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Die Wählerstimmen zuerst!

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„Sie Fundamentalist!” wird hysterisch beschimpft, wer gegen das neue Aufenthaltsgesetz für Ausländer meckert. Als „satter Ignorant” wird abgekanzelt, wer für die strenge Kontrolle des Zustromes von Fremden ist. Wie soll bei dieser Schwarz-Weiß-Malerei eine nachvollziehbare „Ausländer”-Politik möglich sein?

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„Sie Fundamentalist!” wird hysterisch beschimpft, wer gegen das neue Aufenthaltsgesetz für Ausländer meckert. Als „satter Ignorant” wird abgekanzelt, wer für die strenge Kontrolle des Zustromes von Fremden ist. Wie soll bei dieser Schwarz-Weiß-Malerei eine nachvollziehbare „Ausländer”-Politik möglich sein?

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Nur Jörg Haider konnte zufrieden sein: Die Regierung exekutiert mit dem Aufenthaltsgesetz für Ausländer sein Volksbegehren, frohlockte der FPÖ-Obmann und durfte sich wieder einmal bestätigt fühlen. Und niemand ist ihm dabei - wie sonst so oft - empört ins Wort gefallen.

Dabei war die Koalition noch stolz und froh, als die Mehrheit der Österreicher sich nicht für das Haidersche „Ausländer-Volksbegehren” engagierte und es damit zum Scheitern brachte. Und jetzt? Identifiziert sich die Koalition etwa doch mit jener Minderheit von Haider-Gefolgsleuten, gegen die man damals so heftig polemisiert hat?

Anfangs schien alles ganz klar: Das Ausländer-Aufenthaltsgesetz soll, so die Befürworter, einerseits den legalen Zustrom von Ausländern einschränken, andererseits Handhaben gegen „Illegale” bereitstellen. In Wahrheit kann das Gesetz beispielsweise aber auch langjährigen Gastarbeitern zum Verhängnis werden, falls sie die vorgeschriebene „ortsübliche Unterkunft” nicht nachweisen oder wenn Termine für Sichtvermerke versäumt werden (FURCHE 32/1993). Klarerweise ließ die Kritik nicht auf sich warten.

Dabei spielen sich aber ein Hick-Hack und eine Polemik ab, aus denen eigentlich keiner mehr klug wird. In der ÖVP sind die Meinungen geteilt: Landeshauptmann Erwin Pröll nennt das Gesetz „schlecht” und „praxisfremd”. Parteiobmann Erhard Busek ist „nicht gegen das Gesetz”, sondern „gegen die Art, wie es angewendet wird”. Ihm sind offensichtlich die Durchführungserlässe des Innenministeriums ein Dorn im Auge. Justizsprecher Michael Graff plagt hingegen das „schlechte Gewissen”, weil er - wie er sagt -, dem Aufenthaltsgesetz zugestimmt hat, ohne sich sein Urteil so gewissenhaft zu bilden, wie das nötig gewesen wäre. Generalsekretärin Ingrid Korosec ist zwar für das Gesetz, will aber gleichzeitig auch Änderungen nähertreten, sofern es in hohem Maß zu ungerechtfertigten Härtefällen kommt -allerdings müßte das erst einmal ein halbes Jahr getestet werden.

Löschnak erledigt „Schmutzarbeit”

In der SPÖ geht es überhaupt drunter und drüber: Die junge Generation der Partei verlangt eine „sofortige Änderung”, denn ein unmenschliches Gesetz könne nicht menschlich gehandhabt werden, Bundeskanzler Vranitzky stellt sich schützend vor seinen Innenminister. Franz Löschnak müsse jetzt die „Schmutzarbeit” für Österreich machen und darf dafür nicht noch geprügelt werden. Der Grazer Bürgermeister Alfred Stingl verlangt wiederum eine rasche Novellierung. Der Vizepräsident der Wiener Arbeiterkammer, Josef Edler, ist für eine rigide Exekution, denn sonst „würden Tausende inländische Arbeitnehmer verunsichert!”

Die Grünen waren immer schon gegen das

Gesetz und fordern die „sofortige Aussetzung”. Die Liberalen lachen sich ins Fäustchen, denn sie waren als Partei am Zustandekommens des Gesetzes noch nicht beteiligt.

