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Die währungspolitischen Gesundbeter

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Ein betriibter Vater erzählt einem Freund, sein schon mehr als zwanzigjähriger Sohn, an sich ein hoffnungsvoller junger Mann, sei Bettnässer; er könne dieses Gebrechen nicht los werden und kränke sich sehr dariiber. Der Freund rät dem Vater, seinen Sohn zum Psychiater zu schicken. Einige Zeit später erkundigt sich der Freund, ob der Psychiater dem Sohne helfen konnte. „So halb und halb”, antwortet der Vater. „Bettnässen tut er noch immer, aber er kränkt sich nicht mehr.” Ganz ähnlich ergeht es uns mit der Inflation der letzten Jahre.

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Ein betriibter Vater erzählt einem Freund, sein schon mehr als zwanzigjähriger Sohn, an sich ein hoffnungsvoller junger Mann, sei Bettnässer; er könne dieses Gebrechen nicht los werden und kränke sich sehr dariiber. Der Freund rät dem Vater, seinen Sohn zum Psychiater zu schicken. Einige Zeit später erkundigt sich der Freund, ob der Psychiater dem Sohne helfen konnte. „So halb und halb”, antwortet der Vater. „Bettnässen tut er noch immer, aber er kränkt sich nicht mehr.” Ganz ähnlich ergeht es uns mit der Inflation der letzten Jahre.

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Anfänglich haben wir uns gekränkt: gerade der Ärger weiter Kreise über die ständige Teuerung war es, der in Deutschland wie in Österreich den Sozialisten zu ihren Wahlsiegen ver- half; sie hatten sich am lautesten über die Inflation erregt und die bürgerlichen Parteien der Unfähigkeit geziehen, mit ihr fertig zu werden.

Nun, da die Sozialisten an der Regierung sind, haben wir noch immer Inflation, sogar schlimmer als zuvor; die deutsche Presse hat 1970 zum „Jahre der großen Teuerung” ernannt (so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung” vom 31. Dezember 1970).

Aber wir kränken uns nicht mehr, beziehungsweise sollten uns nach dem Willen der neuen Wirtschaftspolitiker nicht mehr kränken, sondern, von allen Unlustgefüblen befreit, die währungspolitische Bettnässerei heiter-gelassen hinnehmen. Auf einmal ist nämlich die Geldentwertung nicht mehr böse, keine Folge kapitalistischer Profitgier, sondern ein unvermeidlicher Bestandteil fortschrittlicher Wirtschaftspolitik. Nun soll beileibe nicht rundweg behauptet werden, daß die bürgerlichen. Parteien mit der augenblicklichen Inflation sehr viel besser zu Rande gekommen wären; ihnen fehlt es, sehr zum eigenen Schaden, meist am Mut zu einer entschlossenen Inflationsbekämpfung. Aber sie würden sich wenigstens kränken, wenigstens versuchen, die Inflation einzudämmen.

Was heute so bedenklich stimmt, ist der Verniedlichungsfeldzug zugunsten der Inflation. Statt diese zu bekämpfen, Will man die Inflationsfurcht „wegpsychiatrieren”. Sind aber erst einmal die psychischen Sperrren beseitigt, dann steht einer ständigen Beschleunigung der Geldentwertung nichts mehr im Wege. Nicht ohne Grund warnen aber verantwortungsbewußte Wirtschaftswissenschaftler immer vor dem Aberglauben, man könne die Inflation nach Wunsch manipulieren und den Übergang von der schleichenden zur galoppierenden Geldentwertung auf die Dauer verhindern

Mit der Inflation leben?

Als Schöpfer des „neuen Inflationsgefühles” darf wohl der ehemalige sozialdemokratische Staatssekretär im Bonner Wirtschaftsministerium, Dr. Arndt (heute wieder Präsident des deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung in Berlin), gelten, der eines Tages verkündete, die Deutschen müßten lernen, mit der Inflation zu leben. Damit war das Stichwort gegeben, das von den „fortschrittlichen” Wlrtschaftspoliti- kem aller Schattierungen gierig aufgegriffen wurde. Den bisherigen Höhepunkt bildete eine „Dokumentation” des Zweiten Deutschen Fernsehens, in der ein rückhaltloses Bekenntnis zur Inflation als notwendige Voraussetzung für Vollbeschäftigung und Wachstum abgelegt wurde. Nicht genug damit, wurde sogar kurzerhand behauptet, durch die Inflation käme niemand zu Schaden, nicht einmal die Sparer, die durch immer höhere Zinsen gut entschädigt würden.

Die Verfasser der Dokumentation waren wohl kaum so naiv, diese Behauptungen selbst zu glauben; denn daß die in solchen Fällen übliche leichte Anhebung des Habenzinsfußes für Spareinlagen (daß in Österreich sogar diese abgelehnt wird,

steht auf einem anderen Blatte) bei weitem nicht ausreicht, um den zunehmenden Kaufkraftschwund einigermaßen auszugleichen, ist nur zu offensichtlich. Sollten die Verfasser aber an den Sparer in fest verzinslichen Wertpapieren gedacht haben, so ist ihre Behauptung noch unrichtiger. Wohl steigen die Zinssätze im Gefolge der Inflation; doch gilt das nur für Neuemissionen, deren Ausgabe erst recht den Kurs älterer Papiere sinken läßt. Will aber der Sparer der höheren Verzinsung der neuen Schuldverschreibungen teilhaftig werden, muß er seine alten mit großem Verluste verkaufen, ein Tausch, der sich selten lohnt.

