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Die ,Weißwaschung' des Oberst Gaddafi

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Sein im Westen schwer angeschlagenes Image aufzupolieren - vor allem darum war der libysche Revolutionsführer Gaddafi nach Österreich gekommen. Kreisky und Genossen halfen bei der ,,Weißwaschung" kräftig mit.

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Sein im Westen schwer angeschlagenes Image aufzupolieren - vor allem darum war der libysche Revolutionsführer Gaddafi nach Österreich gekommen. Kreisky und Genossen halfen bei der ,,Weißwaschung" kräftig mit.

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Lassen wir die Ansicht von Bundeskanzler Bruno Kreisky gelten, die er noch vor der Ankunft des libyschen Revolutionsführers Oberst Muamar al Gaddafi zu einem viertägigen Staatsbesuch in Österreich vor der Presse kundtat: Ein neutraler Staat könne einen ausländischen, Politiker, der Kontakt mit ihm suche, nicht zurückweisen.

Es ging dabei offensichtlich um noch mehr: nämlich zu verhindern, daß das außenpolitisch in eine immer stärkere Isolierung geratene Libyen (im Westen wie im arabischen Staatenraum), des exzentrischen Obersten total in die sowjetische Umarmung gerät.

Libyen, so hieß es, wolle sich zum Westen hin öffnen, in Wien solle die Tür nach Westeuropa aufgestoßen werden.

So unwahrscheinlich ist dies nicht — im Gegenteil: Libyen steckt in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sitzt auf riesigen Seen sündteuren Erdöls, das es angesichts der derzeitigen Ölschwemme nur schwer an den Kunden bringt.

Die Einnahmen aus dem ölge-schäft gingen von 370 Milliarden Schilling (1980) auf 120 Milliarden zurück (1981), die Situation dürfte sich durch die vergangene Woche bekannt gewordenen Boykottmaßnahmen der amerikanischen Regierung (Einfuhrstopp für libysches öl, Verbot der Lieferung technologisch hochwertiger Güter wie ölfeld- und Bohrausrüstungen) noch zusätzlich verschärfen.

Ehrgeizige Entwicklungsvorhaben der Libyer scheinen ernsthaft gefährdet, weil die finanziellen Mittel zu ihrer Realisierung fehlen. Schon im Vorjahr rief Gaddafi seine Landsleute auf, den Gürtel enger zu schnallen. Ausländische Handelspartner wurden gebeten, Erdöl anstatt harte Devisen als Bezahlung zu akzeptieren. Nichts Neues also, womit die Österreicher da in der letzten Woche konfrontiert wurden.

Gefährdet ist aber nicht nur die Entwicklung, gefährdet ist auch die relative soziale und politische Stabilität des Landes und der beträchtliche Wohlstand der libyschen Bevölkerung insgesamt.

Und damit wächst für das Gaddafi-Regime die Gefahr einer sich ausbreitenden Opposition, die schon jetzt Teile der bäuerlichen Bevölkerung, der Bildungselite, der mittleren und höheren Beamtenschaft, ja sogar Armeeangehörige umfaßt (erinnert sei an den Putschversuch einer in Touk stationierten Luftwaffeneinheit im August 1980).

Opposition aber duldet Oberst Gaddafi nicht. Schon 1980 sperrte er 3000 Regime-Gegner kurzerhand hinter Schloß und Riegel. Der Opposition im Ausland, den rund 100.000 Exil-Libyern, versuchte er im selben Jahr mit blankem Terror Herr zu werden. In Rom, London, Bonn und Athen ermordeten sein „Volkskomitee zur Liquidierung der Feinde der Revolution" acht (andere Quellen sprechen von zwölf) Exil-Libyer.

Waren diese brutalen Aktionen schon Anzeichen einer gewissen Unsicherheit des Gaddafi-Regimes, kann man sich leicht ausmalen, mit wieviel Furcht er einer sich ausbreitenden Oppositionsbewegung im eigenen Land entgegensieht. Und die wird sicherlich anschwellen, wenn die Libyer ihren relativ hohen Wohlstand da-hinschmelzen sehen.

Gaddafi weiß vermutlich: In diesem Fall werden ihm auch seine rund 4000 osteuropäischen Sicherheitsberater nur noch schwer beistehen können.

Also braucht er das Geschäft, braucht er den Handel mit der Außenwelt, braucht er harte Devisen. Und weil die Amerikaner mit ihm nicht mehr wollen, versucht er es verstärkt mit den Westeuropäern, um aus seiner gefährlichen Situation herauszukommen.

Das Hindernis dabei: Gaddafi gilt im Westen als Terrorist, als unberechenbarer Partner, als Hansdampf in allen Gassen dieser Welt, wo es Unruhe zu schüren gilt — ein Bild, das er bei seinem Besuch in Wien korrigieren wollte. Bruno Kreisky und Genossen halfen dabei kräftig mit.

