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Die Visitenkarte der Demokratie

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Unser politisches System muß auf mehr Verantwortung hin orientiert werden. Eine künftige Koalition wird auch an ihren Beiträgen zur Demokratiereform gemessen werden.

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Unser politisches System muß auf mehr Verantwortung hin orientiert werden. Eine künftige Koalition wird auch an ihren Beiträgen zur Demokratiereform gemessen werden.

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Manchmal erinnert man sich an das Ende der sechziger Jahre. Wie damals werden Stimmen hörbar, die nach einer Änderung unseres demokratiepolitischen Instrumentariums rufen.

Auffallenderweise sind die Themen und Anliegen heute fast dieselben wie damals: Wahlrechtsreform, Modernisierung der Staatsorganisation, mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bürger, Uberdenken der Rolle des Parlaments.

Geredet und geschrieben wurde viel, geändert hat sich wenig.

Ist die Diskussion über die Demokratiereform ein unvermeidbares, aber ebenso unerfüllbares Ritual einer reformwütigen Randgruppe unserer Gesellschaft? Dient sie als Ablenkungsmanöver von schwerwiegenderen, vor allem ökonomischen Problemen unserer Zeit?

Angesichts der Starrheit und einer weitverbreiteten Indolenz in den politischen Parteien ist man geneigt, diese Fragen zu bejahen. Aber dennoch: der Hintergrund solcher Reformbemühungen hat sich gewandelt.

Der Bürger ist unruhiger geworden, sein Verhältnis zur Politik skeptischer und distanzierter. Machtansprüche politischer Institutionen werden nicht mehr mit jener Selbstverständlichkeit zur Kenntnis genommen, wie dies vor zwei Jahrzehnten noch der Fall gewesen sein mag.

Die traditionelle österreichische Struktur der politischen Lager ist in Bewegung geraten, der Wähler ist für die Wahlwerber unberechenbarer geworden.

Die zentrale Frage dabei ist: Wie soll die Politik reagieren? Soll sie in Abwehrreaktionen ver-krampfen oder sich dieser neuen Beweglichkeit anpassen?

Die Antwort kann nur lauten, daß unser politisches System offener, beweglicher und auf mehr Verantwortung hin orientiert werden muß. Mit den Auswüchsen des Wohlfahrtsstaates und der dadurch bedingten Trägheit allein läßt sich der „verdrossene Bürger“ nicht mehr erklären.

Systemmängel und Systemfehler sind es, die Unzufriedenheit und Frustration im politischen Bewußtsein hervorrufen.

Institutionelle Reformen sind sicher keine Wunderwaffe in einem oft beschworenen Erneuerungsprozeß der demokratischen Gesellschaft. Ebenso wäre es aber falsch,' sie als bloße „Reformkosmetik“ abzutun.

In Erwartung eines Wahlkampfes, in dem die Zukunft der verstaatlichten Industrie und der Budgetpolitik existentielle und bestimmende Themen sein werden, wären die konkurrierenden politischen Parteien gut beraten, Signale und konkrete Vorstellungen für eine Verbesserung unserer demokratischen Einrichtungen kundzutun.

Es wären dies sicher nicht die wahlentscheidenden Optionen, politkritische Bürger — und ihre Zahl ist nicht gering - würden aber zumindestens den guten Willen erkennen, gegen Systemversteinerungen anzukämpfen und die Rolle des Souveräns, des Vol-.kes, wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Das Vertrauen des Wählers in

die Sinnhaftigkeit und Funktionsfähigkeit politischer Institutionen kann nicht durch verbale Umarmungen gestärkt werden. Es bedarf vielmehr vertrauensbildender Maßnahmen.

In dem reichhaltigen, seit langem diskutierten Bouquet derartiger Maßnahmen hat eine Reform des Wahlrechts erstrangige Bedeutung.

Das Wahlrecht als „Visitenkarte der Demokratie“ ist derzeit eine typische Visitenkarte des Parteienstaates: die dem Wähler präsentierte Liste der Parteien gibt diesem praktisch nur die, Möglichkeit, zum Parteivorschlag entweder ja oder nein zu sagen. Die Liste zählt alles, Kandidaten wenig.

Die Wahlrechtsreform des Jahres 1970, eine von den heutigen Regierungsparteien SPÖ und FPÖ maßgeschneiderte Reform, hat die bis dato ohnehin bescheidenen Ansätze einer Mitbestimmung des Bürgers bei der Auswahl seiner Repräsentanten ad absurdum geführt. Der Einzug von Josef Cap in den Nationalrat — über eine Vorzugsstimmenkampagne — ist kein Gegenargument.

Eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts ist ein Gebot der Zeit.

Konkrete Vorschläge, wie etwa der von der ÖVP im Nationalrat eingebrachte Antrag auf Schaffung eines Vorzugsstimmenwahlsystems oder andere Vorstellungen auf Einführung eines Mischsystems (Einerwahlkreise mit Listenausgleich), stehen auf dem Boden des Verhältniswahlrechtes und wären durchaus taugliche Ansätze für eine von einem breiten Konsens getragene Wahlrechtsänderung. .

Neue Impulse sind für einen Ausbau der Instrumente der direkten Demokratie erforderlich. Die oft angekündigte .Antwort auf Hainburg“ wurde bis heute nicht gegeben.

Wohl sind in mehreren Bundesländern in den vergangenen Jahren beachtliche Schritte in Richtung eines Ausbaues der Bürgerpartizipation getan worden, auf Bundesebene ist die Debatte ins Stocken geraten.

Auch hier muß klargestellt werden, daß es nicht um eine grundsätzliche Korrektur der repräsentativen Demokratie geht, sondern lediglich um eine eher bescheidene Weiterentwicklung der Einrichtungen der Volksabstimmung und des Volksbegehrens.

Konkret: für die Schaffung einer Volksbefragung (Frage an das Volk nicht in Gesetzesform) und für eine Reform des Volksbegehrens (obligate Volksabstimmung, wenn ein Volksbegehren eine bestimmte Unterschriftenzahl überschritten hat und vom Parlament nicht gebilligt wurde) müßte eine politische Zustimmung gefunden werden, wenn die Volksrechte nicht nur ein Schlagwort bleiben sollen.

Schließlich verdient noch ein weiterer Reformbereich Erwähnung: die Reform der Staatsorganisation. Dies ist weit mehr als Verwaltung jreform, wie sie üblicherweise in der praktischen Politik abgehandelt wird. Reform der Staatsorganisation bedeutet Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungsreform. Sie kann nur an längerfristigen Zielen orientiert werden.

Kernpunkt muß hiebei eine neue Verteüung und eine neue Grenzziehung der Staatsaufgaben sein. Dezentralisation, Dekonzentration und Subsidiarität — alte Grundsätze, jedoch mit neuer Aktualität, die zu einem kritischen Uberdenken verkrusteter Strukturen führen sollten.

Die angesprochenen Bereiche sind Hauptfehler demokratischer Reformpolitik. In ihnen ereignet sich die Dynamik des modernen Staates.

Wie immer Koalitionsspekulationen für die Zeit nach den nächsten Nationalratswahlen aussehen, man wird zukünftige Regierungsformen nicht nur nach ihrer wirtschaftlichen, Problemlösungskapazität beurteilen, sondern auch nach ihren Beiträgen zur Belebung der Demokratie.

Der Autor ist ÖVP-Abgeordneter zum Nationalrat.

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