Darüber mußten sich auch die Autoren des ZDF im klaren sein. Es ist daher schwer, in ihrer Argumentation etwas anderes als bewußte Irreführung zu sehen, was kaum auf redliche Absichten schließen läßt.

Das „harmlose” Inflatiönchen

In Österreich wurde schon seit längerem sehr entschieden auf deutsche Welle geschaltet. Bereits im September 1970 verfocht Handelsminister Dr. Staribacher (sinnigerweise just Ijei einer Diskussion der Deutschen Handelskammer) die Ansicht, Wachstum schließe Stabilität aus. Bundeskanzler Dr. Kreisky hieb (etwa in seiner Neujahrsansprache über den Rundfunk) in die gleiche Kerbe wie der Wirtschaftsfachmann Nr. 1 seines „Teams”: Wenn die Regierung keine tiefgreifenden Maß nahmen gegen die Inflation setze, so deswegen, weil solche Maßnahmen zahlreiche Arbeitslose brächten.

Noch deutlicher (weil von Rücksichten auf Wählermeinungen unbelastet) wurde der Generaldirektor-Stellvertreter der Oesterreichischen Nationalbank, Dr. Kienzl, ehemals volkswirtschaftlicher Referent des Gewerkschaftsbundes. In der Gewerkschaftszeitung „Arbeit und Wirtschaft” schwärmte er geradezu zärtlich vom „Inflatiönchen”. (Wir charmanten Österreicher verstehen es eben doch besser als die „Preußen”: mögen diese mit der Inflation leben lernen, wir wollen sie gleich auch noch lieben. Tu felix Austria nufoe inflationem.)

Im Titel seines Aufsatzes fragte

Dr. Kienzl: „Inflation, Preis für die Vollbeschäftigung?” Er bejahte die Frage zwar nicht ausdrücklich, legte aber ihre Bejahung nahe.

Aufgewärmter Populär-Keynesismus

Allen hier angeführten Argumenten ist gemeinsam, daß in ihnen die Alternative auf gestellt wird: entweder stabiler Geldwert oder Vollbeschäftigung und Wachstum; beides sei nicht möglich. \

Damit werden die Gegner mundtot gemacht. Wer unter der Wucht dieser Feststellung noch gegen die Inflation ist, der „entlarvt” sich als asozialer Besitzbürger, der das Opfer der Geldentwertung nicht für Vollbeschäftigung und steigenden Massenwohlstand zu bringen bereit ist. Für die Inflation zu sein, beweist hingegen, daß man die „Zeichen der Zeit” begriffen und seine Reife prüfung als moderner Mensch bestanden hat. Also Rufmord am Andersdenkenden statt sachliche Argumentation.

Was hier als neueste Erkenntnis dargeboten wird, ist nichts als aufgewärmter Populär-Keynesismus, der gerade die umstrittensten Thesen Keynes’ als gesicherte Wahrheit ausgibt und sie bis in die letzten Folgerungen zu verwirklichen trac’ tet; für ihn ist es bewiesene Tatsache, daß Vollbeschäftigung und Wachstum nur durch ständige Inflation gesichert werden können und daß umgekehrt jede Stabilisierungspolitik zu „Wachstumsverlusten” und Arbeitslosigkeit führen müsse.

Schon Finanzminister Dr. Karnitz wurde seinerzeit vorgeworfen, seine

Stabiliserungspolitik werde zur Massenarbeitslosigkeit führen. Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich noch an eine Karikatur in einem sozialistischen Boulevardblatt, die Dr. Karnitz vor einem Arbeitslosenheer zeigte, das er mit den Worten tröstete: „Dafür aber ist der Schilling in Zürich um zrwei Punkte gestiegen.” Gerade die Kamitzsehe Politik (wie vorher schon die Erbardsche in Deutschland und nach dieser auch in anderen europäischen Staaten) hat bewiesen, daß die Festigung des Geldwertes die Voraussetzung für Vollbeschäftigung und Wachstum ist — eine Erfahrung, die man heute nicht mehr wahrhaben will.

Der längst widerlegte Populär- Keynesismus wird heute als letzter volkswirtschaftlicher Modeschrei wieder herausgebracht, getreu dem Rezept der Haute Couture, daß alles, was vor 20 Jahren modern war, sich heute wieder als Neuheit verkaufen läßt; anscheinend gelten in der Wirtschaftspolitik die gleichen irrationalen Spielregeln wie bei der Bekleidung.