Daß Gaddafi ein Terrorist sei -so Kreisky —, das müsse man erst beweisen. Zwei kleine Erinnerungsstützen gefällig? # Im März 1973 brachte die irische Kriegsmarine vor der Küste der Inselrepublik das deutsche Motorschiff „S.S. Claudia" auf, das mit fünf Tonnen Ostblockwaffen beladen war, adressiert an die irische Untergrundorganisation IRA. Der Abschluß des Waffengeschäftes war in der libyschen Hauptstadt Tripolis getätigt worden, wie der Eigner des Schiffes, Gunther Leinhauser, zugab.

• Am 15. April 1973 segelte der Luxusdampfer „Queen Elisabeth II" mit vielen amerikanischen Juden an Bord nach Haifa, die dort den 25. Jahrestag der Gründung Israels mitfeiern wollten. Zwei Tage später rief Gaddafi den Kommandanten eines in Libyen stationierten ägyptischen U-Bootes zu sich und befahl ihm schriftlich, das riesige Passagierschiff im Mittelmeer anzugreifen und zu versenken.

Das U-Boot lief aus und sandte an den Heimathafen eine verschlüsselte Nachricht über den Befehl Gaddafis. Ägyptens Präsident Sadat beorderte das U-Boot augenblicklich zurück nach Alexandria. Den Fall berichteten der inzwischen ermordete Präsident Sadat selbst sowie der Journalist Mohammed Hassanein Heikai.

Aber freilich: Bei der IRA handelt es sich nach der Diktion des SPÖ-Organs „Arbeiter-Zeitung" ja nicht um eine Terrorgruppe, sondern um eine „nationale Befreiungsbewegung" (AZ, 10.3.82). Ebensowenig sind demnach die baskische ETA, die korsischen, bretonischen und (sizilianischen Seperatisten terroristische Untergrundorganisationen, sondern eben: Befreiungsbewegungen". Der Oberst wird sich über diese „Klarstellung" mächtig gefreut haben.

Daß Gaddafi beim Export seiner Revolution keine Mittel und Methoden scheut, hat nicht etwa den Bundeskanzler zu einer kritischen Distanz gegenüber seinem Staatsgast veranlaßt. Kreisky stellte die Politik des Libyers in einen historischen Kontext mit Cornwells englischer Revolution (um 1650) sowie der Französischen Revolution (1789).

Was dazu wohl die Sudanesen, Ägypter, Tunesier, Marokkaner, Nigerier, Senegalesen, Gambier, Omanis, Mauretanien, Somalis, die Bewohner Malis und des Tschad sagen, die es mit dem libyschen Revolutionsexport — sprich: von Tripolis aus (mit-)ge-steuerten Aufständen und Umsturzversuchen — unmittelbar zu tun gehabt haben oder noch haben?

Das ist es, was man Kreisky und der SPÖ im Zusammenhang mit diesem umstrittenen Staatsbesuch vor allem vorwerfen muß und was bei vielen Österreichern einen fahlen Nachgeschmack hinterließ: daß sie schwarz nicht als schwarz und weiß nicht als weiß bezeichneten, daß sie bei der „Weißwaschung" des Obersten kräftig mitschrubbten.

Solcherart salonfähig gemacht, benutzte der Gast aus Libyen das neutrale Österreich als Rednertribüne für wüste Beschimpfungen gegen US-Präsident Ronald Reagan und die Vereinigten Staaten (.JAeagan ist der Terrorist"; „Die Machtpolitik der USA kann man sogar mit der von Hitler vergleichen." — War dieser Vergleich wirklich so unhöflich gemeint, zieht man in Betracht, daß Gaddafi ehedem der Hauptunterstüt-zer für den ugandischen Hitler-Verehrer Idi Amin war?).

Voll auf der sowjetischen Propaganda-Welle mitschwimmend, wetterte er gegen die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa, durch die die Europäer in eine Katastrophe hineingezogen werden sollen und bestätigte, daß die Beziehungen Libyens zur Sowjetunion und zu Osteuropa „sehr, sehr gut" seien.

Womit sich die Frage stellt: Ist Gaddafi vielleicht schon so sehr eine Marionette Moskaus, daß es von vornherein zwecklos ist, ihn nicht in die Arme der Sowjets treiben zu lassen, weil er ja ohnehin schon dort ist?

Ob Kreisky mit dem Empfang des libyschen Revolutionsführers sich selbst und Österreich also einen guten Dienst erwiesen hat, ist höchst umstritten und wird sich wohl auch nur auf längere Sicht weisen.

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