Der oberste Vormann aller Abgeordneten (und doch zugleich auch Chefideologe der SPÖ), Heinz Fischer, stellte unlängst jedoch klar: „Das Gesetz wurde absichtlich so knapp formuliert, um größtmögliche Flexibltät zu ermöglichen”. Die Frage ist nur, Flexibilität für wen? Kaum für einen kleinen Magistratsbeamten. Gemeint kann nur sein, daß der Innenminister, der ja die Durchführungsbestimmungen erläßt, größtmögliche Spielräume erhalten sollte. Und wofür? Wohl, um rasch auf die Stimmung der Bevölkerung zu reagieren. Denn „Ausländer”-Politik wird in Österreich im wesentlichen an der tatsächlichen oder vermeintlichen Stimmungslage -dafür hängt man die Meinungsforscher ins Volk - ausgerichtet. Stimmung bringt schließlich Stimmen, nicht wahr?

„Flexible” Auslegung

Allerdings ist diese Auslegung der „Flexibilität” anders gelaufen. Die Landeshauptleute -die das Gesetz zu exekutieren haben -, senden da unterschiedliche Signale aus: Hans Katschthaler stellte apodiktisch fest, in Salzburg würden beim Vollzug des Gesetzes durchwegs Härten vermieden. In Wien dagegen konnte Bürgermeister und Landeshauptmann Helmut Zilk nur mehr mit den Achseln zucken. Er, der den Genossen im Innenministerium fragen wollte, ob er denn Milde walten lassen dürfe, wurde nach eigenen Worten dort einfach „abgeschmettert”. Josef Ratzenböck will hingegen erst gar nicht lang fragen: Er persönlich stehe dafür gerade, gelobte er in einem Interview, daß in seinem Bundesland Härtefälle vermieden werden.

Einer objektiven Ungleichbehandlung der Ausländer ist somit Tür und Tor geöffnet. Sie sind in Zukunft von der Gnade des Landeshauptmannes, des Magistratsbeamten oder des Bezirkshauptmannes abhängig. Wer wortgewandt ist oder gute Beziehungen hat, kann sich's somit richten. Die weniger Vifen beißen halt die Hunde.

Wie soll es jetzt weitergehen? Ein halbes Jahr warten, wie Frau Korosec vorschlägt und es Innenminister Löschnak für selbstverständlich hält? Da gehört schon eine dicke Haut dazu. Denn offensichtlich hat niemand sonst ein Gewissensproblem, wenn im Laufe dieser Monate auch nur ein Dutzend menschlicher Tragödien stattfindet (Familienzerreißungen, Existenzvernichtungen)...

Kluge Geister sind in allen Parteien gerade dabei, neue Programme zu entwerfen. Die heiligsten Begriffe werden da beschworen: Menschenwürde, Solidarität, Gemeinwohl, Emanzipation, Gleichheit und so weiter. Aber in der politischen Realität geht es um etwas anderes. In den hitzigen Mediendebatten und Polemiken wird (bewußt?) nicht einmal unterschieden, von welchen Ausländern eigentlich die Rede ist. Was immer noch fehlt, ist eine sachliche Argumentation, ein wirklicher Gedankenaustausch über Ziel und Richtung dessen, was unter „Ausländerpolitik” läuft.

Dazu gehören Fragen wie:

□ Von welchen „Ausländern” ist die Rede? Von politisch Verfolgten, Wirtschaftsflüchtlingen, Studenten, Kindern, Familienangehörigen, Gastarbeitern, sonstigen Einwanderern?

□ Was kann den Österreichern wirklich zugemutet werden? Wie stehen die Chancen einer Integration von Ausländern in die Wirtschaft, in die Kultur? Was erschwert, was erleichtert das Zusammenleben ?

□ Was muß den Österreichern zugemutet werden? Etwa angesichts der schreienden Not in Ex-Jugoslawien und anderswo?

Was letztlich gewollt und entschieden wird, ist dann hoffentlich keine Sache der Willkür mehr, sondern hängt von einer realistischen Lagebeurteilung ab.

Derzeit geht es jedenfalls nicht um das Erwägen des Zumutbaren - für alle betroffenen In- und Ausländer. Auch nicht um „Menschenwürde zuerst”. Ja, nicht einmal um „Österreich zuerst” (denn die jetzige Regelung ist ein Schande für unseren Rechtsstaat und unser Ansehen in der Welt). Jetzt geht es eindeutig um „Wählerstimmen zuerst”.

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