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Digital In Arbeit

Die Vielfalt der Einfalt

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Immer mehr Werbebotschaften stürmen auf den potentiellen Käuferein. Die relative Wirkungslosigkeit wird das Werbeniveau auch nicht heben. Eher noch etwas drücken.

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Immer mehr Werbebotschaften stürmen auf den potentiellen Käuferein. Die relative Wirkungslosigkeit wird das Werbeniveau auch nicht heben. Eher noch etwas drücken.

Werbung
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Wir stehen als Konsumenten täglich auf dem Prüf stand, täglich repräsentieren wir in irgendeiner Form die Zielgruppe bestimmter Marketinginteressen. Hochgerechnet auf die Gesamtpopulation unseres Landes bestimmt unser Verhalten die Vielfalt der Einfalt in der Werbung.

Ausgeklügelte Grundlagenforschungen von ausgekochten Marketingstrategen sind zwar in Österreich nicht die Regel, aber Methoden zur Durchleuchtung der „österreichischen Seele” wie Markt-, Meinungs- und Motivforschung werden heute auch hierzulande schon in Anspruch genommen. In vielen Produktbereichen

— signifikantestes Beispiel ist der Wasch- und Spülmittelmarkt — hat sich die Werbung längst auf einen exzessiven Bekanntmachungskrieg der Marken zurückgezogen.

Nach der klassischen AIDA-Regel (Attention, Interest, Desire, Action) funktioniert oft nicht einmal das erste „A”, die Erregung von Aufmerksamkeit. Das Wek-ken von Interesse, von Wünschen, als Brücke zur Kaufhandlung wird inzwischen hauptsächlich über eine geschickte Positionierung in den Warenregalen bewirkt.

Die inflationäre Entwicklung einer Marktprofilierung mit immer neuen Marken (ohne die alten außer acht zu lassen), hat den Wahrnehmungsraster des potentiellen Kaufpublikums enorm vergröbert. Trotzdem versuchen die professionellen Werber mit allen zu Gebote stehenden Tricks der Mehrheit „sympathisch” zu sein. Daher sind auch nach wie vor die Primitivmuster aus der untersten Lade unserer Emotionen die meist gefragten.

Ein kürzlich durchgeführter Motivforschungsauftrag, die emotionelle Wirkung eines bestimmten Werbespots zu untersuchen, zeigt, daß die Anwendung der Story eines schick vorgetragenen Ehebruchs kritiklos aufgenommen wird. Dieser Spot erzählt das Abenteuer eines Mannes, der aus dem Fenster einer im ersten Stock gelegenen Wohnung

— halbnackt — flüchtet, weil der Ehemann (oder Partner) unvermutet das Tete-ä-tete seiner fremdgehenden Gesponsin stört. Diese wiederum wirft dem Flüchtenden den Rest seiner Kleider — halbnackt im Fenster agierend — samt männlich-modischem Schuhwerk, um das es hier geht, nach.

Bemerkenswert an den Reaktionen der Testpersonen bleibt, daß bei der Auswahl von (nur) 25 Männern und immerhin 63 Frauen, sich keine der Frauen in ihrem Rollenbild verraten oder verletzt fühlte. Die Frau als „Sexobjekt” ist in Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) demnach kein Thema.

Kritisieren wir die Vielfalt der Einfalt in der Werbung, haben wir auch die Oberflächlichkeit der Konsumenten ins Kalkül zu ziehen. Werbung ist kein alchimistisches Mittel der Massenverführung, Werbung ist ein Rückkoppe-lungsprozeß, das sogenannte Feedback” auf unsere eingeübten Verhaltensnormen, die am erfolgreichsten auf der Ebene von allen bekannten Wirtshauswitzen kommunizierbar sind.

Und die Werbung bezieht nun einmal ihre Kreativität und Wirkungsweise aus der Wiederhohing allgemeingültiger Codes und Verhaltensmuster. Die wenigen Außenseiter in der Werbung werden, obwohl äußerst erfolgreich in der Werbewirkung, vom durchschnittlichen Rezipienten als „blöd”, „verrückt”, bis zu „entartet” eingeordnet und empfunden. Das wiederum ist ein Grund dafür, die alte Masche weiter zu stricken, um „sympathisch” zu bleiben.

Die Serie einer Tageszeitung informiert über die gesundheitlichen Schäden durch Gifte in täglichen Gebrauchsartikeln, der Konsument bevorzugt aber gleichzeitig dieses gefähr liehe Gift, weil seine Anwendung „bequemer” ist. Nach uns die Sintflut! Im übrigen beißt sich die Werbekatze zunehmend häufig selbst in den Schwanz, denn die durch die Werbung vertieften Lebensgewohnheiten kann die Werbung nicht ändern.

