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„Die Wege der Erde . . .

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Praiai josemaria Hiscnva ae isaia-guer, Gründer des Opus Dei, ist am 26. Juni in Rom plötzlich gestorben. Mit ihm verliert die katholische Kirche eine gewaltige Persönlichkeit, schon rein menschlich betrachtet, aber vor allem als geistige Kraft, die viele Mitmenschen auf dem Weg zur Nachfolge Christi ermutitgt und mitgerissen hat. Große Gründer — wie Benedikt, Franz von Assisi, Theresia von Avila — bewegen und beleben die ganze Kirche, auch in unserer Zeit, welche dem verstorbenen Prälaten Escrivä de Balaguer die Entstehung des Opus Dei verdankt, der bekannten Laienvereinigung, die die Welt von innen her zu heiligen versucht, ohne andere Mittel als die Innerlichkeit und die tägliche Erfüllung der Berufs-, Familien- und Gesellschaftspflichten.

Das Opus Dei wurde 1928 in Madrid gegründet, als der damals 26jährige Landpfarrer in der Hauptstadt Spaniens von einer in voller Armut geführten Seelsorge in den Arbeitervierteln und in den Spitälern ganz in Anspruch genommen war. Gott wollte von ihm etwas anderes, das wurde ihm am Abend des 2. Oktober, am Schutzengelfest, klar und löste seine Abneigung gegen Neugründungen auf. So entstand das Werk, das sich schnell auf alle fünf Kontinente verbreitete, so daß es heute rund 60.000 Mitglieder aus allen Rassen, Kulturen und Berufen zählt. In dieser Zeit der Erschütterung vieler katholischer Institutionen, des Versiegens uralter Quellen der Religiosität, der Krise der Priesterberufe, hat die Kirche diese wundersame Blüte christlichen Engagements mitten in der Welt erleben dürfen. Jährlich führt das Opus Dei auch zahlreiche reife Männer, die bereits im beruflichen Zivilleben tätig waren, zur Priesterweihe: Heuer, am 13. Juli, werden 54 neue Priester aus den verschiedensten Weltgegenden geweiht, unter ihnen ein Österreicher, der Wiener Dipl.-Ing. Werner Litzka.

Der Anziehungskraft, der menschlichen Wärme, der Offenherzigkeit, der Sprachengabe, der ansteckenden Fröhlichkeit von Prälat Escrivä konnte niemand widerstehen, aber jeder hat die spirituelle Energie erraten können, die seine ausstrahlende Humanität beseelte: die verzehrende Liebe der wahren Heiligen zu Christus. Wie diese mußte auch er gewiß viel leiden, nicht so sehr von seiten der Kirchenfeinde, als von verirrten Eiferern, steifen Gesetzeslehrern, dreimalklugen Polit-Katholiken, betriebsblinden Bürokraten oder eifersüchtigen Klerikern, die für die Werke des Heiligen Geistes kein Gespür und die Heiligen Gottes seit eh und je immer gekreuzigt haben. Aber er hatte die Härte derjenigen, die wissen, was Gott von ihnen verlangt, und auch die Demut des einfachen Werkzeuges: er konnte lange schweigen, geduldig warten, auf jede persönliche Anerkennung verzichten. Er arbeitete unermüdlich, seit 30 Jahren mit kurzen Unterbrechungen in der römischen Zentrale des Opus Dei fast begraben lebend, für die Söhne und Töchter, die nach seinem Geist

— überall verstreut — Frieden und Freude zu säen sich bemühten, ständig mehr wurden und ihn, den Vater, zärtlich liebten. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt...“ (Joh 12, 24)

Die Neuheit des Opus Dei ist — wie sein Gründer sagte — „alt wie das Evangelium“ und dessen Verwirklichung in der Urkirche. Die Nachfolge Christi wurde in der apostolischen Zeit von zahllosen Gläubigen mitten in der Gesellschaft

— im Zölibat und in der Ehe — in voller Natürlichkeit und in jeder sozialen Stellung gelebt, ohne irgendeine Entfernung von den weltlichen, damals ganz heidnischen Strukturen. Später wurde die Radikalität der Nachfolge Christi vom Mönch-tum — sowohl im Orient wie im Abendland — de facto monopolisiert, nämlich von mehr oder minder organisierten Gemeinschaften, die sich von der allgemeinen Lebensart der einfachen Gläubigen trennten, die Beschaulichkeit innerhalb der Klostermauern suchten und durch eine offizielle kirchliche Weihe den sogenannten Ordensstand entstehen ließen. Die Bewegung der Bettelorden — Franziskaner und Dominikaner — öffnete diese streng geschlossene Lebensart teilweise, indem sie die Verkündigung und die Lehrtätigkeit einführte. Moderne Kongregationen befreiten sich von der Klausur — nach dem Modell der Theatiner —, um sich der Seelsorge und den karitativen Werken zu widmen. Die sogenannte „christliche Vollkommenheit“ fiel und stand bis zu -unserem Jahrhundert mit der Lebensart der Orden und Kongregationen, die große Heilige hervorbrachten und der Kirche große Dienste erwiesen. Die Laien und Weltpriester haben auch Einzelgestalten heroischer Tugend geliefert, des öfteren aber galten sie als aufsehenerregende Ausnahmen, denn das Modell des „vollkommenen Lebens“ fiel immer noch mit dem Ordensstand zusammen, der sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr der Welt gegenüber aufzuschließen versuchte.

