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Die weiße Geschichte der finsteren Sklaverei

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Daß sich die katholische Kirche mit der Kultur der Schwarzen, auch mit der in der Sklaverei entwickelten, schwer tut, steht für Laennec Hurbon, jüngst Referent auf der Missionsstudientagung in Puchberg bei Wels, fest.

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Daß sich die katholische Kirche mit der Kultur der Schwarzen, auch mit der in der Sklaverei entwickelten, schwer tut, steht für Laennec Hurbon, jüngst Referent auf der Missionsstudientagung in Puchberg bei Wels, fest.

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DIE FURCHE: Sie haben hier die europäische Sicht des Themas Sklaverei und Sklavenhandel skizziert und kritisiert. Wie stellt sich das Thema aus der Sicht eines Bürgers eines Karibikstaates, eines Schwarzen, dar?

LAENNEC HURBON: Für die Schwarzen in der Karibik und in ganz Amerika war die Sklaverei etwas wirklich Radikales, etwas, das wir einen Zyklon nennen könnten. Die Sklaverei in Amerika unterscheidet sich von der Sklaverei der Antike signifikant. Diese Spezifität ist die Tatsache der Deportation. Die Schwarzen wurden von ihrem Kontinent, von ihrer Kultur, von ihren Familien getrennt. Das bedeutet viel für die Schwarzen heute. Bedenken Sie, die Sklaverei als solche, als Organisation und Institution, hat vier Jahrhunderte gedauert. Schwarze wurden unter dem Gesichtspunkt ihrer Rentabilität genutzt. Es bedeutete ein Konzentrationslager für die Schwarzen, in dieser aufgezwungenen Organisation zu leben.

DIE FURCHE: Sehen die Schwarzen Amerikas die Sklaverei heute als eine Periode der Geschichte an, oder handelt es sich für sie noch immer um ein Faktum der Gegenwart?

HURBON: Die Sklaverei hat die geringere Position für die Schwarzen und für die indianische Bevölkerung in Amerika begründet. Die Geschichte der Sklaverei hat großen Einfluß auf die Beziehung der Schwarzen zur Kultur, zu den Institutionen, zur Kirche ausgeübt. Die Sklaverei hat auch den Rassismus in Amerika bewirkt.

Aus dem, was wir etwa in Los Angeles jetzt erleben, läßt sich sagen: In Amerika wurde das Problem des Rassismus gegen Schwarze lange Zeit versteckt während dieses Jahrhunderts. Seit etwa 25 Jahren gibt es eine Änderung des Bewußtseins. Man weiß heute ein bißchen mehr über die Geschichte der Schwarzen und der Sklaverei, auch über die Ideologie des Rassismus. Man weiß mehr, weil die Schwarzen selbst Historiker haben, die anfingen, die Sachverhalte zu erforschen.

DIE FURCHE: Sie sprachen von der Trennung der Schwarzen von ihrer Kultur durch die Sklaverei. Gibt es noch so etwas wie eine Sehnsucht nach der alten Kultur?

HURBON: Die alte Kultur hat sich unter den neuen Bedingungen erschöpft. Die schwarze Kultur Amerikas ist eine neue Kultur. Sie ist eine Mischkultur, die für die ganze Menschheit ein positives Angebot darstellt. Es ist schade, daß diese Kultur nicht anerkannt wurde. Besonders die Kirche hat diese Kultur als minderwertig gesehen. Man ging von einer Hierarchie der Kulturen aus. Die Kirche war nicht in der Lage, die Kultur der Schwarzen als etwas Neues anzuerkennen. Man merkt einen merkwürdigen Gegensatz: Das Schönste in der Kultur Amerikas kommt von den Schwarzen. Denken Sie nur an die Musik, an Jazz, an Blues. Das sind neue schwarze Schöpfungen, in denen die einstigen Sklaven eine neue Würde zum Ausdruck bringen. Das gilt für jeden Sektor der Kultur und der Kunst.

DIE FURCHE: Sie haben bei dieser Tagung von einer Banalisierung des Themas der Sklaverei durch die Kirche gesprochen. Sie selbst sind Theologe. Was bedeutet Ihnen persönlich Kirche?

HURBON: Ich weiß, daß das Schwierigste für die Kirche ist, Verschiedenheiten anzuerkennen und anzunehmen. In meinen Forschungen bin ich diesem Problem nachgegangen. Es ist das Problem der Begegnung verschiedener Völker und Kulturen. Für mich lebt die katholische Kirche mit diesen besonderen Schwierigkeiten, den anderen als anderen zu respektieren und -es ist gerade dies das Wichtigste im Evangelium - den anderen anzunehmen. Man sieht, daß die Kirche nicht immer mit diesem Kernpunkt des Evangeliums verbunden war. Bis in dieses Jahrhundert hat die Kirche etwa in Haiti die Kultur verfolgt, die sich in der Sklaverei als Kultur der Schwarzen herausgebildet hat. Mn sieht aber heute, daß viele Priester und Ordensleute diese andere Kultur erkennen und verstehen. Aber das ist noch nicht die Position der offiziellen Kirche. Es gibt noch die Intoleranz unter dem Einfluß des Rassismus. Für mich gibt es gerade aus dem Kern des Evangeliums her die Möglichkeit, für das neue Bewußtsein zu arbeiten, für die Menschenwürde, für das Recht, für die Gerechtigkeit.

DIE FURCHE: Kann heute noch etwas von dem gutgemacht werden, was durch die Sklaverei zerstört worden ist?

HURBON: Die Zeit, in der wir jetzt leben, ist eine Zeit des Erinnerns, des Gedächtnisses. Wir haben eine neue Möglichkeit vor uns, in Europa vor allem. Die Sklaverei ist ein Teil der Erinnerung, der Geschichte Europas. Bis jetzt dachte man, daß Sklaverei die Geschichte der Schwarzen in Afrika und in Amerika betrifft. Aber die Sklaverei war wichtig für die ökonomische Entwicklung Europas. Wenn man das nach und nach in Europa versteht, wird es eine Veränderung geben. Das ist schon viel. Nach und nach könnte Europa verstehen, daß es in der Geschichte der Schwarzen viel zu lernen gibt für Europa.

Laennec Hurbon, geboren in Haiti, ist Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris.

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