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Die vielen Seiten des P.R.

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Peter Roseggers Lebenswerk hat Gewicht. Als er noch ein unbekannter Bauernsohn war, konnte sein Firmpate in einem „Buckelkorb” die damals siebeneinhalb Kilo schweren, voll orthographischer Fehler strotzenden Jugendschriften zu Fuß vom Alpl zur „Tagespost” nach Graz tragen.

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Peter Roseggers Lebenswerk hat Gewicht. Als er noch ein unbekannter Bauernsohn war, konnte sein Firmpate in einem „Buckelkorb” die damals siebeneinhalb Kilo schweren, voll orthographischer Fehler strotzenden Jugendschriften zu Fuß vom Alpl zur „Tagespost” nach Graz tragen.

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Wer heute Roseggers gesamten Nachlaß irgendwo hintragen wollte, müßte passen. Selbst Arnold Schwarzenegger wäre nicht imstande, Roseggers viele Bücher in den diversen Pracht- oder Volksausgaben, die unzähligen, mit eigener Hand geschriebenen Briefe und journalistischen Arbeiten in verschiedenen Tageszeitungen und die von ihm seit 1876 redigierte Monatsschrift „Heimgarten”, die pro Jahrgang an die 1.000 Druckseiten umfaßt, auch nur zu heben.

Roseggers Werk ist also - auch im körperlichen Sinne - schwer zu fassen; er hat unzählige Seiten geschrieben. Er selbst hatte aber auch sehr viele Seiten, von denen nur einige der breiten Öffentlichkeit bekannt sind.

Mit den von Auerbach und Silberstein inspirierten Dorfgeschichten und den humorvollen Schilderungen bäuerlichen Lebens, aber auch mit seinen Gedichten, wurde er bald populär. Daß Peter Rosegger auch ein überaus streitbarer Journalist war, wird oft verdrängt. Viele Leser lehnten ihn ab, sobald er sich von „Schnurren und Dorfidyllen” entfernte und anspruchsvollere Sujets behandelte. Es gab heftige Reaktionen, wie die eines Wiener Politikers, der Rosegger mitteilte:

„Sie pfuschen doch in alles hinein. Bleiben Sie bei Ihren einfältigen Dorf-späßen... Dieses Geschmiere... ist doch schon das Blödeste, was ich seit langer Zeit gelesen.”

Rosegger sah sich auch mit abwertenden Prädikaten, wie „Lederhosenpoet”, „Schneidergesellen-Dichter” und „Ziegenbock-Pegasus” bedacht. Die Kritik warf ihm seine mangelnde Bildung vor, wenn es es etwa hieß, er sein ein „Autodidakt, der eben nichts gelernt hat, darum solle er hübsch bescheiden abseits stehen und in den großen Angelegenheiten der Zeit und Menschen nicht mitreden wollen.” Auffallend heftige Kritik kam von der klerikalen Presse. Seine Werke wurden als „abgeschmackt”, das „religiöse Gefühl verletztend”, für die Jugend völlig ungeeignet, et cetera dargestellt.

Parteilos, nicht unparteiisch

Die Forderung, er möge harmlos und apolitisch bleiben, wurde von ihm nicht erfüllt. Seine in der Zeitschrift „Heimgarten” vorgebrachte Sozialkritik, sein von klerikalen Kreisen abgelehntes Eintreten für Reformen der Kirche und für die Ökumene, seine Stellungnahmen zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen verstrickten ihn in den politischen Tageskampf. Dabei war es ihm ein Anliegen, die Unabhängigkeit von den politischen Parteien zu wahren und gegenüber den gesellschaftlichen Lagern auf Äquidistanz zu gehen.

Seine Äußerungen umfassen philosophische, religiöse und erzieherische Fragen, aber auch Probleme der sozialen Veränderung durch die aufkommende Industrialisierung. Kultur-und Kunstkritik finden sich genauso, wie Stellungnahmen zur Friedensbewegung, zum Antisemitismus oder zum deutlicher werdenden Nationalitätenstreit. Nicht immer sind seine Stellungnahmen frei von Widersprüchen. Seine ungeheure Popularität führte dazu, daß seine moralischen und politischen Wertungen auf größte Resonanz stießen. Die Fülle von Stellungnahmen Roseggers ermöglichte es konträren politischen Lagern, ihn immer wieder neu zu bewerten und das jeweils „Genehme” herauszustreichen.

So ist die Rezeptionsgeschichte besonders im Fall Roseggers zugleich die Geschichte einer Vereinnahme. Zwischen 1933 und 1938 wurde Rosegger für das Österreich- und Heimatbewußtsein ebenso verwendet, wie für die bereits von 1938 immer nachhaltiger werdende nationalsozialistische Propaganda. Der nunmehr gefragte Heimatbegriff veränderte sich in das „Großdeutsche Reich”, für dessen Zwecke man bei den Gedenkfeiern 1943 den „deutschnationalen” Rosegger benötigte.