Das Opus Dei entstand nicht auf dieser Linie der Öffnung zur Welt, der Modernisierung, Anpassung und des „Aggiornamento“ des Ordensstandes, sondern es schlug einen neuen Weg — den der Urkirche — ein, indem es „von der anderen Seite“, von der Situation des Laienchristen ausging, also von den einfachen Gläubigen und echten Bürgern der irdischen Stadt (die sich nicht öffnen, annähern, anpassen müssen, weil sie schon von vornherein drinnen sind und mit der Welt selbst fortschreiten), die ihr ganzes Leben Gott und dessen Kirche hingeben wollten, und keine andere Weihe wünschten als die der Taufe und der Firmung, weil sie keine Berufung und keine Neigung zum Ordensstand hatten. Im Zölibat oder — überwiegend — in der Ehe, suchten und suchen die Mitglieder des Opus Dei, die Prälat Escrivä de Balaguer formte und bis heute leitete, die Fülle des christlichen Lebens, durch Beschaulichkeit „auf der Straße“, durch Heiligung der täglichen Berufsarbeit und durch ein die ganze Existenz umfassendes Apostolat, das die natürliche Freundschaft auf die Höhe der Caritas erhebt. „Die göttlichen Wege der Erde haben sich aufgetan“, und die Heiligung der säkularen Tätigkeiten in persönlicher Freiheit und Verantwortung, ohne klerikalisierende Tendenzen, ohne besondere „missio canonica“, ohne innerkirchliche Ansprüche, wurde zum Lebenssinn und -ziel von tausenden Männern und Frauen in den verschiedensten kulturellen, gesellschaftlichen und nationalen Gefügen. Die Natürlichkeit, in der sie leben, mußte Leute, die traditionellen Modellen anhängen, überraschen: „Wie sonderbar, daß sie nicht sonderlich sind!“ sagten sie, wie es der Gründer einmal ausdrückte, und er fügte hinzu... „wie von Jesus selbst gesagt wurde: Woher hat er solche Weisheit und solche Wunderkräfte? Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns?“ (Matth 13, 54—55).

„Sie kommen vielleicht hundert Jahre zu früh“, sagte eine Persönlichkeit der römischen Kurie, als der damalige Priester Escrivä de Balaguer das Werk Gottes darstellte und um die Approbation des Heiligen Stuhles bat (diese wurde 1947 und 1950 von Pius XII. erteilt). Tatsächlich wird Prälat Escrivä in die Kirchengeschichte als Pionier der Laienspiritualität eingehen, der — wie alle anderen umwälzenden Gründer, und trotz seiner intellektuellen Kapazität — Leben stiftet, Menschen bewegt, Tatsachen vollendet, Neuheiten einführt, die erst später von der Mehrheit verdaut werden können. Noch heutzutage, und trotz aller Klarheit der Konzilsdokumente — die die Lehre und die Praxis von Prälat Escrivä über die Sendung der Laien bestätigt haben

— versteht man nicht selten die Aufgabe und die Mitverantwortung dieser lebendigen Glieder des Gottesvolkes bloß als Mitarbeit mit dem Klerus in den ständig wuchernden kirchlichen Gremien, obwohl diese in Wirklichkeit einen kleinen und nicht spezifischen Teil des Laienauftrags bilden, der eigentlich draußen,

— in der Welt der Arbeit, der familiären, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, gewerkschaftlichen, wissenschaftlichen Bereiche — erfüllt werden soll, und zwar in Freiheit — ohne Repräsentations-zwänge oder -Ansprüche — und mit rein persönlicher Verantwortung, welche allein das Laien tum zur authentischen Mündigkeit bringen wird.

Es gibt in vielen Ländern Laien des Opus Dei, die in „offiziell kirchlichen“ Institutionen gearbeitet haben — wenn es der Ortsbischof gewünscht hat —, aber sie bilden innerhalb des Werkes eine schwindende Minderheit; denn was die Mitglieder des Werkes aus ganzem Herzen tun, ist das, was alle anderen Mitbürger tun: die tägliche Mühe in Beruf, Familie und Gesellschaft, die sie christlich zu beseelen und zu gestalten, zu heiligen versuchen. Das Werk gibt ihnen die geeignete, zweckmäßige, religiöse Bildung, die geistliche Führung, die Wärme der Familie, die Ermutigung zur persönlichen Initiative. Dieses radikale Christsein in der Welt hat für die Mitglieder des Opus Dei einen kleinen gemeinsamen Nenner (den konsequenten, unverkürzten christlichen Glauben in Treue zum Lehramt der Kirche, die verbindliche christliche Moral und die geistlichen Übungen zur Entfaltung des Innenlebens) aber die Vielfalt des individuellen Zählers menschlicher Haltungs- und Verhaltensweisen, die nicht uniformiert werden dürfen, die das Apostolat des Zeugnisses und des Wortes zu einem „uferlosen Meer“ unendlicher Variationen werden lassen. Es versteht sich, daß ein solch personales Apostolat sich in allen möglichen und bisher nicht selten verlassenen Lebensbereichen entfaltet und in keiner Statistik registrieren läßt. Es macht keinen Lärm, es liebt keinen Klamauk, es will niemandem imponieren, sondern Christus, „auf. der Straße begegnen“ und Ihn den Freunden, Verwandten, Kollegen oder Kunden zu erkennen geben und von ihnen lieben lassen.

