in den Armenvierteln Rios in den Mittelpunkt seiner Ansprache.

In der Hauptstadt Brasilia erging sein Appell zur Einleitung unerläßlicher Sozialreformen in einer Rede vor dem Staatsoberhaupt und den Regierenden des Landes.

„Man baut keine Gesellschaft auf, die den Namen menschlich verdient, wenn sie die menschliche Freiheit nicht respektiert”, mahnte der Papst in einer Meßfeier mit 100.000 Jugendlichen.

Die Weihe von 70 Priestern im Stadion von Rio nahm Johannes Paul II. zum Anlaß, den Dienst des Priesters als „wesentlich geistigen Dienst” zu definieren und ihn vom Dienst des Arztes, Sozialhelfers, Politikers oder Gewerkschaftsführers deutlich abzugrenzen.

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