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Die Wälder sind Verschmutzung im „Dauerstreß“: von nah und fern

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Was ist nun für die immerhin unbestrittene großräumige Gefährdung des Waldes verantwortlich? Es gibt über 200 Waldsterbenstheorien, stellt beispielsweise dazu Klaus Johann von der Forstlichen Bundesversuchsanstalt fest, und Wolf-Dieter Großmann, Systemanalytiker der IIASA in Laxenburg, geht mit seinen Computersimulationen den Erklärungsmöglichkeiten von etwa 50 Hypothesen nach.

Verständlich, daß die Wissenschafter auf konkrete Fragen ausweichend antworten: „Ich traue mich nicht, dazu irgend etwas mit absoluter Sicherheit zu sagen“, stellt Johann fest, als ich ihm die Frage stellte, was nun letztlich für das massive Eichensterben in Ostösterreich verantwortlich sei. Daß relativ viele Bäume ohne Vorwarnung absterben, widerspricht eigentlich den bisherigen Erfahrungen der Waldschadensforschung. Da müsse eine Krankheit, die aus dem Osten Ungarns kommt und westwärts wandere, mitbeteiligt sein. Aber das sei bis jetzt nicht nachgewiesen.

Daß ein Laubbaum so plötzlich heftig reagiere, werfe alle Vorstellungen über den Haufen, meinen die Fachleute. Von Nadelbäumen, die ihre Nadeln zehn bis zwölf Jahre haben und sie nicht j ährlich regenerieren wie die Laubbäume, wäre eine derartige Reaktion eher zu erwarten gewesen.

Dieses Beispiel zeigt, wie schwer sich da eine Wissenschaft tut, mit einem unfaßbar vielfältigen Geschehen zurechtzukommen. Denn für die meisten Erscheinungen gibt es keine länger zurückliegenden Beobachtungen. Muß die Wissenschaft also passen? Nein, so schlimm ist es, Gott sei Dank, auch nicht. Einiges wurde immerhin zutage gefördert, nicht zuletzt aufgrund der „österreichischen Forschungsinitiative gegen das Waldsterben“. An ihr wirken 20 Forschergruppen aus sechs österreichischen Universitäten, Institute der Forstlichen Bundesversuchsanstalt und das österreichische Forschungszentrum Seibersdorf mit.

Was zeichnet sich bisher ab? Da ist zunächst die Feststellung, daß Sterben in jedem Wald stattfindet. „Ein sich selbst überlassener Wald, der stabil ist, hat immer mit Krankheiten zu tun, muß rrfit Katastrophen fertigwerden und regeneriert sich wieder“, stellt Rudolf Orthof er fest. Nicht die Tatsache, daß Bäume sterben, ist also problematisch, sondern, daß es zu einer verbreiteten Vitalitätseinbuße und zu verminderter Regenerationsfähigkeit kommt, ist bedrohlich.

Und dieses Phänomen wird man sicher nicht durch einfache, monokausale Theorien erklären können, unter dem Motto „Haltet den Dieb!“ Dennoch ist Luftverschmutzung als ein Hauptfaktor anzusehen.

In einem kürzlich erschienenen Uberblick über die Forschungsinitiative liest man folgendes:

„Man muß im Waldsterben eine Komplexkrankheit sehen, die in | verschiedenen Varianten vor sich geht.“ Unterschiedliche belastende Konstellationen können ähnliche Schädigungen produzieren. Die Dynamik des Geschehen! schwankt örtlich und zeitlich, isf von vielfältigen Gegebenheiten abhängig. Sicher ist aber, daß die Gefährdung wächst.

Wie spielt sich nun aber dieses Geschehen ab ? Kann man trotz al-lern etwas über seinen Verlauf sagen?

Luftverschmutzung

Da ist zunächst die Luftverschmutzung. Primärschadstoffe gelangen, über Luftströmungen transportiert, direkt an die Pflan-zen. Oder aber sie verändern sich während des Transports (vor allem durch Sonneneinstrahlung) chemisch und wirken so als Sekundärschadstoffe (ein Beispiel dafür ist das schädliche Ozon, da sich durch die Kohlenwasserstoffe bildet).

Manche Schadstoffe schädigen die Pflanzen direkt, indem sie chemisch an ihrer Oberfläche oder in ihrem Inneren reagieren, Manche gelangen in den Boden, wo sie angereichert werden und Veränderungen hervorrufen, die Folgen auf die dort beheimateten Lebewesen und auf die Baumwurzeln haben. Dieses vielfältige Geschehen stört die Wasser- und Nährstoffversorgung des Baumes, beeinträchtigt die Photosynthese.

Erst dann sieht man die Folgen, die nach außen in Erscheinung treten: der Zuwachs verringert sich, die Blätter und Nadeln fallen vorzeitig ab, die Anfälligkeit für Störungen verschiedenster Art nimmt zu. Eingehendere Untersuchungen zeigen, daß die Schadstoffe von nah und fern kommen und daß die Belastung durch Luftverschmutzung vor allem im Winter ganz erheblich (auch durch Inversionswetterlagen, durch Nebelbildung und Rauhreif) gesteigert wird.