Menschen solcher Gesinnung und Geistesfreiheit lebten den Pluralismus und den Ökumenismus längst bevor man darüber so viel zu reden begann. (Das Opus Dei ist die erste katholische Vereinigung gewesen, die Nichtkatholiken als Mitarbeiter aufnimmt.) Gemeinsame menschliche Interessen, gemeinsame Bestrebungen zur Besserung der Bildung der Jugend, der Kultur-und der Arbeitswelt führen Mitglieder des Opus Dei seit den ersten Zeiten der Gründung zur Zusammenarbeit mit Nichtmitgliedern und Nichtkatholiken und sogar Nicht-christen, und so entstanden in aller Welt zahllose soziale Einrichtungen und Bildungswerke, allerlei Unternehmungen im Dienste des Fortschritts zur Erreichung einer humaneren Gesellschaft — Institutionen, die an sich weder kirchlich noch konfessionell gebunden sind, auch wenn sie die Ausstrahlungskraft des Geistes Jesu überall zeigen, von Nigerien bis England, von Australien bis Kanada, von den Philippinen bis Japan, von allen südamerikanischen bis zu allen europäischen Ländern.

Der weltweiten Leitungsarbeit Prälat Escriväs muß man das schriftliche Werk hinzufügen, von dem nur ein geringer Teil veröffentlicht wurde: „Der Weg“, der Bestseller in mehr als zwei Millionen Exemplaren, in 30 Sprachen übersetzt, „Die Äbtissin von Las Huelgas“, ein wissenschaftliches Werk von erheblichem kirchenrechtlichen Belang, „Der Rosenkranz“, „Christus begegnen“, eine Reihe von Homilien, die vor kurzem erschienen ist, sowie ein Band mit Interviews mit Journalisten aus Europa und Amerika. Seine geistliche Lehre wird aber noch mehr und tiefer bekannt werden, wenn die zahlreichen Briefe an die Mitglieder des Werkes der Öffentlichkeit zugänglich werden. Besser noch als aus den bis jetzt bekannten Quellen werden jene die Größe und Milde dieser Gründergestalt erkennen, welche hinter ihrer liebenswürdigen Selbstverständlichkeit den ständig gesammelten Beter, den brennenden Kontemplativen zu entdecken wußten.

Diese Beschaulichkeit, die das Alltägliche durchtränkt und aus innerlichem Gebet, beruflicher Arbeit und apostolischer Bemühung in Familie und Gesellschaft eine höchst dynamische Lebenseinheit in Christus und mit Christus formt, stellt das Geheimnis des Lebens von Prälat Escrivä de Balaguer und seiner Gründung der. „Wir sind Menschen“, sagte er vor wenigen Jahren in Rom zu den versammelten Leitern des Opus Dei aus allen Ländern (ich zitiere nicht wortwörtlich), „die wie die Braut des Hohen Liedes eines Tages aufstanden und sagten: ,Ich will die Stadt durchstreifen, auf Märkten und auf Straßen will ich Ihn, den meine Seele liebt, suchen.' Dies ist der Motor unserer Berufung ... Für die Wirksamkeit und die Fruchtbarkeit unseres gottgeschenkten Lebens habe ich kein anderes Rezept als die persönliche Heiligkeit, die letztlich darin besteht, daß man nach Beschaulichkeit strebt: Christus immer im Herzen und vor Augen haben, seine Menschheit immer wieder betrachten. Ihm im Nächsten pausenlos dienen, seine Lehre allein verkünden, an seiner Freude unaufhörlich teilhaben... so daß ein jeder von uns nicht das „muero porque no muero“ (berühmter Ausspruch der heiligen Theresia von Avila, die. übrigens vom Gründer des Opus Dei sehr verehrt und geliebt wurde: „ich sterbe, weil ich nicht sterbe“), sondern „vivo porque no vivo“ sagen darf: „Ich lebe, weil nicht ich lebe, sondern Christus in mir lebt (Gal 2, 20)“.

Wer solch glühenden Geist hinter den feinsten und schlichtesten Manieren dieses Mannes zu erblicken vermochte, dem wurde eines der menschlichsten und liebenswertesten Gesichter 'der Heiligkeit enthüllt. Er und unsere Zeit müssen Gott dafür von Herzen danken.

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