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DIE WELT VERSCHLIESST DIE AUGEN

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Im kleinen nordafrikanischen Staat Mauretanien werden, von der „Weltöffentlichkeit" kaum beachtet, Tausende Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt, vertrieben oder ermordet. Alte Rassenkonflikte zwischen Schwarzen und Arabern erreichen zur Zeit einen traurigen Höhepunkt. Die Menschenrechte scheitern hier - wie auch anderswo - an der Gleichgültigkeit oder an der Uninformiertheit der Welt.

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Im kleinen nordafrikanischen Staat Mauretanien werden, von der „Weltöffentlichkeit" kaum beachtet, Tausende Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt, vertrieben oder ermordet. Alte Rassenkonflikte zwischen Schwarzen und Arabern erreichen zur Zeit einen traurigen Höhepunkt. Die Menschenrechte scheitern hier - wie auch anderswo - an der Gleichgültigkeit oder an der Uninformiertheit der Welt.

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Laut amnesty international sind zwischen November 1990 und März 1991 über 339 politische Gefangene ermordet worden, vorwiegend Schwarze, die Armeeoffiziere oder Beamte waren. Einige wurden ohne Gerichtsurteil hingerichtet, viele wurden zu Tode gefoltert. Die meisten gehören zu jenen über 3.000 Schwarzen, die im November vorigen Jahres in der Hauptstadt Nouakchott und in der zweitgrößten Stadt Nouadhibou festgenommen worden waren, nachdem die Regierung behauptet hatte, Pläne eines Staatsumsturzes aufgedeckt zu haben.

Der seit 1986 anschwellende Rassenkonflikt treibt neuen Exzessen zu. Die Opfer gehören der schwarzen Bevölkerung an - zum Beispiel Soni-ke, Wolof und Halpulaar - , die ein Fünftel der Mauretanier stellt. Beherrscht wird Mauretanien von den Beidanen, Mauren, die von Arabern und Berbern abstammen. Sprachlich und kulturell mit den Beidanen verbunden sind die Harat inen. Trotz offizieller Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1980 sind diese ehemaligen schwarzen Sklaven nach wie vor von den Weißen abhängig. Sie stellen rund ein Fünftel der Bevölkerung.

Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen prägten schon seit der Unabhängigkeit Mauretaniens im Jahre 1960 das Land, als die arabischstämmige Mehrheit begann, im Staatsdienst die Weißen zu bevorzugen. Die französischen Kolonialherren hatten zuvor die Schwarzen bevorzugt - bei damals 20 Prozent Anteil der Bevölkerung stellten die Schwarze einen Großteil der Beamten. Der erste mauretanische Präsident Mokhtar Ould Daddah beschränkte ihren Anteil auf 30 Prozent und drückte die heute fast völlig durchgesetzte Arabi-sierung des Bildungswesen durch. • Das „Manifest des unterdrückten schwarzen Mauretanien" prangerte 1986 anhand von Statistiken von Postenbesetzungen im Regierungsdienst die Benachteiligung der Schwarzen an, rief alle Mauretanier auf, sich gegen das „beidanische, weiße System" zusammenzuschließen, das als rassistisch, repressiv und „ebenso verhängnisvoll wie die Apart-heid" bezeichnet wurde. Prompt wurden die Verfolgungen der Schwarzen wieder aufgenommen, nachdem es zwei Jahre seit dem unblutigen Militärputsch durch Oberst Maaouya Ould Sid'Ahmed Taya wenig Konflikte gegeben hatte.

Anfang September 1986 wurden mehr als dreißig Personen festgenommen, die für das Manifest verantwortlich gemacht wurden. In einer zweiten Verhaftungswelle wurden Ende September und im Oktober über 100 Mauretanier festgenommen, Studenten, Lehrer und Techniker. Ihnen wurde vorgeworfen, Anhänger der Opposition, der „Kräfte der afrikanischen Befreiung Mauretaniens" (FLAM), zu sein.

Ein Jahr später, Oktober 1987, behauptete die Regierung, eine Verschwörung aufgedeckt zu haben, die die Regierung stürzen wollte. Dutzende Schwarze Militärs wurden verhaftet. Nach Protesten gegen die Hinrichtung von schwarzen Offizieren, wurden etliche Schwarze, Gewerkschafter, Wissenschafter und Beamte, festgenommen und gefoltert.

Im April 1989 entlud sich der Haß der Mehrheit gegen die Minderheit, sowohl in Mauretaninien, als auch im benachbarten Senegal, wo die ethnische Zusammensetzung genau umgekehrt ist. 50.000 Schwarzafrikaner flüchteten nach Senegal, Zehntausende Araboweiße flüchteten nach Mauretanien. Während amnesty in Senegal nach den Zusammenstößen keine Verfolgung der Minderheit feststellen konnte, setzte in Mauretanien die systematische Unterdrük-kung der Schwarzen ein. Tausende Schwarze wurde im Schatten der Krawalle in den Senegal vertrieben.

