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Die Welt wird zu kopflastig

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Vor mehr als zwei Jahrzehnten, in seinem Buch „Die Zukunft hat schon begonnen”, feierte Robert Jungk noch den atemberaubenden Fortschritt der USA. Seither ist er zu einem profilierten Kritiker der Wachstumsgesellschaft geworden. Wie sieht er die Dinge heute?

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Vor mehr als zwei Jahrzehnten, in seinem Buch „Die Zukunft hat schon begonnen”, feierte Robert Jungk noch den atemberaubenden Fortschritt der USA. Seither ist er zu einem profilierten Kritiker der Wachstumsgesellschaft geworden. Wie sieht er die Dinge heute?

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FURCHE: Welchen Weg wird Europa auf das Jahr 2000 hin einschlagen? Kann EUREKA, die Agentur für europäische Forschungs-Koordination, ein Zusammenschluß von 17 europäischen Staaten, originelle Impulse für die Zukunft setzen?

ROBERT JUNGK: Wir können uns nicht ganz dem allgemeinen Klima entziehen. Wenn zum Beispiel auf der ganzen Welt mit Computern gearbeitet wird und nach neuen Technologien geforscht und gesucht wird, dann kann sich Europa da nicht heraushalten — das ist klar. Die Frage ist, ob wir die amerikanische und japanische oder auch die sowjetische Entwicklung nachahmen oder ob Europa nicht einen anderen Weg gehen sollte. Könnte Europa nicht versuchen — ohne das andere ganz zu vernachlässigen — das Hauptgewicht seines Fortschrittes auf die Entwicklung von umweit- und menschenfreundlichen Produkten und Modellen zu setzen?

FURCHE: Wie läßt sich eine solche Neuorientierung begründen?

JUNGK: In der ganzen Welt beginnt man die negativen Folgen des technischen Fortschrittes zu spüren, besonders in der Dritten Welt Wir haben in Lagos um sechs Uhr abends genau solche Verkehrsstauungen wie in Berlin oder Wien oder Washington. Da müßte man andere Massenverkehrsmittel oder auch andere Stadtformen entwickeln. Dies wäre eine Aufgabe nicht nur für unsere Region, sondern auch für die Dritte Welt. Das heißt: Europa würde sich eine ganz eigene Nische schaffen, wenn es auf die Kritik an der üblichen Technik reagierte. Es könnte bezüglich des technischen Fortschritts einen anderen Weg wählen, nicht wie seit fünfzig Jahren: immer höher, immer schneller, immer mehr, immer zerstörender und damit immer gefährlicher. Wir brauchen nämlich eine Technik, mit der der Mensch leben kann.

FURCHE: Bedeutet das einen Rückfall in vergangene Zeiten?

JUNGK: Das ist keine primitive Technik, sondern im Grunde eine viel reifere und kompliziertere und lebendigere Technik. Man kann heute zum Beispiel mit der Elektronik den Maschinen Sinnesorgane geben, sodaß sie mit Rückkoppelung arbeiten können und merken, in welchem Tempo der Mensch arbeiten will. Dafür hat man meiner Meinung nach zuwenig Phantasie eingesetzt und zuwenig Konzepte entwickelt.

FURCHE: Was verbirgt sich nun hinter dem Begriff von einer postmateriellen Gesellschaft, und was bedeutet es, daß wir unterwegs sind in eine Informationsund Kommunikationsgesellschaft?

JUNGK: Eine solche Gesellschaft wäre nicht mein Ideal, weil die Information etwas Körperloses, Abstraktes ist, das seelisch nicht befriedigt. Natürlich wird die Informationstechnik eine Rolle spielen. Aber viel stärker wird man die natürlichen Elemente, also die Natur, die Umwelt, die Luft, den Boden, das Wachsende, das Leben, das Geistige in den Mittelpunkt stellen.

FURCHE: Dies wird aber nicht ohne einen einschneidenden Bewußtseinswandel vor sich gehen.

JUNGK: Was sicher im Wachsen ist, sind die postmateriellen Werte, die Eingang in unser Denken finden: Es ist dann nicht so wichtig, Erfolg, wie Freundschaft zu haben. Oder Zusammenarbeit ist wichtiger als Konkurrenz, mehr freie Zeit oder mehr Urlaub wichtiger als mehr auf dem Gehaltskonto zu haben. Das kann man unter Wertwandel verstehen, und das ist schon im Gange. Da kommt etwas völlig Neues.

FURCHE: Es ist aber nicht zu übersehen, daß die Investitionen in Richtung auf Informationsund Kommunikationstechnik gelenkt werden.

JUNGK: Wenn man diese Richtung übertreibt, so ist dies wieder ein Irrweg. Das bringt eine reine Verkopfung, die weder für den Körper noch für die Seele gut ist. Sie sollten sehen, wie es Leuten geht, die seit zehn Jahren am Bildschirm arbeiten, wie wahnsinnig sinnentleert, wie nervös sie sind, weil sie den Streß nicht aushalten. Ich habe mir die Leute in Silicon Valley in den USA angeschaut. Die machen ja die verrücktesten Sachen. Sie brauchen irgendeinen Ausgleich. Es ist kein Zufall, daß in Silicon Valley die meisten Lustmorde vorkommen, daß die Pornographie blüht. Das ist alles eine Art Ausgleich für dieses rein materialisierte Computer-Leben mit den Zeichen und Symbolen.

FURCHE: Könnte man die Behauptung aufstellen, daß wir mit dem Verlust der Wirklichkeit rechnen müssen?

JUNGK: Es ist eine Karikatur im „New Yorker” erschienen, die diesen Verlust der Wirklichkeit deutlich macht: Da steht eine Familie im Regen auf der Straße. Der Vater repariert den Autoreifen. Eine sehr unangenehme Situation, und der Bub sagt zum Vater: Warum schalten wir nicht ein anderes Programm ein? Das heißt: Man lebt nicht mehr wirklich. Wenn man etwas anderes will, wechselt man das Programm.

FURCHE: Müßte nicht der Einführung dieser neuen Technologien eine Wirkungsforschung vorausgehen, damit nicht auf die Verschmutzung der Umwelt die Zerstörung der Innenwelt folgt?

JUNGK: Diese Studien nehmen leider viel Zeit in Anspruch. Gleichzeitig drängt aber die Industrie auf den Markt und setzt sich durch. Es wird sich daher jeder Wissenschaftler fragen müssen: Arbeite ich an der richtigen Technik? Wie lassen sich gefährliche Entwicklungen bremsen und andere in die Wege leiten? Diese Überlegungen waren unter anderem auch mitentscheidend, daß Europa kritisch der Strategischen Verteidigungs-Initiative Amerikas (SDI) gegenüberstand und sich auf eine Agentur für europäische Forschungs-Koordination (Eureka) festgelegt hat. Noch fehlt eine genaue inhaltliche und finanzielle Ausrichtung dieser Agentur, aber die eigenständige Orientierung bietet einen breiten Spielraum für Originalität. Mit Robert Jungk sprach Dr. Siegmund Kast-

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