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Die Welt verändert

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Sie war verständlicherweise kein Medienhit, die „Erklärung von Wiener Neustadt", damals Ende März 1977, also vor genau zehn Jahren. Drei Personen waren damals betroffen von dem gewesen, was sie in einem Seminar zum Thema „Zukunft-Armut-Christus" gehört hatten: Bischof Florian Kuntner, Christi Mayrhofer und Fritz Giglinger, alle pastoral im Vikariat unter dem Wienerwald tätig, wollten persönliche Konsequenzen ziehen (siehe Kasten).

Warum sich ein Rückblick auf diese Erklärung lohnt? Weil sie nicht einfach in den Wind gesprochen worden ist, sondern Konsequenzen gehabt hat; weil sie ein Beispiel dafür ist, daß die Entscheidung einzelner, das Engagement des „kleinen Mannes" auch heute noch die Welt verändern kann.

Eines der Grundanliegen war die Hilfe für unsere Schwestern und Brüder in der Dritten Welt. Ihr diente die Gründung einer

Selbstbesteuerungsgruppe. Ihre Mitglieder verpflichten sich zu selbst festgesetzten, regelmäßigen Beitragsleistungen an einen gemeinsamen Spendenfonds.

Aus der ursprünglichen sind dann viele kleine Gruppen und Gemeinschaften geworden. Derzeit haben sich etwa 270 Personen diesem Anliegen verschrieben. Weil es natürlich Fluktuationen in der Beteiligung gibt, haben in den letzten zehn Jahren sicher rund 1000 Personen an dieser Selbstbesteuerung mitgewirkt.

Was dabei an Mitteln aufgebracht wurde, läßt sich sehen. 20 Millionen Schilling gingen in diesem Jahrzehnt an Spenden und Selbstbesteuerungsmitteln im Vikariat Süd ein! Das ist kein Pappenstiel, wenn man daran denkt, daß dahinter keine mächtige Organisation steckt.

Das Geld fließt nicht in anonyme Kanäle, sondern wird vielmehr bei den regelmäßigen Treffen der Interessierten gezielt bestimmten Projekten zugeführt. Die 1,9 Millionen Schilling im Jahr 1985 wurden etwa in konkrete Projekte der Päpstlichen Missionswerke sowie in Vorhaben auf den Philippinen, in Indonesien und Brasilien eingebracht.

Ebenfalls 1985 wurde eine eigene Hilfsaktion für Äthiopien gestartet: Mit Transportmitteln des Roten Kreuzes wurde in Österreich gekaufter und gespendeter Weizen in die Hungergebiete gebracht, rasch und unbürokratisch. Auch Naturalsubventionen waren willkommen, eine Idee, die von der Raiffeisen-Organisation aufgegriffen und weitergetragen wurde.

Ansteckung und Impulse waren es vielfach, die kennzeichnend für’ die Folgen der Wiener Neustädter Erklärung waren. Wie viele Anregungen mögen allein von den Fastenkalendern ausgegangen sein, die in diesen Jahren in Auflagen bis zu 80.000 erschienen sind? In vielen Haushalten haben sie einen festen Platz bei der Gestaltung der Fastenzeit gewonnen. Sogar dei Rundfunk bringt die kurzen Gedankenanstöße als tägliche Impulse für seine Hörer.

Weitreichend und nicht zu erfassen sind auch die Anstöße, die von der Literatur der „Wüstenbewegung" ausgegangen sind. Ihre Gesamtauflage wird wohl Y50.000 Exemplare betragen. Diese Bewegung ist ebenfalls ein Kind der Neustädter Erklärung. Sie ist stark vom Geist des Heiligen Franz von Assisi geprägt und entstand aus den „Wüstentagen", zu denen Fritz Giglinger zur Einübung in ein einfacheres Leben ab 1977 einlud.

Diese Tage der Einkehr brachten für viele Menschen beachtliche Veränderungen in ihrem Leben mit sich. Eine Gemeinschaft von Tau-Brüdern und -Schwestern entstand, von Menschen, die sich dazu entschlossen, ihre Wohnungen zu Orten des Gebetes und der Gastfreundschaft zu machen.

Vom selben Geist sind auch einige Zentren getragen, die in der letzten Dekade entstanden sind: das Haus der Hoffnung in Möd-ling, das Haus der Lebensfreude in Deutschbrodersdorf, das Haus des Friedens in Katzelsdorf und die Franziskus-Gemeinschaft in Pinkafeld.

In diese ist Fritz Giglinger Anfang der achtziger Jahre mit seiner Familie übersiedelt, nachdem er sein Haus mit Garten verkauft hatte. Dort leben die Mitglieder in einer Güter- und Einkommensgemeinschaft (allerdings jede Familie in einem eigenen Haushalt). Jedes Mitglied verfügt monatlich über nur 200 Schilling Taschen-und über 250 Schilling Kleidergeld.

All das geschah abseits von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Es steht im krassen Widerspruch zu den vielen Unglücksmeldungen, die uns tagtäglich eine Welt voll Angst und Schrecken vor Augen führen. Es ist gut, hin und wieder zu erkennen, daß dies nur eine Seite der Medaille ist, daß Gott vielmehr auch in unserer Zeit Wunder wirkt — wenn man ihn nur läßt.

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