Im Kampf um das fruchtbare Land waren die Weißen nicht zimperlich. Aus einem amnesty-Bericht: „Ende Juni 1989 hatte eine Patrouille der Nationalgarde zwei kleine Jungen, die ihre Schafe und Ziegen in den Busch trieben, zunächst verhaftet und ihnen dann, Meldungen zufolge, die Kehle durchgeschnitten. Alle Bewohner des Dorfes wurden außer Landes getrieben, nachdem sie gegen diese Todesfälle protestiert hatten."

Nicht nur vom fruchtbaren Land werden die Schwarzen vertrieben, sondern auch aus dem Staatsdienst. Viele wurden verhaftet, vor Gericht gestellt und in unfairen Prozessen zu Haftstrafen verurteilt.

Besonders hart sind die Sondergerichte, die von einem Richter geleitet werden, der ein hoher Militär oder Polizist ist, aber keine juristische Ausbildung braucht. Als Beisitzer fungieren zwei Militäroffiziere. Gegen Urteile dieser Gerichte gibt es keine Berufung.

Unfaire und unmenschliche Praktiken sind auch in den anderen Gerichten üblich:

□ Mauretanisches Recht verwehrt den Strafverteidigern, an den vorgerichtlichen Untersuchungen vor einem Untersuchungsrichter teilzunehmen, sie können sich, da sie die „Beweise" nicht kennen, auch nicht auf den Prozeß vorbereiten. Angeklagte haben oft erst am ersten Prozeßtag Kontakt mit ihrem Verteidiger.

□ Neue Anschuldigungen werden erst im letzten Moment erhoben. Weil Prozeße schnell durchgezogen werden, kann die Verteidigung kaum reagieren.

□ Aussagen werden häufig unter Folter erpreßt. Gerichte reagieren nicht, wenn diese von den Angeklagten deshalb zurückgezogen werden. Laut amnesty ging kein einziges Gericht einem Foltervorwurf der Angeklagten nach.

□ Bei sogenannten „In-flagranti-Delikt-Verfahren" kommen die Angeklagten vor Gericht, ohne daß ihre Fälle von einem Untersuchungsrichter vorgerichtlich untersucht worden wären. Diese gestatten den Gerichten, ein Urteil zu verkünden, ohne daß die Richter das Beweismaterial aufführen müßen.

Bevor die Gefangenen vor das Gericht kommen, werden sie in Isolationshaft gehalten. Hier passieren viele Folterungen. Berüchtigt ist das 1.200 Kilometer von der Hauptstadt entfernte Gefängnis in Oulata, nahe der Grenze zu Mali. Der erste Todesfall eines Gefangenen, den die Regierung zugab, war der des sechzigjährigen Schriftstellers Tene Youssouf Gueye, der beschuldigt worden war, das Manifest mitverfaßt zu haben.

Fehlende medizinische Betreuung und mangelhafte Ernährung raffen so manchen Gefangenen dahin. An Foltermethoden ist die Jaguar-Methode beliebt. Dazu ein Folteropfer: „Beide Handgelenke des Verdächtigten werden an seine Füße gebunden, und die Polizei steckt einen Metallstab unter seine Knie zwischen Beine und Arme. Der Stab wird dann hochgehoben und in eine Position gebracht, daß das Opfermit dem Kopf nach unten hängt. Dann schlagen sie seine Fußsohlen. Am Ende einer solchen, oft einige Stunden dauernden Behandlung verliert das Opfer vor Erschöpfung das Bewußtsein. Die Füße von Mithäftlingen bluteten noch immer, als sie sich auf dem Weg zum Gericht befanden - fünf Monate nach der Folter."

Ein anderes Folteropfer gegenüber amnesty: „Drei Tage wurde ich regelmäßig mit der Jaguar'-Methode gequält. Danach erhielt ich Elektroschocks in die Handgelenke und Pobacken. Sie versuchten mit einem Stück Eisen ein Loch in die Sehne am Knie zu stoßen, um eine Elektrode einzuführen. Da es nicht klappte, probierten sie es mit einem Stück Knochen. Einige Tage später banden sie ein Gewicht an meinen Hodensack, wodurch meine Hoden anschwollen. Dann rieben sie mir Pfeffer in meine Augen und brachen mir fünf Zähne aus. Als sich mein Mund entzündete, brachten sie mich in ein Krankenhaus. Der algerische Arzt weigerte sich mich zu behandeln, weil ich seiner Ansicht nach im Sterben lag."

In den vergangenen Jahren wurde es üblich, Folterungen in Häuser zu verlegen, die formal gesehen keine Haftanstalten sind, damit die Folterer frei von jeder Kontrolle sind.

Eine von der Regierung nach den amnesty-Protesten einberufene Untersuchungskommission dürfte kaum Abhilfe schaffen, denn sie beendete ihre Arbeit, ohne einen Bericht zu veröffentlichen.

Mauretanien ist mit rund zwei Millionen Einwohnern und seiner darniederliegenden Wirtschaft - außer etwas Eisenerz gibt es keine Bodenschätze - für die Weltöffentlichkeit von geringer Bedeutung. Das bietet eine gute Gelegenheit, politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten auf die schwarze Minderheit brutalst abzuladen.

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