Roseggers Aussagen zum Deutschtum und seine Haltung zum Antisemitismus waren überaus differenziert; er konnte sich dem Zeitgeist nicht entziehen und formulierte einiges, was • der nationalsozialistischen Rezeption entgegenkam. Er rief aber auch immer zur Toleranz auf und wandte sich gegen jeglichen Fanatismus.

Es ist nicht allzu bekannt, daß Roseggers Texte auch für die Propaganda gegen den Nationalsozialismus verwendet wurden. So brachte die „Au-stro American Tribüne” während des Zweiten Weltkriegs in ihrer deutschsprachigen Ausgabe ein Gedicht Roseggers, welches die Toleranz gegenüber anderen Rassen, Weltanschauungen und politischen Ansichten zum Inhalt hat. Es schließt mit den Zeilen: Wer da ausmarschiert um jeden Fremdgesinnten zu befehden, Der wird nimmermehr auf Erden mit der Fehde fertig werden. War' der letzte Feind zertreten, Stund allein er am Planeten.”

Nach 1945 brachte das kommunistische Organ „Wahrheit” den sozialkritischen Peter Rosegger und druckte dessen „Jakob der Letzte” in Fortsetzungen ab. Eine sozialistische Frauenzeitung meinte, wenn Rosegger noch leben würde, wäre er ein sozialistischer Katholik, und heute liegt es nahe, Rosegger als Vorkämpfer des Umweltschutzes zu sehen. Hingegen entdeckte das Fernsehen jene Werke Roseggers, die als vorweihnachtliche Einstimmung oder als romantische Rückbesinnung auf eine verlorene Welt zu gebrauchen sind. Gerade in einer unsicher gewordenen Welt konnte der mediale Rückgriff auf eine angebliche heile, aber inzwischen versunkene bäuerliche Welt den nostalgischen Bedürfnissen der Zu-seher entgegenkommen.

Ehrlichkeit beim Zitieren!

Ein ausgewogenen Urteil der Persönlichkeit Roseggers gab die unvergessene Autorin Hilde Spiel anläßlich der Ro segger-Preisverleihung .Sie sagte: .Zeitlebens hat er, wie Ibsen es nannte, .dunkler Gewalten Spuk' in sich bekämpft, hat um die wahren Werte gerungen, um Großmut, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, hat ein guter Mensch sein wollen, auch wenn ihm das nicht immer gelang. Wer wollte ihm daraus einen Vorwurf machen? Er war, wie Conrad Ferdinand Meyer in seinem schönen Gedicht über Ulrich von Hutten schrieb, ,kein ausgeklügeltes Buch / er war ein Mensch mit seinem Widerspruch'. Wie wir alle. Mehr als ein guter Mensch zu sein wäre schon heiligmäßig. Nach allem was ich von ihm weiß, genügt es mir, wie er war.”

Solche abgeklärten Beurteilungen sind in einer von Schlagworten erfüllten Gesellschaft fast eine Seltenheit. Rosegger selbst war bereits damit konfrontiert, daß aus sehr komplexen Werken vereinfachend jeweils das ideologisch Passende entnommen wird; er erlebte, wie das Werk Robert Hamerlings mißbraucht wurde. Rosegger meinte damals: „Das willkürliche Herausreißen von einzelnen Sätzen aus Dichterwerken kann unter Umständen eine Fälschung bedeuten. Wozu schreibt der Dichter, der Ethiker ein ganz großes Werk, wenn irgendein Satz ihn schon vollkommen vertritt, schon Alles sagen kann? Seien Sie ehrlich im Zitieren.”

Er war sich dessen bewußt, daß „man jeden Dichter oder Schriftsteller ganz beliebig zu allem Möglichen und Unmöglichen stempeln” könne: „Man kann Goethe zu einem blutigen Sozialdemokraten, Schiller zu einem fanatischen Klerikalen, Luther zu einem Zyniker, den heiligen Augustin zu einem Gottesleugner machen. Shakespeare wird sich dafür bedanken, mit seinen Bösewichtern, Cervantes wird sich dagegen verwahren, mit seinen Dummköpfen identifiziert zu werden.”

Nach wie vor lohnen sich Neuauflagen. Leider hat man es aber bislang noch nicht unternommen, die Monatsschrift „Heimgarten” neu zu editieren. Dieser Umstand mag auch die Einseitigkeit des Ro segger-Bildes in der breiten Öffentlichkeit erklären, da die journalistischen Leistungen Roseggers nur schwer greifbar sind. Mit der heurigen Steirischen Landesausstellung wird der Versuch gemacht, auch die unbekannten Seiten dieses Autors vorzustellen. Gerald Schöpfer, Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Grazer Universität, ist wissenschaftlicher Leiter der Landesausstellung „Peter Rosegger”, die bis 31. Oktober 1993 in Birkfeld, Krieglach und St. Kathrein am Hauenstein stattfindet. Siehe auch FURCHE Nr. 25/1993 und Seite 14.

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