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Die Wahlen brachten Klarheit und schufen Probleme

Die Wahlen vom 15. Juni haben bestätigt, was in diesem Blatt schon des öfteren dargelegt wurde: Das spanische Volk wünscht eine Entwicklung zur Demokratie, aber eine Entwicklung in Frieden, ohne Extremismen und ohne Traumata.

Und eben unter diesem Gesichtspunkt brachten die Cortes-Wahlen nichts Neues. Das Elektorat hat sich für die rechte Mitte des Ministerpräsidenten Suärez und für die gemäßigte Linke des Felipe Gonzalez entschieden. Weder die Extremisten der Rechten noch jene der Linken fanden Gehör.

Mäßigung bewies das spanische Volk während des sehr intensiv und sehr enthusiastisch geführten Wahlkampfes, der, entgegen einigen Sensationsmeldungen, in Wahrheit dem Be obachter ein Bild der politischen Reife, der Korrektheit und des gegenseitigen Respekts darbot. Die großen Parteien, „.von der konservativen. Alianza Popular bis zu den Kommunisten, waren in der Endphase des Wahlkampfes übereingekommen, das Votum des Volks auf jeden Fall und widerspruchslos zu respektieren. Selbstverständlich fehlte es während des Wahlkampfes nicht an Provokationen von seiten kleiner terroristischer Gruppen, aber die Spanier bestanden auch diese Probe aufs Exempel und ließen sich weder einschüchtern noch zu vorschnellen Reaktionen hinreißen. Strahlendes Wetter trug am Wahltag auch äußerlich zur festlichen Stimmung bei und dürfte nicht unwesentlich die hohe Wahlbeteiligung von rund 80 Prozent beeinflußt haben.

Mochten die Wahlen auch bestätigen, was längst bekannt war, daß sich nämlich eine überwältigende Mehrheit des spanischen Volkes zur demokratischen Entwicklung bekennt, so brachten sie zugleich auch die Antwort auf einige Fragen, die bislang offengeblieben waren. So ordnete sich vor allem die anfangs recht konfuse Palette der politischen Meinungen und wurde übersichtlicher. Nach dem Tode Francos waren etwa 500 weltanschauliche Zirkel entstanden, von denen etwa 200 sich vor den Wahlen als Parteien konstituierten und als solche legalisieren ließen. Bei etwa zwanzig dieser Parteien konnte man immerhin noch von einer gesamtspanischen Kandidatur sprechen und wieder nur zehn von diesen zwanzig hatten Aussicht, stimmenmäßig überhaupt in Erscheinung zu treten. Auch diese Zahl wurde von den Wahlresultaten drastisch reduziert und zwei politische Gruppierungen erhielten schließlich das Übergewicht: Die Union des Ministerpräsidenten Suärez mit ihrer nahezu absoluten Mehrheit im Kongreß und ihrer absoluten Mehrheit im Senat; der Union auf dem Fuße folgend: die Sozialdemokraten des Felipe Gonzalez. Sieht man von den Parteien ab, die lediglich auf regionaler Ebene wirksam sind und die weltanschaulich zumeist der einen oder anderen Großpartei zuneigen, so waren daneben nur die konservative Alianza Popular, die Volkssozialisten und die Kommunisten imstande, als beachtliche Minderheiten ins Parlament zu kommen. Auf der Strecke blieben, wie schon erwähnt, sowohl die Rechts- als auch die Linksextremen, einige sozialdemokratische Splittergruppen und die (linken) Christdemokraten, die sich nicht dazu hatten entschließen können, der (liberalen) Union des Ministerpräsidenten Suärez beizutreten.

Auch was die „allgemeine“ Tendenz anlangt, brachten die Wahlen vom 15. Juni Klarheit. Spanien wünscht nicht nur die Demokratie als solche, sondern offenbar eine Demokratie mit gemäßigtem Linkskurs, insoferne nämlich die Sozialdemokraten des Felipe Gonzalez „linker“ sind als etwa die österreichischen Sozialisten und insoferne sich unter den Wählern der Union nicht wenige Sozialdemokraten vom nordeuropäischen Typ befinden. Doch bedarf es in dieser Hinsicht noch genauerer Analysen.

Zu beachten ist jedenfalls, daß sich die Union bis jetzt noch nicht eindeutig auf eine bestimmte Weltanschauung festlegen ließ, handelt es sich bei ihr doch um das Wahlbündnis von 15 einzelnen Parteien lieberaler, christlicher und sozialdemokratischer Prägung. Es ist also durchaus möglich, daß die rechts der Mitte stehenden Kräfte der Union mit der immerhin recht erfolgreichen Alianza Popular zu einer konservativen oder liberal-konservativen Gruppe verschmelzen und daß der Rest sich teüs als christdemokratischer, teils als sozialdemokratischer Block konstituiert (was den völlig abgeschlagenen Christdemokraten des Ruiz Jimėnez und des Gil Robles die Chance bieten würde, doch noch ins politische Leben zurückzukehren). Es ist aber auch möglich, daß der erwähnte Rest eine Sozialdemokratie „sui generis“ bildet, radikaler als ihre nordeuropäischen Gesinnungsfreunde, aber ohne Verwurzelung im Marxismus. Die ungünstigste Lösung wäre es jedenfalls, wenn die Union sich nach lateinamerikanischem Muster zur staatstragenden Partei mit institutionalisiertem Alleinherrschaftsanspruch auswüchse.

Im Gegensatz zur Union besitzt die Sozialdemokratie des Felipe Gonzalez alle Vorteile einer einheitlich strukturierten, historisch gewachsenen Partei. Welches die tatsächlichen Wünsche der fünf Millionen sind, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben, ist schwer zu sagen. Die revolutionäre Komponente im Programm der Sozialdemokraten mag für manche Wähler mit unausgereiften marxistisch-leninistischen Vorstellungen ausschlaggebend gewesen sein. Anziehender für die große Mehrheit war jedoch ohne Zweifel das neue Image der Partei mit seiner „arbeiterfreundlichen“ Note. Auch bei den nach außen hin so geschlossen auftretenden Sozialdemokraten zeichnen sich also zwei Flügel ab, deren einer eher dem Zentrum zustrebt, der andere jedoch zweifellos dem Kommunismus nahesteht.

All dies sind Probleme einer nicht gerade allzunahen, aber auch nicht allzufernen Zukunft. Zur Stunde scheint sich eine Art von bedingter Zusammenarbeit zwischen den beiden Großparteien abzuzeichnen, geht es doch vor allem um die gemeinsame Ausarbeitung einer reformierten demokratischen Verfassung, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden kann. Dies ist nicht nur für die gegenwärtige Phase wünschenswert, es könnte auch verhindern, daß die beiden ätis den Wahlen1 hervorgegangenen großen Kräfte des Landes sich neuerlich als unversöhnliche Gegner zur Rechten und zur Linken polarisieren - eine Gefahr, die in Spanien zu allen Zeiten bestand, die man aber, nach den erfreulichen Erfahrungen der jüngsten Zeit, nur all-’ zugeme als überwunden ansehen möchte.

(Übersetzung und Bearbeitung: Erich Thanner)

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