Lediglich eine Veränderung gesellschaftlicher Verhaltensformen (ich denke da an Zwebendorf, Hainburg, das Abfangjägerspiel oder an das neue Rollenverständnis der Frau in der Gesellschaft) könnte eine Veränderung der Werbung bewirken.

Vielleicht noch ein anderer, quantitativer, Blick hinter die Kulissen: Von insgesamt 37 durch ein Meinungsforschungsinstitut getesteten Fernsehspots an einem bestimmten Tag im April dieses Jahres erreichten nur 6 (sechs) Werbespots eine spontane Erinnerung von mehr als 5 (fünf) Prozentpunkten, 8 (acht) davon werden spontan überhaupt nicht mehr (am darauffolgenden Tag) erinnert bzw. wahrgenommen.

Für viele Werbegegner mag das ein Trost sein, aber die Reaktion der werbenden Wirtschaft auf derartige Ergebnisse ihrer Wirkungslosigkeit wird kaum eine Verbesserung des Niveaus bringen, vielmehr müssen Reaktionen a la ORF erwaret werden, der ja auch aufgrund qualitativer Sehererhebungen (Infra-Tests) sein Musikantenstadlprogramm laufend ausbaut.

Der in den dreißiger Jahren nach den USA emigrierte Wiener Psychologe Ernest Dichter, heute mit dem Etikette „Vater der Motivforschung” versehen, hat nicht nur amerikanische Präsidenten und Bruno Kreisky in ihren Wahlkämpfen beraten, sondern insbesondere durch „dumme Fragen” (Dichter) die Emotionen von Menschen für die Werbestrategen erschlossen.

Eine von ihm beratene Kampagne für ein Herrenhemd hat mit männlicher Abenteuerlust außer dem überaus erfolgreichen Absatz der angebotenen Hemden auch die Nachfrage nach dem werbenden Attribut, einer schwarzen Augenbinde, stimuliert.

Dichter appelliert an den Spieltrieb und die Kreativität der Konsumenten, sein Kommunikationsmodell entspricht der Idee eines Kreises, der absichtlich nicht geschlossen wird, damit der Empfänger selbst tätig werden muß, um für sich den Kreis zu schließen.

Konventionelle Werbung arbeitet mit geschlossenen Kreisen, hier gibt es keine Lücke zu überwinden. Ihr zum Teil noch immer beträchtlicher Erfolg liegt in der Frequenz, in der stetigen Wiederholung ein und derselben Binsenbotschaft. Steter Tropfen höhlt den Stein!

Werbung ist auch eine Frage der Kultur, der jeweiligen Kultur eines Landes, der jeweiligen Kultur einzelner Zielgruppen. Ihre Stammtischverhalten sind verschieden, würde der aus Villach stammende amerikanische Soziologe Paul Watzlawick sagen, der in seinem populären Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit” die jeweilige Wirklichkeit als Ergebnis aus Kommunikation bzw. Konvention, das heißt auch individuell verschiedener Kulturverhalten, bezeichnet.

Die von der Werbung gebrauchte Meta-Sprache einer „Uberwirklichkeit”, auf einen bestimmten Kulturkreis eingeschworen, ritualisiert Verhaltensmuster. Und die Rituale fungieren dann als Aushängeschilder dieser in der Gruppenharmonie stimmigen Uberwirklichkeit, die man kaufen kann.

Die Glaubwürdigkeit der Werbung hat in den letzten Jahren allerdings empfindlich abgenommen. So erzählen Studien, daß Konsumenten inzwischen fast automatisch das Wort „super” mit „besser” und „besser” mit „gut” übersetzen. Aber das gibt noch keinen Grund zur übertriebenen Hoffnung, weil mit dem Sinken der Lebensqualität, der emotionellen Kälte unserer Zeit, eben die Nachfrage nach käuflich erwerbbaren Uberwirklichkeiten wieder steigt.

Ersatzbefriedigungen und Ersatzhandlungen in geschlossenen Kreisen einer Ersatzsinnli”hkeit zerstreuen noch recht befriedigend unser wachsendes Unbehagen einer ökologischen Unwirk-lichkeit gegenüber. Die „grünen Körnchen” und „grüntropfigen Sheriffs” werden die berstenden Mülldeponien und das vergiftete Essen schon beseitigen.

Solange wir Konsumenten daran glauben, wird die Vielfalt der Einfalt nicht nur ein Charakteristikum der Werbung bleiben.

Der Autor, früher Werbemanager bei „Hu-manic”, leitet die Kulturredaktion der „Kleinen Zeitung” Graz.

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