Endstation Stagflation

In Wirklichkeit verhält es sich aber mit der Inflation wie mit den Heilmitteln: so nützlich sie dem Kranken sind, so schädlich ist ihre Einnahme dem Gesunden, auch und gerade wenn sie keine unmittelbar abträglichen Folgen zeitigen, sondern scheinbar den Gesunden noch gesünder machen; in Wirklichkeit legen sie seine körpereigenen Abwehrkräfte lahm, der Gesundheitszustand wird von der ständigen Zufuhr gewisser Chemikalien von außen abhängig, und, was am schlimmsten ist, der Körper gewöhnt sich so sehr an die Mittel, daß sie im echten Krankheitsfälle wirkungslos bleiben.

Ebenso kann ein kurzer leichter Inflationsstoß einer stagnierenden Wirtschaft unter Umständen auf die Beine helfen; die Dauerinflation führt hingegen zu jenem in jüngster Zeit häufig beobachteten wirtschaftlichen Zustand, für den das ebenso scheußliche wie zutreffende Wort „Stagflation” geprägt wurde, nämlich Inflaltion trotz Stagnation. Der Wirtschafts-,Körper” stumpft nämlich (und das übersehen die Infla- tionisten) nach einiger Zeit gegen das Aufputschmittel Geldentwertung so sehr ab, daß er trotz dessen reichlicher Anwendung „schlapp macht”. So etwa hat in England und Amerika heute die Arbeitslosigkeit bereits eine bedenkliche Höhe erreicht, obwohl die Inflation munter weitergeht; in Schweden müssen trotz zunehmender Geldentwertung immer mehr Betriebe schließen. In allen diesen Ländern sind heute die „klassischen” Konjunkturbelebungsmaßnahmen bedenklich, weil die Gefahr besteht, daß sie in neuen Inflations wellen verpuffen, statt die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Im Hintergrund: Lenin

Der wirtscbaftspolitische Wert der schleichenden Dauerinflation (des „Inflatiönchens”) ist also mehr als zweifelhaft; deren Propheten scheint es auch gar nicht so sehr um Wirtschaftspolitik als um Gesellschaftspolitik zu gehen. Irgendwo im Hintergründe ihrer Überlegungen (bei den einen bewußt, bei den anderen vielleicht unterschwellig) lauert der bekannte Ausspruch Lenins, daß, wer die bürgerliche Welt zerstören möchte, zunächst ihre Währung zerstören müsse. Ob die Inflationisten, die, ob liberal oder sozialistisch, sich selbst oft als gute Demokraten verstehen, bedacht haben, daß Lenin auch den demokratischen Sozialismus der bürgerlichen Welt zurechnete? Daran hat sich seither nichts geändert. Erst kürzlich sprach Ostdeutschlands Walter Ulbricht unter offensichtlicher Billigung des Kremls von den Gefahren des „Sozialdemokratismus”. Nicht viel anders denken die „Jusos”, die heute allen demokratischen Sozialisten, nicht nur in Deutschland, zu scliaÄeh ‘ machen. Wer also die Währung zerstört, mag leicht auch dem demokratischen Sozialismus den Boden unter den Füßen wegziehen.

Gewiß haben verschiedene Praktiker der Politik gar keine gesell- schaftsverändemden Hintergedanken, sondern sind bloß froh, eine bequeme Ausrede für das Versagen ihrer Inflationsbekämpfung und eine Rechtfertigung für ihre popularitätshaschende Ausgabenpolitik ohne Rücksicht auf den Geldwert gefunden zu haben; ähnlich mag es sich bei manchen Gewerkschaftsführern verhalten, die sich „nur” die Freiheit für forsches Fordern, unbelastet von wirtschaftspolitischer Rücksichtnahme, wahren wollen. Aber diese Gedankenlosigkeit ist ebenso schlimm, wie es die Hintergedanken sind. Die Folgen einer allgemeinen Radikalisierung sind die gleichen, ob sie nun wissentlich und willentlich oder ahnungslos herbeigeführt werden.

Katastrophenromantik

Nun soll keineswegs jenem unreflektierten Konservativismus das Wort geredet werden, für den jede Veränderung der herrschenden Zustände ein Frevel ist, der seine Aufgabe im ständigen Bremsen sieht oder, wenn er den Wandel entdeckt haben sollte, darunter nur eine systemimmanente „Dynamik” versteht. Aber jene Art von „Sytem- überwindung”, wie sie die Inflation verursacht oder zum mindesten fördert, ist die am wenigsten erstrebenswerte. Sie schafft nur neues soziales Unrecht statt bestehendes zu beheben, sie fällt gerade die gesunden Zellen der Gesellschaft an und bringt die kranken zum Wuchern; am Ende eines solches Weges das soziale Paradies sehen zu wollen, ist nur törichte Katastrophenromantik.

Die Inflation ist ein Mittel der Zerstörung, aber bestimmt nicht des wirtschaftlichen Gedeihens und der sozialen Gerechtigkeit. Inflationsbegeisterung oder auch nur Inflationsgelassenheit aus sozialen Gründen ist eine höchst verdächtige Gefühlswallung, deren wahrer Beweggrund kaum jemals echte Mitmenschlichkeit ist.

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