Saure Böden

Große Beachtung schenkt man heute der Versauerung der Böden. Auch diesbezüglich mangelt es hierzulande an länger zurückreichender Beobachtung. Untersuchungen von Bernhard Ulrich in Deutschland (FURCHE 34/1982), die seit fast 20 Jahren laufen, lassen allerdings erkennen, daß das Geschehen im Boden Anlaß zu größter Sorge ist. Es kommt nämlich nicht nur zur Speicherung von Säuren, sondern auch zum Auswaschen wichtiger Nährstoffe (wie Kalzium, Magnesium oder Kalium).

Im Zuge dieses Geschehens findet auch eine abgeleitete Säurebildung statt. Sie hat dieselbe Größenordnung wie der Säureimport. Ein regelrechtes Hochschaukeln der Versauerung tritt ein. Es droht ein totaler Verlust notwendiger Nährstoffe wie Kalzium und Magnesium.

Besorgnis äußert auch die Forschungsinitiative: „... die pH-Werte (Säurewerte) haben sich vorwiegend in den Bereich zwischen drei und vier verschoben, wo die Nährelementenversor-gung der Bäume kritisch wird und bereits wurzeltoxische Effekte auftreten können.“ All das beeinträchtigt die Vitalität der Bäume und führt dazu, daß sie immer weniger imstande sind, zusätzliche Belastungen zu ertragen.

So verändert sich insbesondere die Fähigkeit der Bäume, angemessen mit ihren natürlichen „Feinden“ zurechtzukommen. Die Anfälligkeit für Pflanzenfresser und -parasiten steigt. Manche von diesen leiden allerdings ebenfalls unter den veränderten Bedingungen und verlieren dadurch an Gefährlichkeit, etwa die Nonne, ein gefürchteter Schädling. Andere jedoch werden begünstigt: „Es kommt zu Dominanzverschiebungen innerhalb der Schädlingsspektren der Baumarten, wodurch der präventive und kurative Forstschutz vor neue Probleme gestellt wird“, liest man im Bericht.

Auch Witterungseinflüsse stellen für. die durch Umweltbelastung geschwächten Bäume eine größere Gefahr dar: Geschädigte Wurzelsysteme sind nicht imstande, die Standfestigkeit der Bäume ausreichend sicherzustellen. Es wächst die Windwurfgefahr.

Blattschäden verringern die Fähigkeit der Bäume, ihre Verdunstung zu regulieren, und verdichtete, versauerte Böden verhindern das tiefere Eindringen der Wurzeln. Beide Effekte machen Trockenperioden zu immer größeren Gefahren.

Deutlich gemindert ist auch die Fähigkeit der belasteten Wälder, extreme Kälte oder große Temperaturschwankungen zu ertragen. Die mittlerweile weltberühmt gewordenen Waldkatastrophen im schwer mit Schwefel belasteten Erzgebirge nahmen ab der

Neujahrsnacht 1978/79 einen rasanten Verlauf. Das großflächige Absterben des Waldes wurde letztlich durch den außergewöhnlichen Temperatursturz von fast 30 Grad innerhalb weniger Stunden ausgelöst.

Baum- und Walderkrankungen sind also fast nie das Ergebnis nur einer einzigen Schadensursache. Viele Belastungsfaktoren wirken zusammen und verstärken einander oft noch. Die Aufzählung der verursachenden Faktoren wäre jedoch nicht vollständig, wenn nicht auch die forstwirtschaftlichen Eingriffe zur Sprache kämen. Auch auf diesem Sektor wurde in der Vergangenheit gesündigt:

Die Forstwirtschaft

Da ist an erster Stelle die Anlage von Monokulturen zu erwähnen: Fichten, wohin das Auge blickt — auch an Standorten, für die sie gar nicht angepaßt sind.

Ein Teil der Versauerung ergibt sich aus dem übertriebenen Biomasse-Entzug durch Vollbaumnutzung. Werden nämlich — besonders bei maschineller Ernte — nicht nur die Stämme, sondern die Bäume mit allem Drum und Dran entnommen, gehen dem

Wald viele Nährstoffe verloren.

Maschinelle Ernte führt auch zu zahlreichen Stamm- und Wurzelverletzungen bei den Bäumen, die im Wald verbleiben. Das erhöht deren Krankheitsanfälligkeit. Schwerwiegend sind auch die Folgen der Eingriffe in den Wasserhaushalt und die Vermehrung der Waldränder durch Straßen-und Wegebau, soll doch die Belastung der Waldränder überdurchschnittlich hoch sein.

Großer Schaden erwächst den Wäldern auch durch das Weiden von Vieh und durch den allzu hohen Wildstand. Letzterer hat in manchen Gebieten ein solches Maß erreicht, daß praktisch keine natürliche Verjüngung des Baumbestandes mehr möglich ist: Alles, was nachwächst, wird vom Wild weggefressen.

Aus all dem wird die Vielfalt des Geschehens erkennbar, das unter der Bezeichnung Waldsterben allzu einfach etikettiert wird. Wie das Geschehen im einzelnen abläuft und wie die einzelnen Faktoren genau zusammenwirken, wird heute nicht durchschaut. Und es ist fraglich, ob dieser komplexe Vorgang jemals durchschaut werden kann. Für die Rettung des Waldes reicht aber schon das heutige Wissen.

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